Berlin/Hanau. Drei Jahre nach dem Hanau-Attentat kritisiert die Anti-Diskriminierungsbeauftragte fehlende Hilfe für Betroffene von rechter Gewalt.

Eine Tür hätte das Leben von Hamza Kurtovic vielleicht retten können. Der Notausgang der „Arena Bar“ in Hanau. Es ist 22 Uhr und drei Sekunden am 19. Februar 2020, als der Attentäter die Bar betritt. Das zeigt ein Video der Überwachungskamera später. Der Angreifer feuert mehrfach aus einer Pistole, trifft Kurtovic und Said Nesar Hashemi. Beide sterben durch die Schüsse.

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Eine Analyse der Rechercheplattform „Forensic Architecture“ legt nahe, dass Kurtovic und Hashemi sowie weitere Gäste der Bar hätten fliehen können. Durch den Notausgang im hinteren Raum der Bar. Doch der Ausgang war verschlossen. Laut Zeugenaussagen auch deshalb, weil die Polizei häufiger Mal Razzien in dem Viertel durchgeführt hatte – und Fluchtwege abschneiden wollte. Die Polizei widerspricht diesen Aussagen. Für Hamza Kurtovic und Said Hashemi wurde die Bar zur tödlichen Falle. Kurtovic wurde 22 Jahre alt, Hashemi 21.

Gedenkstätte auf dem Parkplatz vor dem Tatort
Gedenkstätte auf dem Parkplatz vor dem Tatort "Arena Bar“. © epd | Heike Lyding

Der Anschlag von Hanau war rassistisch motiviert, der Täter lebte in einer rechten Welt von Verschwörungsideologie und Wahn. Neun Menschen tötete er an dem Abend im Februar 2020. Erst wenige Monate zuvor hatte ein Rechtsterrorist in Halle zwei Menschen getötet, als er eine Synagoge mit Waffen stürmen wollte. Und im Sommer 2019 tötete ein Rechtsextremist den CDU-Politiker Walter Lübcke auf seiner Terrasse in dem Familienhaus bei Kassel.

Es ist eine Serie an Bluttaten, die Regierungen in Bund und Land wachgerüttelt hat. Maßnahmenpakete gegen Rassismus wurden beschlossen, Hetze im Netz sollte stärker strafverfolgt werden. Prävention mit mehr Geld finanziert werden. Manches wurde umgesetzt, doch einiges bleibt unerledigt. Auch jetzt, drei Jahre nach dem Attentat von Hanau.

Hinterbliebene Vaska Zlateva: Viele Angehörige fühlen sich vom Staat allein gelassen.
Hinterbliebene Vaska Zlateva: Viele Angehörige fühlen sich vom Staat allein gelassen. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

„Das Vorgehen gegen Rassismus darf nicht vernachlässigt werden“

Im Mai 2021 beschließt die damalige Bundesregierung aus Union und SPD einen Kabinettsbeschluss mit 89 Maßnahmen gegen Rassismus und rechtsextreme Ideologie. „Das war politisch eine Zäsur“, sagt Ferda Ataman, Unabhängige Beauftragte der Bundesregierung für Antidiskriminierung, unserer Redaktion. „Umso mehr ist es enttäuschend, dass die Bundesregierung ihre Ankündigungen bis heute nicht umgesetzt hat.“

„Deutschland hat ein Rassismus-Problem“: Ferda Ataman ist Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung im Deutschen Bundestag.
„Deutschland hat ein Rassismus-Problem“: Ferda Ataman ist Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung im Deutschen Bundestag. © dpa | Bernd von Jutrczenka

Betroffene von Diskriminierung würden etwa bis heute darauf warten, mehr Rechte zu bekommen, um gegen Diskriminierungen vorzugehen. „Auch der umstrittene Begriff ‚Rasse‘ in Artikel 3 Grundgesetz ist trotz entsprechender Ankündigungen in einem Maßnahmenpaket der Bundesregierung noch nicht geändert worden“, kritisiert Ataman. „Das entschiedene Vorgehen gegen Rassismus und Diskriminierung darf nicht vernachlässigt werden.“

Ein Graffiti das die Opfer zeigt unter der Frankfurter Friedensbrücke.
Ein Graffiti das die Opfer zeigt unter der Frankfurter Friedensbrücke. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

So hatte die frühere Regierung sich zwar auf die Streichung des Begriffs „Rasse“ geeinigt – und dennoch nichts beschlossen. Noch immer steht das Wort im Grundgesetz. Es war nur ein Teil im Maßnahmenkatalog der Großen Koalition, der das Waffenrecht verschärfen sollte und neue Stellen und mehr Befugnisse in den Sicherheitsbehörden vorsieht.

Nun sind zwei Jahre vergangen seit dem Beschluss der 89 Maßnahmen gegen Rassismus – und eine neue Bundesregierung ist im Amt. Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP heißt es etwas lapidar, die Ampel-Regierung werde den Katalog im Kampf gegen Rechtsextremismus „anpassen und weiterentwickeln“.

Demokratiefördergesetz: Hilfe nach vielen Jahren der Debatte

Tatsächlich ist einiges passiert, und gerade Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), selbst Hessin, machte sich zu Beginn ihrer Amtszeit vor allem für den Kampf gegen rechtsextreme Ideologie stark. Mit Reem Alabali-Radovan hat die Regierung nun auch eine eigene Anti-Rassismus-Beauftragte. Und mit dem Demokratiefördergesetz beschloss die Bundesregierung Ende letzten Jahres eine neue Grundlage für die Finanzierung von Präventionsprojekten und Aussteigerprogrammen. Viele Jahre hatte die Debatte über dieses Gesetz gedauert, viele Jahre ist wenig passiert. Die Vereine und Organisationen begrüßen den Schritt.

Zugleich hakt der Kampf gegen Extremismus an anderen Stellen. Dem Staat gelingt es nur schwer, die vielen Strömungen im rechtsextremen Spektrum zu erfassen. Neben Neonazis und Kameradschaften wachsen in den vergangenen Jahren vor allem neurechte Ideologen um die sogenannte „Identitäre Bewegung“, aber auch Verschwörungsgruppierungen wie „Reichsbürger“ und „Querdenker“. Der Verfassungsschutz schuf eine neue Kategorie, um diese Szene besser in den Blick zu nehmen – und doch berichten Fachleute in den Behörden, wie schwer die unzähligen Akteure in dem Milieu zu kontrollieren sind.

Auf Telegram hetzen Verschwörungsideologen noch immer weitgehend ungehindert

Gerade bei der Strafverfolgung im Netz fällt es der Politik schwer, die eigenen Anforderungen zu erfüllen. Noch immer verbreiten Extremisten im Messengerdienst Telegram Hetze – und nur selten werden sie dafür durch Strafverfolgungsbehörden belangt. Um das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, das soziale Medien regulieren soll, schert sich Telegram bisher wenig.

Die Parlamentarische Geschäftsführerin und Innenexpertin der Grünen, Irene Mihalic, fordert ein schärferes Waffenrecht. „Verfassungsfeinden und bereits durch die Verbreitung von Verschwörungsideologien in Erscheinung getretenen Menschen muss der Zugang zu Waffen erschwert beziehungsweise untersagt werden“, sagt die frühere Polizistin unserer Redaktion.

Irene Mihalic, Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion.
Irene Mihalic, Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Fachleute kritisieren, dass Betroffene von rassistisch motivierter Gewalt noch immer zu wenig Hilfe erhalten. Anti-Diskriminierungsbeauftragte Ataman hebt hervor, dass Rassismus-Erfahrungen „als belangloses Interesse von Minderheiten abgetan“ würden.

Hinterbliebene des Attentats in Hanau: „Wir mussten da allein durch“

Gleichzeitig beobachte Ataman, dass nach Ereignissen in der Silvesternacht ein Generalverdacht gegen Menschen mit Migrationshintergrund ausgesprochen werde. „Deutschland hat ein Rassismus-Problem – das zeigt sich auch, wenn Bundespolitiker abfällig über muslimische Jugendliche als ‚kleine Paschas‘ reden.“

Auch Angehörige der Opfer des Hanau-Attentats beklagen bis heute fehlende staatliche Unterstützung. „Wir mussten da allein durch“, sagte die Hinterbliebene Vaska Zlateva im Untersuchungsausschuss im hessischen Landtag über die Zeit nach dem Attentat.