Berlin. Die Ampel-Koalitionäre überarbeiten das Infektionsschutzgesetz. Was das für Sozialhilfeempfänger, Schulen und die Wirtschaft bedeutet.

Kein Lockdown mehr, keine pauschalen Schulschließungen – aber auch keinen „Freiheitstag“ wie es ihn in anderen Ländern gab: Die möglichen Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP wollen in der Pandemiebekämpfung einen neuen Weg einschlagen.

Erstmals seit Beginn der Pandemie wird dabei die Corona-Sonderlage enden. Das geht aus einem Eckpunkte-Papier hervor, das die Verhandler einer künftigen Ampel-Koalition am Mittwoch in Berlin vorstellten. Im November soll demnach die sogenannten epidemische Lage von nationaler Tragweite auslaufen. Was das für die Bekämpfung der Pandemie, für Beschäftigte und die Wirtschaft bedeutet.

Was ist die Corona-Sonderlage?

Im März 2020, als die Corona-Pandemie Deutschland erreicht hatte, stellte der Deutsche Bundestag die sogenannte epidemische Lage von nationaler Tragweite fest. Sie ermöglicht es dem Bundesgesundheitsministerium und der Bundesregierung, Rechtserlasse zu verhängen. So war es mit den Beschlüssen der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) und der Bundesregierung beispielsweise möglich, wie zuletzt bundeseinheitliche Vorgaben zur Bekämpfung der Pandemie auszugestalten.

Alle drei Monate musste die Notlage per Mehrheitsbeschluss im Bundestag verlängert werden. Nun wollen die möglichen Partner einer Ampel-Koalition einer Verlängerung nicht mehr zustimmen. Damit endet die epidemische Lage nationaler Tragweite am 24. November.

Sind die Corona-Maßnahmen damit aufgehoben?

Nein. Die Ampel-Koalitionäre wollen den Bundesländern eine rechtliche Grundlage dafür schaffen, um bis zum Frühlingsanfang am 20. März 2022 Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie durchzusetzen.

Dazu zählen etwa die Maskenpflicht oder auch die Pflicht zur Vorlage eines Impf-, Genesenen- oder Testnachweises in bestimmten Bereichen, etwa bei Großveranstaltungen wie Konzerten oder Fußballspielen. Auch an Abstandsgeboten im öffentlichen Raum können die Länder festhalten. Eine Homeoffice-Pflicht bei steigenden Inzidenzzahlen soll es dagegen nicht geben.

Warum soll die Notlage inmitten steigender Corona-Zahlen enden?

Die Corona-Notlage ist seit langem umstritten. Vor allem die FDP hatte immer wieder kritisiert, dass das Parlament nicht ausreichend in die Entscheidungen zum Corona-Krisenmanagement miteinbezogen werde. Auch Grüne, Linke und AfD hatten gegen eine Verlängerung plädiert.

Durch die Beschlüsse der MPK und der Bundesregierung habe es zuletzt eine Dominanz der Exekutive gegeben, die das Vertrauen vieler Bürgerinnen und Bürger in das Parlament geschwächt habe, sagte FDP-Fraktionsgeschäftsführer Marco Buschmann. „Diese absolute Dominanz der Exekutive ist beendet.“

Kritik hingegen kommt aus der Union. CDU/CSU-Fraktionsvize Thorsten Frei warf den Ampel-Verhandlern vor, die Rechte des Parlaments zu verkürzen. „Denn bislang hätte das Parlament jederzeit mit einem einfachen Mehrheitsbeschluss die Geltung der epidemischen Lage beenden können, künftig braucht es ein Gesetz“, sagte Frei.

Ist ein weiterer Lockdown vom Tisch?

„Schulschließungen, Lockdowns und Ausgangssperren wird es mit uns nicht mehr geben. Sie sind in der aktuellen Situation auch unverhältnismäßig“, sagte SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese. Allerdings stellte er auch klar: „Der 25. November wird kein Freedom Day sein.“ Der Begriff „Freedom Day“ (englisch für „Freiheitstag) hatte sich etabliert, nachdem Großbritanniens Premierminister Boris Johnson im Sommer die Corona-Maßnahmen beendet hatte – mittlerweile liegt die Sieben-Tage-Inzidenz bei 469,2 und damit so hoch wie in keinem anderen Land. Auch in Deutschland steigen die Fallzahlen an. Die Sieben-Tages-Inzidenz, die die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und binnen einer Woche angibt, lag hierzulande laut Robert Koch-Institut (RKI) am Mittwoch bei 118,0 – eine Woche zuvor stand sie noch bei 80,4. 23.212 Corona-Neuinfektionen registrierte das RKI.

Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, warnte angesichts der Entwicklung davor, die Pandemie für überwunden zu erklären. „Von einem teilweise geforderten Freedom Day, zu dem alle Beschränkungen fallen, sind wir noch weit entfernt“, sagte Landsberg unserer Redaktion.

Was bedeuten die Pläne für die Beschäftigten und die Wirtschaft?

Maßnahmen in der Corona-Arbeitsschutzverordnung wollen die Ampel-Verhandler bis zum 20. März 2022 verlängern. Die Corona-Arbeitsschutzverordnung regelt unter anderem die Testpflicht in Betrieben. Arbeitgeber müssen demnach den vor Ort im Betrieb arbeitendenden Personen zweimal pro Woche einen Corona-Test anbieten. Ausnahmen gibt es für Genesene und Geimpfte – wobei die Arbeitgeber den Impfstatus nicht erfragen dürfen.

Die Bundesländer sollen ihre Firmen auch weiterhin verpflichten dürfen, Hygienekonzepte zu erstellen und Kontaktdaten von Kundinnen und Kunden zu erfassen. Eine Homeoffice-Pflicht soll es dagegen nicht mehr geben, sagte Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. Allerdings werde man sich in den Koalitionsverhandlungen mit dem Thema Homeoffice allgemein auseinander setzen.

Entlastet werden sollen weiterhin Eltern. Die Sonderregelungen zum Kinderkrankentagegeld sollen bis ins Jahr 2022 verlängert werden. Die Regelung sieht vor, dass Eltern derzeit 30 anstatt der üblichen 10 Kinderkrankentage in Anspruch nehmen können. Alleinerziehende können 60 anstatt der üblichen 20 Tage nutzen.

Wie ist die Situation für Arbeitssuchende und Geringverdiener?

Noch immer sind viele Wirtschaftszweige hart von der Pandemie betroffen, etwa Soloselbstständige oder Künstler. Rund 927.000 Beschäftigte befanden sich zudem zuletzt in Kurzarbeit. Wer aufgrund der Arbeitslosigkeit oder den zu geringen Einnahmen trotz Kurzarbeitergeld nicht über die Runden kommt, hatte bisher einen vereinfachten Zugang zum Arbeitslosengeld II.

So ist die Vermögensprüfung derzeit beispielsweise in den meisten Fällen ausgesetzt. Eigentlich sollten die Regelungen zum Jahresende auslaufen, nun wollen die Ampel-Verhandler sie bis zum 20. März 2022 verlängern.

Droht ein neuer Flickenteppich?

Die Uneinheitlichkeiten zwischen den Bundesländern immer wieder für Kritik gesorgt. „Das föderale System Deutschlands hat sich in der Pandemie durch ein hohes Maß an Dysfunktionalität ausgezeichnet“, heißt es in einem Schreiben des Beirats Gesundheit des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft (BVMW), das unter anderem von Bundesärztekammer-Präsident Klaus Reinhardt, dem ehemaligen Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr und dem Vorstandsvorsitzenden der DAK Gesundheit, Andreas Storm, unterzeichnet ist und unserer Redaktion vorliegt.

Der Unternehmerverband fordert bundeseinheitliche Regelungen. „Die Einsetzung eines bundesweiten Krisenstabes im Bundeskanzleramt wäre dabei hilfreich, um den Flickenteppich bei den Zuständigkeiten zu beseitigen“, heißt es in dem Forderungskatalog.

Auch Städte- und Gemeindebund-Hauptgeschäftsführer Landsberg warnte vor einem Flickenteppich. Er appellierte an die Bundesländer, sich auf einheitliche Regelungen etwa bei der Maskenpflicht, den Abstandsregelungen sowie den 2G- oder 3G-Regelungen zu einigen.

Wann enden die Maßnahmen?

Auch wenn SPD-Fraktionsvize Wiese den 25. November ausdrücklich nicht als „Freedom Day“ bezeichnen wollte, so stellt sich doch die Frage, wann die Maßnahmen enden werden. FDP-Fraktionsgeschäftsführer Buschmann nimmt dabei den Frühlingsanfang in den Blick: „Wenn wir vom heutigen Wissenstand ausgehen, dann sind wir uns einig, dass dann mit dem 20. März alle Maßnahmen enden“, sagte er.