Paris. 70 Prozent der Franzosen lehnen die Rentenreform von Präsident Emmanuel Macron ab – die Rechtsextremistin Marine Le Pen profitiert.

So groß der Tumult im Halbrund der Nationalversammlung auch sein mag, sie bleibt die Gelassenheit in Person. Kerzengerade, im eleganten Hosenanzug und mit akkurat frisiertem Haar sitzt Marine Le Pen, die Fraktionsführerin des rechtsextremen Rassemblement National (RN), auf ihrem Abgeordnetenplatz – und schweigt. Nur ab und an schüttelt sie den Kopf.

Die Rechtsextremen stellen derzeit die stärkste Oppositionspartei im französischen Parlament. Und wie ihre Frontfrau übten sich die übrigen 86 RN-Abgeordneten während der wilden Auseinandersetzung um die Rentenreform in vornehmer Zurückhaltung. Wortmeldungen? So gut wie keine. Zwischenrufe? Kaum. Beschimpfungen? Schon gar nicht.

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Die Linksradikalen verwandeln das Parlament in einen Hexenkessel

Ganz im Gegensatz zu den 74 Deputierten der linksradikalen Partei France Insoumise (Unbeugsames Frankreich, FI). Diese verwandelten die Nationalversammlung mit revolutionärem Habitus und gezielten Ausfällen immer wieder in einen Hexenkessel. Zudem torpedierten sie die Debatte über den umstrittenen Gesetzestext mit 9000 Änderungsanträgen.

Präsident Emmanuel Macron hat die Rentenreform zum zentralen politischen Vorhaben seiner zweiten und letzten Amtszeit gemacht. Das Renteneintrittsalter soll schrittweise von 62 auf 64 Jahre angehoben werden. Wer die volle Altersvergütung bekommen will, muss künftig 43 statt 41 Jahre ins System einzahlen.

Ganz gezielt gibt Le Pen die Staatsfrau, die kühlen Kopf bewahrt

Macron hat die Reform per Dekret durchs Parlament geboxt. Doch die Wut im Land wächst: 70 Prozent der Franzosen lehnen sie ab. Immer wieder demonstrieren Hunderttausende Franzosen gegen das Projekt. Einige Protestler errichten brennende Barrikaden, andere werfen Molotowcocktails auf Polizisten.

Le Pen ist ebenso wie sämtliche Linksparteien gegen die Rente ab 64. Im letzten Präsidentschaftswahlkampf warb sie sogar genau wie ihr linksradikaler Konkurrent Jean-Luc Mélenchon für die Rückkehr zur Rente ab 60. Doch darüber redet sie nicht, sie spricht überhaupt auffällig wenig. Wenn doch, dann bezeichnet sie die Rentenreform als unausgegoren und ungerecht. Sie versichert den Wutbürgern ihre Sympathie. Einen Alternativvorschlag unterbreitet sie nicht. Ganz gezielt gibt Le Pen die Staatsfrau, die kühlen Kopf bewahrt. Sie vermeidet es, irgendeine Angriffsfläche zu bieten.

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Die Popularitätswerte von Präsident Macron sind so niedrig wie nie

Diese Taktik scheint aufzugehen. Le Pen ist die Einzige, die von der Wut der Franzosen zu profitieren versteht. Während die Popularitätswerte von Präsident Macron unter 30 Prozent gefallen sind und damit so tief liegen wie auf dem Höhepunkt des Gelbwesten-Aufstands, befindet sich ihre Partei auf einem Höhenflug.

In jüngsten Umfragen kommt sie auf 26 Prozent. Das sind satte sieben Prozentpunkte (und 50 Abgeordnetenmandate) mehr als bei den Parlamentswahlen im vergangenen Sommer. Auch die von der FI dominierte und Grüne, Sozialisten sowie Kommunisten einschließende Linksfront NUPES kommt auf 26 Prozent – stagniert aber auf diesem Niveau. Die Präsidentenpartei Renaissance hingegen verliert fünf Punkte und liegt nur noch bei 22 Prozent.

Le Pen hat sich auf einen Marathonlauf eingestellt, der im Élysée-Palast enden soll

Der Krisengewinnlerin Le Pen ist es in den letzten Wochen nicht nur gelungen, sich als Favoritin für die 2027 anstehenden Präsidentenwahlen in Stellung zu bringen. Bis dahin ist es noch lang – doch die 54-Jährige profiliert sich und hat sich auf einen Marathonlauf eingestellt, der im Élysée-Palast enden soll. Sie verbaut Macron auch einen der möglichen Auswege aus der politischen Krise. Neuwahlen dürften für den Präsidenten angesichts der aktuellen Umfragen keine Option sein.

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Zwar bemüht sich die Regierung, die Wogen zu glätten. So will Premierministerin Élisabeth Borne Anfang kommender Woche Vertreter der Gewerkschaften empfangen, wie französische Medien berichteten. Laurent Berger, Chef der gemäßigten Gewerkschaft CFDT, betonte: „Ich werde hingehen, um zu erklären, warum diese Reform eine Sackgasse ist, warum die 64 Jahre abgelehnt werden.“ Für Macron kommt das jedoch nicht in Frage.

Noch vor dem Ende des Jahres sollen die neue Ruhestandsregelung in Kraft treten, falls der Verfassungsrat grünes Licht gibt. Die sogenannten Weisen, die Regierung wie Opposition zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Reform angerufen haben, beugen sich derzeit über den Text. Ihr Schiedsspruch ist frühestens Mitte April zu erwarten. Für die Gewerkschaften ist das Grund genug, ihren Widerstand aufrecht zu erhalten. Le Pen und ihren Ambitionen spielt das in die Karten.