Berlin. Nach dem Hochwasser wird über Katastrophen-Warnsysteme diskutiert. Anders als viele Länder setzt Deutschland noch nicht auf Warn-SMS.

In der Woche nach dem durch Tief "Bernd" verursachten Unwetter und dem damit einhergehenden Hochwasser wird der Ruf nach einem besseren Warnsystem zum Schutz der Bevölkerung laut. So stellt sich die Frage, weshalb Deutschland nicht auf einen flächendeckenden SMS-Versand in Katastrophengebieten setzt.

Viele Länder verwenden im Katastrophenfall sogenanntes Cell Broadcasting: Alle Mobiltelefone innerhalb einer Funkzelle bekommen dann automatisch eine Benachrichtigung zugeschickt. Dies ist nicht nur in den USA, Israel oder Japan der Fall, sondern auch in vielen europäischen Ländern: So wenden etwa die Niederlande das Benachrichtigungssystem "NL-Alert" an.

In Deutschland kommen Warnungen nur per App aufs Handy

Deutschland hinkt hinterher: Wer per Benachrichtigung aufs Handy gewarnt werden will, benötigt eine entsprechende Warn-App. Bundesweit verfügbar sind die App Nina des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) und die von Fraunhofer Fokus entwickelte Katwarn-App.

Personen mit der App in Erftstadt bekamen am vergangenen Mittwoch von der Leitstelle Rhein-Erft-Kreis eine "Gefahreninformation", die den Hinweis "Bleiben Sie möglichst Zuhause" enthielt. Einen Tag später kam dann der Hinweis "Dammbruch. Extreme Gefahr".

Die Anwohner der Ortsteile Blessem und Bliesheim wurden aufgefordert, elektrische Geräte auszuschalten, das Gebäude zu verlassen und sich an einen sicheren Ort zu begeben. In Ahrweiler, wo die Wassermassen ebenfalls für Verwüstungen sorgten, gab es über die Nina-App keine vergleichbare Gefahrenmeldungen der Leitstelle des Kreises.

Bundesamt für Bevölkerungsschutz: Technologie ist kostspielig

Armin Schuster (CDU), Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, erklärte im Interview mit dem Deutschlandfunk, weshalb Deutschland noch kein Cell-Broadcast-System eingeführt hat. "Es gibt in Deutschland keinen aktiven Mobilfunkanbieter, der es im Programm hätte", so Schuster.

Wenn man das System einführen wolle, handle es sich um eine "extrem teure" Technik: Als "Startvolumen" seien nicht nur "30, 40 Millionen Euro" notwendig, sondern auch ein Mobilfunkanbieter mir der entsprechenden Technologie. "Wir sind seit ein paar Monaten dabei, diese Möglichkeit additiv zu prüfen", gab Schuster an. Denkbar sei ein "Warnmittel-Mix" aus verschiedenen Methoden, um die Bevölkerung im Ernstfall zu informieren.

Armin Schuster (CDU) ist seit 2020 Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe.
Armin Schuster (CDU) ist seit 2020 Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. © dpa

Warn-SMS im Katastrophenfall finden immer mehr Zuspruch

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) sprach sich gegenüber "Bild Live" für SMS-Benachrichtigung im Ernstfall aus: "Ich bin dafür, dass wir diese Push-Nachrichten auch über die Mobilfunkanbieter beim Bürger ankommen lassen. Aber das ist immer gescheitert, weil der politische Wille an mancher Stelle gefehlt hat", sagte er.

Auch Niedersachsens CDU-Landeschef Bernd Althusmann plädierte für eine flächendeckende Warn-SMS unabhängig von einer App. Ein Alarm an alle mobilen Endgeräte im betroffenen Gebiet könne regional präzise und rasch warnen. "Wir sollten nun zügig einen Alarm-Mix mit Sirenen, Lautsprecherdurchsagen und einem bundesweiten Warnsystem per SMS etablieren für einen verbesserten Zivilschutz", sagte Althusmann, der auch niedersächsischer Wirtschaftsminister ist, am Montag.

Reinhard Sager, Präsident des Landkreistags, begrüßte ebenfalls SMS-Warnungen. Es wäre gut, wenn entsprechende Benachrichtigungen auf allen Mobiltelefonen sofort sichtbar würden, sobald konkrete Gefahr droht. "Das sollte bei größeren sich anbahnenden Katastrophen damit auch auf älteren Handys und ohne zu installierende Apps möglich sein", sagte der Präsident des kommunalen Spitzenverbandes am Samstag der Deutschen Presse-Agentur.

Warn-SMS: FDP schon länger für Cell Broadcasting

Die FDP spricht sich schon länger für eine Verbesserung der Benachrichtigung im Katastrophenfall aus. "Ein Warnsystem auf Basis von lokalen SMS oder Cell Broadcasting hat den Vorteil, dass Empfang und Verbreitung von Informationen hierdurch niedrigschwellig möglich sind, was vor allem bei Mobilgeräten notwendig ist, die sich nicht mehr auf dem aktuellsten Stand der Technik befinden", heißt es in einem FDP-Beschluss von 2020, den Marco Buschmann, Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, auf Twitter teilte.

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Dass Cell Broadcasting in Deutschland "aktuell nur geprüft" wird, reiche nicht aus, teilte Buschmann gegenüber unserer Redaktion mit. "Die Bundesregierung muss ihren Sonderweg verlassen und das System schnellstmöglich etablieren. Die verheerende Flutkatastrophe hat gezeigt, dass wir keine Zeit mehr verlieren dürfen."

Christian Lindner: FDP will Rechtslage für Warn-SMS ändern

Auch FDP-Chef Christian Lindner betonte nach der verheerenden Flut die Bedeutung einer Katastrophenwarnung per SMS. "Wir werden zukünftig mit vielen Folgen des globalen Klimawandels zu tun haben - und müssen uns dafür rüsten. Dazu gehört ein niedrigschwelliges und digitales Frühwarnsystem2, sagte Lindner unserer Redaktion. "Mit der Mobilfunkinfrastruktur sind Warnungen per SMS auf jedes Handy in einem Gefahrenbereich leicht umsetzbar." Bisher behindere allerdings die Rechtslage ein solches System, das in anderen Ländern üblich sei. "Das will die FDP ändern."

Für den Fall, dass Strom und Mobilfunk ausfielen, brauche man noch andere Kommunikationsmittel wie Sirenen und Lautsprecher, fügte Lindner hinzu. "Aber es gibt Katastrophen, die sich Stunden oder Tage vorher abzeichnen. Da muss eine digitale Infrastruktur den Behörden zur Verfügung stehen."

Zugleich forderte der FDP-Chef eine Untersuchung, "ob und wie die Meldungen des EU-Flutwarnsystems früher an die Menschen hätten gelangen können". Nach der Pandemie und dieser Katastrophe verdichte sich der Eindruck, dass unser Staat in seinen Kernfunktionen nicht überzeuge, kritisierte Lindner. "Bei digitaler Bildung und Verwaltung, Infrastruktur, Bundeswehr, Justiz und anderem sind wir nicht auf der Höhe der Zeit. Und das wohlgemerkt, obwohl der Staat von Jahr zu Jahr mehr Geld in der Kasse hat. Wir müssen umsteuern – weg von Umverteilung und Subventionen und hin zu Investitionen in Kernfunktionen."

(raer/mit dpa)