Paris/Straßburg. Die Regierung in Paris geht rigoroser gegen die Kostenexplosion vor als die anderen EU-Länder. Das ist das Erfolgsrezept der Franzosen.

Ganz gleich zu welcher Tageszeit man dieser Tage das von 8 bis 21 Uhr geöffnete Einkaufszentrum Hautepierre im Westen von Straßburg ansteuert, es herrscht Hochbetrieb. Fast vollständig besetzt ist der große Parkplatz, auf dem auffällig viele der abgestellten Autos ein deutsches Kennzeichen tragen.

Natürlich, die Grenze ist nur einen Katzensprung entfernt, aber trotzdem hat man hier noch nie so viele Besucher aus dem Nachbarland gesehen. "Normalerweise", so sagt Sylvie Betsch, "sind es ja wir Franzosen, die zum Einkaufen nach Deutschland fahren." Betsch arbeitet als Kassiererin im Supermarkt des Einkaufszentrums und schätzt, dass derzeit mehr als ein Drittel der Kunden "von der anderen Seite" kommen. "Draußen an der Tanke", so fügt sie an, "dürften es noch mehr sein."

Frankreich – Tanken und Einkaufen ist deutlich billiger

In normalen Zeiten galt, dass beim Einkauf in einem deutschen Supermarkt die Rechnung gut 15 Prozent niedriger ausfiel als bei der französischen Konkurrenz. Aber das war einmal. Im Augenblick sind die Preise in den französischen Supermärkten bis zu 20 Prozent niedriger als in Deutschland. Es ist also kein Wunder, dass sich die Richtung des Einkaufstourismus in den deutsch-französischen Grenzregionen umgekehrt hat. Zumal auch das Benzin in Frankreich deutlich billiger ist als in Deutschland.

Präsident Emmanuel Macron verordnete eine ganz klare Linie. Die französische Regierung erhöhte den Treibstoffrabatt am 1. September auf 30 Cent pro Liter. Zusätzliche 20 Cent Rabatt pro Liter gewährt der französische Mineralölkonzern Total, an dessen Tankstellen sich die Einsparung somit auf 50 Cent summiert.

Frankreich: Kaufkraft ist besser als im Rest Europas

In den Großräumen von Saarbrücken oder Straßburg bilden sich an den Tankstellen nicht nur regelmäßig lange Schlangen deutscher Autofahrer. Beinahe ebenso regelmäßig kommt es vor, dass Tankstellen schon am Nachmittag schließen müssen, weil ihnen die Reserven ausgegangen sind.

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Keine Frage: Wenn es um die Kaufkraft oder deren Erhalt geht, sehen sich die Franzosen ungleich besser gestellt als die übrigen Europäer. Ganz besonders gilt das für die Energiepreise. Die letzte Erhöhung der Gas- und Stromrechnungen um eher bescheidene vier Prozent geht auf den vergangenen Herbst zurück. Danach verordnete Präsident Emmanuel Macron einen Stopp, der noch bis zum Ende dieses Jahres gilt.

Die Verbraucher in Frankreich merken kaum etwas

Den staatlichen Energieversorgern EDF (Strom) und GDF (Gas) beschert diese Maßnahme zwar Verluste, die sich auf 16 Milliarden Euro summieren werden und die der Staat ausgleichen muss. Die Verbraucher hingegen haben von der Preisexplosion auf dem Energiemarkt noch so gut wie gar nichts gemerkt.

Im Januar wird die Deckelung der Energiepreise zwar gelockert werden – aber nur leicht. Eine einmalige, 15-prozentige Preiserhöhung für Gas und Strom hat Premierministerin Elisabeth Borne angekündigt. Dabei soll es im gesamten Jahr 2023 bleiben.

Ohne die staatliche Bremse (die Schätzungen zufolge erneut mit 16 bis 20 Milliarden Euro zu Buche schlagen wird), würden die Preiserhöhungen wohl mindestens acht Mal höher ausfallen. "Frankreich", so betonte Borne stolz, "ist das Land in Europa, welches seine Bürger am besten gegen die steigenden Energiepreise geschützt hat – und weiterhin schützen wird!"

Frankreichs Premierministerin Elisabeth Borne vor dem Elysee Palast in Paris.
Frankreichs Premierministerin Elisabeth Borne vor dem Elysee Palast in Paris. © Emmanuel DUNAND / AFP

Frankreich hat eine klare Linie

Die nationale Wirtschaft unterstützt Paris sogar über die Energiepreisbremse hinaus. Unternehmen, die mindestens drei Prozent ihres Umsatzes für die Strom- oder Gasrechnung ausgeben müssen, können bis zu zwei Millionen Euro an Hilfen beantragen. Außerdem hält Wirtschaftsminister Bruno Le Maire eine Subventionstopf für besonders energieintensive Unternehmen bereit. Diese können um bis zu 50 Millionen Euro Hilfe nachsuchen.

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Eine für die Staatskasse teure, aber glasklare Linie, die sich abhebt von dem Hick-Hack um die Berliner Gasumlage, mit der man ursprünglich einen nun doch wieder in der Diskussion stehenden Preisstopp verhindern wollte, oder um die Auflage eines Entlastungspakets nach dem anderen. Am Ende – dies ist zumindest die Meinung zahlreicher Ökonomen links des Rheins – könnte Berlin dann doch ebenso viel Geld in die Hand genommen haben wie Paris, ohne jedoch vergleichbare positive Signale an Bevölkerung wie Wirtschaft zu versenden.

Rezession droht nicht in Frankreich

Bislang jedenfalls geht die Rechnung der französischen Regierung auf. Das Wachstum ist zwar auch in Frankreich zurückgegangen, aber eine Rezession droht keineswegs. Die nach wie vor niedrigen Energiepreise sorgen dafür, dass die Herstellungskosten vieler Unternehmer kaum gestiegen sind und sie deswegen auch ihre Preise nicht übermäßig erhöht haben.

Das gilt insbesondere für die Lebensmittelbranche, bei der die Inflation nur halb so hoch liegt wie in Deutschland. Ohnehin brüstet sich Paris mit einer der niedrigsten Inflationsraten der EU. Sie liegt aktuell bei 5,6 Prozent und damit satte 4,4 Punkte unter der deutschen.

Beim Strom könnte es eng werden

Freilich ist selbst in Frankreich nicht alles Gold was glänzt. Weil derzeit die Hälfte der gemeinhin 70 Prozent des Strombedarfs deckenden Atommeiler wegen Wartungsarbeiten nicht am Netz sind, befürchtet Paris Versorgungsengpässe im kommenden Winter.

Gas mögen die Franzosen genug haben, beim Strom hingegen könnte es schon deswegen eng werden, weil 50 Prozent aller Haushalte elektrisch heizen. Das ist Grund genug für die Regierung, beinahe wöchentlich neue Energiespar-Appelle an die Bürger zu richten. Ob diese wirken, bleibt jedoch die große Frage – schließlich ermuntert die Niedrigpreispolitik eher zu einer gewissen Sorglosigkeit.