Berlin. Der Kampf um das besetzte Dorf Lützerath wird erbittert geführt – auch wegen dem, was die Regierung jenseits der Abbruchkante tut.

Das Ende von Lützerath kommt. Wenn in den nächsten Tagen nicht noch etwas geschieht, dass in die Kategorie der Politik-Wunder fiele, wird das Dorf früher oder später geräumt sein, die Aktivistinnen und Aktivisten verschwunden, und die Bagger werden kommen.

Ob die Kohle unter den Häusern wirklich gebraucht wird, ist heftig umstritten, ob mit dem früheren Ausstieg 2030 unterm Strich wirklich weniger Kohle verbrannt wird, ebenfalls. Doch für die Frage nach dem Schicksal des Ortes ist beides kaum noch maßgeblich. Den Rechtsanspruch auf den Boden und die Kohle darin hat RWE. Die Hoffnung, dass der Konzern sich gegen Profite entscheiden könnte, um den sozialen Frieden zu wahren und vielleicht das eigene Image aufzupolieren, gehört in den Bereich magischen Denkens.

Das wissen auch die, die die Reste des Ortes jetzt besetzen, und trotzdem sind sie entschlossen, der Polizei und den Baggern alles entgegenzusetzen, was sie haben. Das hat auch damit zu tun, was im Rest der Republik passiert. Vielleicht würde der Kampf um Lützerath nicht ganz so erbittert geführt, vielleicht wäre die Enttäuschung gerade gegenüber den Grünen nicht ganz so groß, wenn die Klimabewegung den Eindruck hätte, dass hinter der Abbruchkante die Dringlichkeit endlich überall angekommen ist, dass wirklich alles getan wird, um die Krise zu bremsen.

Klimakrise? Autobahn!

Doch dieses Gefühl hat sie nicht, und das wundert auch kaum. In einem Jahr, in dem absehbar erneut die Klimaziele verfehlt werden, setzen große Teile der Regierung weiter auf flinken Autobahn-Ausbau, wird LNG-Infrastruktur aus dem Boden gestampft, schneller als man „Überkapazitäten“ sagen kann, und im Kanzleramt flirtet man offen mit der Idee, den Senegal bei der Erschließung von Gasfeldern zu unterstützen, Exportstart möglicherweise schon 2023, Zeitraum der Gasförderung: 20 Jahre.

Theresa Martus, Korrespondentin Bundespolitik
Theresa Martus, Korrespondentin Bundespolitik © Reto Klar | Reto Klar

Und wenn junge Menschen gegen all das protestieren und versuchen, die Regierung an geschlossene Verträge und das Klima-Urteil des Verfassungsgerichts zu erinnern, wird ihnen in Talkshows gesagt, sie könnten doch ein bisschen optimistischer sein. Lebensgrundlagen brechen weg, aber wer wird denn deshalb gleich schlechte Laune haben?

Interaktiv: Klimawandel - wo die Erde unbewohnbar wird

Die Auseinandersetzung geht nach 1,5 Grad weiter

Dass die 1,5 Grad-Grenze durch Lützerath verläuft, wie es die Aktivistinnen und Aktivisten sagen, ist mindestens sehr zugespitzt formuliert – und klingt, als wäre mit dem Ende Lützeraths der Kampf um Klimaschutz und Klimagerechtigkeit endgültig verloren. Doch wenn 1,5 Grad globale Erwärmung überschritten sind (was sehr wahrscheinlich der Fall sein wird, vielleicht schon im kommenden Jahrzehnt), wird es darum gehen, das nächste Zehntelgrad zu verhindern.

Die nächsten Auseinandersetzungen dafür kommen bestimmt. Etwa in Ostdeutschland, wo ein Kohleausstieg 2038 schwieriger zu organisieren sein dürfte als im Rheinland. Oder beim Ausbau der Erneuerbaren, der jetzt in atemberaubender Geschwindigkeit passieren muss, wenn nicht Ende des Jahrzehnts Kohlekraftwerke am Netz bleiben sollen, damit die Lichter nicht ausgehen.

Viele dieser Projekte haben Klimabewegung und Grünen bislang Seite an Seite vorangetrieben. Doch der Deal zwischen Grünen und RWE hat das Vertrauen der Bewegung in der Partei schon schwer angeknackst, die Räumung könnte es – je nach Verlauf – fast vollständig vernichten. Der Kampf gegen den Klimawandel würde dann schwieriger, als er es sowieso schon ist.