Paris/Berlin. Frankreich hat gewählt. Europa kann aufatmen. Emmanuel Macron hat sich erneut gegen die rechte Kandidatin Marine Le Pen durchgesetzt.

Kurz nach 20 Uhr ist es so weit. Auf dem Champ de Mars vor dem Paris Eiffelturm brandet Jubelstimmung auf. Hunderte Menschen schwenken blau-weiß-rote Nationalflaggen und Europafahnen. Anhänger von Präsident Emmanuel Macron fallen sich um den Hals. Einige stimmen die Marseillaise – die Nationalhymne – an. Eben haben die Fernsehanstalten die erste Hochrechnung veröffentlicht: Macron hat am Sonntag die Stichwahl gegen die Rechtsextreme Marine Le Pen mit 58,2 zu 41,8 Prozent gewonnen.

Macron zeigte sich nach seiner Wiederwahl entsprechend demütig. „Ich weiß, dass viele unserer Mitbürger heute mich gewählt haben, um die Ideen der Rechtsextremen zu verhindern und nicht um die meinen zu unterstützen“, sagte er am Sonntagabend vor dem Pariser Eiffelturm vor jubelnden Anhängern. „Ich weiß, dass ihre Stimme mich für die kommenden Jahre verpflichtet.“

Zum dritten mal nach 2002 und 2018 kam eine Kandidatin oder ein Kandidat von Rechtsaußen in den zweiten Wahlgang. Zum drittel Mal hat in Frankreich die „Brandmauer“ gehalten. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gratulierte Macron zu seiner Wiederwahl: „Gemeinsam werden wir Frankreich und Europa voranbringen.“

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Es hatte gedauert, bis Macron im Wahlkampf auf Touren kam. Seit Beginn der Invasion Russlands in die Ukraine war er vor allem eines – Kriegspräsident. Keiner hat so viel mit Kremlchef Wladimir Putin telefoniert wie Macron. Im Interview mit unserer Redaktion bekannte er: „Ja. Es ist hart, wenn Sie stundenlang erleben, dass die Fakten geleugnet werden. Wenn Sie stundenlang mit Präsident Selenskyj reden oder mit Menschen, die den Schrecken des Krieges mit den ganzen Zerstörungen erlebt haben. Und ihnen sitzt dann jemand gegenüber, der alles leugnet, darüber lacht und von Inszenierungen spricht.“

Während sich Macron in der Dauer-Telefonschleife mit Putin aufrieb, füllte seine Gegenspielerin Marine Le Pen die Lücke. Die Kandidatin des rechtsextremen Rassemblement National tourte durchs Land, lief über die Marktplätze der Republik und machte Selfies en masse. Nahbar gab sich die selbsterklärte Katzenzüchterin, lachte viel und warf einige ihrer radikalen Forderungen über Bord. Kein Ausstieg aus der EU, kein Ausstieg aus der Eurozone, hieß es auf einmal.

Le Pen entdeckte plötzlich ihren Wahlkampfschlager: Hüterin der Kaufkraft wollte sie sein. Die Mehrwertsteuer auf Energie und Grundnahrungsmittel soll gesenkt oder gestrichen werden. Das passte gut zu ihrer Anti-Macron-Propaganda: Der Staatschef sei arrogant, abgehoben und elitär, stichelte Le Pen.

Emmanuel Macron setzte sich deutlich gegen die rechtsnationale EU-Kritikerin Marine Le Pen durch.
Emmanuel Macron setzte sich deutlich gegen die rechtsnationale EU-Kritikerin Marine Le Pen durch. © dpa

Macron: Überflieger, der sich über Konventionen hinwegsetzt

In den Umfragen vor dem ersten Durchgang der Präsidentschaftswahl vor zwei Wochen wurde es plötzlich eng für Macron. Sein Vorsprung schmolz auf bis zu zwei Prozentpunkte. Am Ende lag er dann doch mit knapp fünf Punkten vor Le Pen. Doch der Präsident hatte verstanden. Er reiste durchs Land, schüttelte viele Hände, sprach mit den Leuten. Im knapp dreistündigen Fernseh-Duell gegen Le Pen am Mittwoch ging Macron seine Konkurrentin hart, aber nicht schroff an. Insbesondere deren Nähe zum russischen Präsidenten Wladimir Putin hielt er ihr immer wieder unter die Nase.

Vor fünf Jahren war Macron wie ein Wirbelwind ins Amt gekommen – jung, blitzgescheit, politische Lager sprengend, ohne je zuvor in ein Amt gewählt geworden zu sein. Er war ein Überflieger, der sich immer schon gerne über Konventionen hinwegsetzte und sich auf jeder Bühne wohlfühlt.

Das war schon so, als er sich als Jugendlicher in die Leiterin der Theatergruppe an seiner Schule verliebte. Allen Widerständen zum Trotz heiratete er die 24 Jahre ältere Brigitte und bildet mit ihr bis heute ein außergewöhnliches Paar. Brigittes Enkelkinder hielten bei seinem Auftritt vor 30.000 Anhängern stolz Plakate mit der Parole „Daddy - Präsident“ hoch. Das erste Mandat hat bei Macron Stirnfalten und ergraute Koteletten hinterlassen. Der damals 39-Jährige hatte seine Amtszeit im Mai 2017 vor dem Pariser Louvre zu den Klängen der Europahymne begonnen. Für sein erstes Kabinett wilderte er bei Rechten und Linken gleichermaßen.

Schnell eroberte er sich seinen Platz auf dem internationalen Parkett, übte sich dafür im Händequetschen mit dem damaligen US-Präsidenten Donald Trump. Ende Mai 2017 versuchte er, Putin mit Prunk und Protz im Schloss von Versailles zu beeindrucken.

Frankreich-Wahl: Was Macrons erste Amtszeit prägte

Innenpolitisch setzte Macron Reformen des Arbeitsmarktes, der Bahn und der Universitäten durch. Gegen die Rentenreform gab es aber so viel Widerstand, dass die Pandemie eine willkommene Gelegenheit bot, sie auf Eis zu legen. Inzwischen ist die Arbeitslosigkeit deutlich gesunken. Dank der staatlichen Unterstützung nach Macrons Motto „Koste es, was es wolle“ läuft auch die Wirtschaft wieder besser an als befürchtet. Nach dem deutschen Modell führte er die staatliche Unterstützung der Kurzarbeit ein.

Außenpolitisch hat Macron Europa weiter vorangebracht als kaum ein anderer während dieser Zeit. Selbst die gegen gemeinsame Schulden allergische Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ließ sich am Ende auf einen großzügigen Corona-Wiederaufbaufonds ein. 750 Milliarden Euro. Ein atemberaubendes Programm europäischer Solidarität – und späte Genugtuung für Macron, dessen Visionen für eine Turbo-Integration der EU in Berlin zunächst mit eisigem Schweigen beantwortet worden waren.

Der Ukraine-Krieg gab Macrons Werben für eine gemeinsame europäische Verteidigung unerwartet dramatische Aktualität. Daneben fand das weitgehende Scheitern des französischen Militär-Einsatzes in Mali kaum Aufmerksamkeit. Auch seine Klimapolitik, die er anfangs mit Leidenschaft vertreten hat, gilt als Flop. Für viele Deutsche klang es schockierend, als Macron den Bau von bis zu 14 neuen Atomkraftwerken ankündigte. Inzwischen blickt Deutschland allerdings neidisch auf Frankreich, da das Nachbarland wesentlich einfacher auf russisches Gas und Öl verzichten kann.

Emmanuel Macron kam zur Stimmabgabe in ein Wahllokal in Le Touquet.
Emmanuel Macron kam zur Stimmabgabe in ein Wahllokal in Le Touquet. © dpa

Emmanuel Macrons Schwachstellen in zweiter Amtszeit

Zu den größten Schwachpunkten Macrons zählt das Image des abgehobenen und besserwisserischen Politikers. Als „Präsident der Reichen“ hatten ihn die Gelbwesten beschimpft. Die Protestbewegung gegen hohe Lebenshaltungskosten und eine Öko-Steuer aus Benzin hatte 2018 das Land mit Demos und Ausschreitungen in Atem gehalten. Die Unzufriedenen, die Abgehängten – bei all diesen Menschen hatte Macron kaum eine Chance. Immer wieder eckte er mit arroganten Bemerkungen an, auch wenn er danach Besserung gelobte. Das Paradoxe ist allerdings, dass er im persönlichen Kontakt als guter Zuhörer gilt und mit Geduld und Sachkenntnis manche Skeptiker überzeugen konnte.

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Doch Macron weiß, dass eine zweite Amtszeit alles andere als ein Selbstläufer ist. Le Pens Parade-Argument eines Ausgleichs für die rasant gestiegenen Energiepreise will er aufnehmen. Für den Sommer hat er ein „außergewöhnliches Gesetz für die Kaufkraft“ angekündigt. Die Renten sollen an einen Inflationsindex von rund vier Prozent gekoppelt und die Belastungen für Freiberufler gesenkt werden.

Darüber hinaus will der neue Präsident Unternehmen mit guter Bilanzentwicklung zwingen, eine „Dividende für Angestellte“ auszuzahlen. Dies könne entweder über eine „Gewinnbeteiligung“ oder über einen „Kaufkraftzuschlag“. Darüber hinaus will er die Gehälter der Beamten und Lehrer erhöhen. Die soziale Balance – so scheint es – wird zu einem neuen Schwerpunkt Macrons. Er hat dazugelernt.

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Dieser Artikel erschien zuerst auf www.waz.de.