Straßburg. Kämpferischer Auftritt von EU-Kommissionschefin von der Leyen: Sie verspricht Entlastungen, droht Putin und reist wieder nach Kiew.

Eine Entlastung bei den hohen Strompreisen in Deutschland und Europa rückt immer näher: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat einen Gesetzesplan vorgelegt, nach dem die Energieunternehmen in der EU mehr als 140 Milliarden Euro von ihren aktuell ungewöhnlich hohen Gewinnen abführen müssen – mit dem Geld sollen die EU-Staaten dann ihre Bürger und kleinere Unternehmen unterstützen, die unter den steigenden Strom- und Gaskosten ächzen. Diesen Weg hatte die Bundesregierung bereits im jüngsten Entlastungspaket angekündigt, Haushalte in Deutschland dürften durch einen so finanzierten Strompreisdeckel für den Basisverbrauch oftmals hunderte Euro einsparen. Nun wird es eine europaweite Initiative.

„Profite sind gut. Aber in diesen Zeiten ist es falsch, übermäßige Gewinne vor dem Hintergrund eines Krieges und auf dem Rücken der Konsumenten zu erwirtschaften“, erklärte von der Leyen in ihrer jährlichen Rede zur Lage der EU vor dem EU-Parlament in Straßburg. Die bevorstehenden Monate würden nicht leicht: „Weder für Familien, die nur schwer über die Runden kommen, noch für Unternehmen, die schwierige Zukunftsentscheidungen müssen.“ Lesen Sie auch: 300 Euro Energiepauschale: Wie wird das ausgezahlt?

Von der Leyen droht Putin: Sanktionen sind von Dauer

Die in den ukrainischen Landesfarben gelb und blau gekleidete Präsidentin versicherte aber, die Sanktionen gegen Russland würden trotz der Herausforderungen nicht aufgehoben: Europas Solidarität mit der Ukraine werde „unerschütterlich“ sein – mit Waffen, Geld, Gastfreundschaft und den „härtesten Sanktionen, die die Welt je gesehen hat“. Diese von der EU verhängten Sanktionen gegen Russland hätten die russische Wirtschaft schon geschwächt und seien „der Preis für Putins Spur des Todes und der Vernichtung“. Die Präsidentin betonte, sie wolle keinen Zweifel daran lassen, dass die Sanktionen von Dauer sein würden – eine Ansage an erste Mitgliedstaaten wie Ungarn oder Österreich, in denen die Sanktionen kritisch diskutiert werden. „Das ist die Zeit für Entschlossenheit, nicht für Beschwichtigungen“, meinte von Leyen.

Es stehe sehr viel auf dem Spiel: „Dies ist nicht nur ein Krieg Russlands gegen die Ukraine. Dies ist ein Krieg gegen unsere Energieversorgung, ein Krieg gegen unsere Wirtschaft, ein Krieg gegen unsere Werte und ein Krieg gegen unsere Zukunft.“ In der angespannten Lage sollen die europäischen Energiekonzerne auf zwei Wegen zur Kasse gebeten werden: Für die Unternehmen, die Strom günstig aus erneuerbaren Energiequellen, aus Atom- und Braunkohlekraftwerken produzieren und derzeit viel teurer verkaufen können, soll der Höchstpreis auf 180 Euro pro Megawattstunde gedeckelt werden, befristet bis März 2023. Darüber liegende Erlöse auch aus dem laufenden Jahr sollen an die Mitgliedstaaten abgeführt werden – insgesamt rechnet die Kommission mit 117 Milliarden Euro, die zur Hilfe für Haushalte und Unternehmen umverteilt werden sollen. Auch interessant: So hart treffen Inflation und Energiekrise die Bevölkerung

Kommission plant strenge Vorgaben zum Stromsparen

Für Strom aus Öl-, Gas- und Kohlekraftwerken ist eine Solidaritätsabgabe geplant: Die Mitgliedstaaten sollen von diesen Unternehmen mindestens ein Drittel ihrer 2022 erzielten Übergewinne abschöpfen – mit rund 25 Milliarden Euro wird gerechnet - und ebenfalls zur Verbraucherentlastung einsetzen. Von der Leyen sagte: „Auch große Öl-, Gas- und Kohleunternehmen erzielen enorme Gewinne. Sie müssen also ihren gerechten Beitrag leisten“. Die Gesetzespläne zur Strompreisbremse hatten die EU-Energieminister vergangene Woche von der Kommission angefordert, sie dürften beim nächsten Ministertreffen Ende September weitgehend bestätigt werden. Einen Vorschlag zur umstrittenen Deckelung von Gaspreisen wird die Kommission zunächst nicht machen, von der Leyen versprach aber, darauf hinzuarbeiten.

Zugleich schlägt die Kommission strenge Vorgaben zur Stromeinsparung vor - die Mitgliedstaaten sollen den Stromverbrauch in den Spitzenzeiten verpflichtend um mindestens fünf Prozent reduzieren und insgesamt mindestens zehn Prozent Strom bis Ende März 2023 einsparen; ob sich die Kommission damit bei den EU-Mitgliedern durchsetzt, ist allerdings ungewiss. Von der Leyen ergänzte diese Ankündigungen mit der Zusicherung für die weitere Unterstützung der Ukraine, der bereits 19 Milliarden Euro an Hilfen zugesagt worden seien. Die Ukraine müsse einen nahtlosen Zugang zum EU-Binnenmarkt erhalten, der auch für die Ukraine eine „Erfolgsgeschichte“ werden solle. Details dieses Angebots wollte sie mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in Kiew besprechen, die erneute Reise dorthin startete von der Leyen noch am Mittwoch. Selenskyjs Ehefrau Olena verfolgte die Rede persönlich als Ehrengast im EU-Parlament, die Abgeordneten begrüßten sie mit stehenden Ovationen. Lesen Sie auch: Inflation: Wie Verbraucher ihr Geld zusammenhalten können Inflation

Von der Leyen will Putin „zum Scheitern bringen“

Von der Leyen würdigte den Mut und Tapferkeit der ukrainischen Bürger, lobte aber auch die Solidarität der EU: Der Krieg habe die innere Stärke Europas wieder an die Oberfläche gebracht, sagte die Kommissionspräsidentin. Europa wolle „Putin mit Mut und Solidarität zum Scheitern bringen“. Zu neuen EU-Hilfen für die Ukraine gehören 100 Millionen Euro für den Wiederaufbau von Schulen und die Aufnahme der Ukraine in die EU-Zone für kostenloses Roaming - Anrufe und SMS sind dann ohne Zusatzkosten in die Ukraine möglich, ukrainische Mobilfunkkunden können dann auch ohne Zusatzkosten in der EU mobil im Netz zu surfen. In der über einstündigen Rede kündigte die Präsidentin vage auch eine Reihe weiterer Initiativen an: Dazu gehörten ein neues Hilfspaket für kleinere Unternehmen, der Aufbau einer Wasserstoff-Bank und ein neues Steuermodell für den Binnenmarkt.

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