Brüssel. Wie gefährlich sind die neuen Atom-Manöver mitten im Ukraine-Krieg? Welche Rolle spielt die Bundeswehr? Was jetzt auf uns zukommt.

Die Spannungen zwischen Russland und der Nato wegen des Ukraine-Kriegs drohen sich zu verschärfen: Beide Seiten werden jetzt in großen Nuklear-Manövern ihre Fähigkeit zum Atomwaffeneinsatz demonstrieren. Bei der Nato-Übung wird ab Montag der Abwurf von taktischen Atombomben durchgespielt, auch die Bundeswehr beteiligt sich.

Russland beginnt wahrscheinlich in den nächsten Tagen ein noch umfangreicheres Nuklear-Manöver, mit dem Präsident Wladimir Putin nach Einschätzung westlicher Militärs seine Atomdrohungen bekräftigen dürfte. Experten warnen vor dem Risiko einer Eskalation: Wegen des Ukraine-Kriegs bekommen die atomaren Drohgebärden eine neue, gefährliche Bedeutung.

Wie gefährlich wird das russische Atom-Manöver?

Nato-Militärs und das US-Verteidigungsministerium erwarten für die nächsten Tage eine große, demonstrative Atomübung des russischen Militärs. Details sind noch unklar. Zur Vorbereitung sind offenbar Atombomber und ein Eisenbahnzug der russischen Atom-Spezialeinheit verlegt worden. Das Manöver der strategischen Nuklear-Kräfte dürfte nach Einschätzung von US-Regierungsvertretern auch den Start von Langstreckenraketen umfassen – als Demonstration der Stärke nach den Niederlagen in der Ukraine.

Das Manöver „Grom“ (Donner) fand auch in früheren Jahren um diese Zeit statt, diesmal gibt es ein Problem: Bislang haben Geheimdienste der Nato-Staaten die Lage rund um die russischen Atomwaffendepots und Abschussvorrichtungen sehr gut im Blick, US-Verteidigungsminister Lloyd Austin sprach jetzt in Brüssel von einer Rund-um-die Uhr-Überwachung - mögliche Einsatzvorbereitungen nach Wladimir Putins Drohungen würden nicht unbemerkt bleiben. Doch in den nächsten Wochen wird es für die westliche Aufklärung schwer, Übung und Ernstfall auseinanderzuhalten, wie westliche Militärs warnen. „Wir sind sehr wachsam“, sagt Stoltenberg.

Im Nato-Hauptquartier heißt es, die Kombination aus russischem Angriffskrieg, Atommanöver und scharfen Drohungen sei eine „zusätzliche Herausforderung“. Wenige Tage vor Beginn des Ukraine-Überfalls hatte Putin ebenfalls eine Atomübung abhalten lassen – damals verstanden Nato-Generäle dies als Warnung an den Westen, sich in der Ukraine nicht einzumischen.

Was für ein Atom-Manöver plant die Nato?

Bei der Übung „Steadfast Noon“ handelt es sich um eine „Abschreckungsübung“, wie der Nato-Generalsekretär erklärt. Trainiert werden soll vor allem, wie Kampfjets der Bundeswehr und anderer Bündnis-Streitkräfte im Verteidigungsfall US-Atombomben auf gegnerische Ziele abwerfen und weitere Kampfflugzeuge dazu die Luftabwehr des Gegners ausschalten würden. Dabei geht es um die rund hundert taktischen Atomwaffen der USA, die im Rahmen der „atomaren Teilhabe“ in Deutschland, Belgien, Niederlande, Italien und der Türkei deponiert sind.

Neben Kampfjets sollen Tank- und Radarflugzeuge teilnehmen, insgesamt 60 Maschinen aus 14 Nato-Staaten; aus den USA sind Langstreckenbomber vom Typ B-52 angekündigt. Zentrum der Übung ist der belgische Fliegerhorst Kleine Brogel, das Einsatzgebiet reicht bis nach Großbritannien – weit entfernt von Russland, um Missverständnisse auszuschließen.

Nato-Atomübung: Welche Rolle spielt die Bundeswehr?

An der Übung nimmt die Bundeswehr mit Tornado-Kampfjets teil. Denn rund 20 der US-Atomwaffen lagern auf dem Fliegerhorst Büchel in Rheinland-Pfalz. Sie würden im Ernstfall von Bundeswehr-Tornados mit deutscher Besatzung ins Ziel getragen; die Tornados sollen bald durch amerikanische F35-Kampfjets ersetzt werden, die die Bundesregierung in den USA beschaffen will.

Den Atombomben-Einsatz müsste der US-Präsident freigeben, Deutschland müsste zustimmen. Nato-Militärs betonen, bei der Übung seien keine echten Atombomben an Bord der Flugzeuge. Aber die Soldaten wissen, was hinter der Simulation steckt: Die Sprengkraft der in Europa deponierten US-Atomwaffen variiert, sie beträgt aber teilweise ein Mehrfaches der in Hiroshima eingesetzten Bomben. Die US-Streitkräfte modernisieren derzeit das Arsenal, die neuen B61-12-Bomben sollen Ziele präziser und wirkungsvoller treffen.

Kampfjets der Bundesluftwaffe vom Typ Tornado stehen auf dem Vorfeld des Fliegerhorstes Büchel in Rheinland-Pfalz. Im Ernstfall würden diese Maschinen die in Büchel stationierten US-Atomwaffen laden und auf Ziele eines Gegners abwerfen.
Kampfjets der Bundesluftwaffe vom Typ Tornado stehen auf dem Vorfeld des Fliegerhorstes Büchel in Rheinland-Pfalz. Im Ernstfall würden diese Maschinen die in Büchel stationierten US-Atomwaffen laden und auf Ziele eines Gegners abwerfen. © dpa | Thomas Frey

Welche Strategie steckt hinter den US-Atomwaffen in Europa?

Die taktischen Atomwaffen unterstreichen aus Sicht der Nato die Schutzzusage der USA für Europa und erlauben den beteiligten Staaten eine Mitsprache. Der militärische Wert ist umstritten: Würde ein Konflikt mit Russland eskalieren, müssten die Nato-Kampfjets mit ihrer schweren Bombenlast erst die russische Luftverteidigung überwinden. Die eigentliche Abschreckung, die einen Angriff verhindern soll, liegt bei den Atommächten USA, Großbritannien und Frankreich.

Sie entscheiden über den Einsatz ihrer Atomraketen letztlich eigenständig. Kern der US-Strategie ist es aber, im Fall eines Konflikts eine Vielzahl abgestufter nuklearer Optionen zu haben – und mit den taktischen Atomwaffen auch einen begrenzten Nuklear-Krieg führen zu können.

Ukraine-Krieg: Warum übt die Nato den Atomkrieg ausgerechnet jetzt?

Die Nato-Übung findet jährlich in Europa statt. Eine aktuelle Absage wäre „das absolut falsche Signal gewesen,“ sagt Stoltenberg. Moskau würde das, so die Befürchtung, als Zeichen der Schwäche deuten. Stattdessen macht die Nato das sonst im Verborgenen abgehaltene Manöver nun zu einer Demonstration: „Die Übung gewährleistet, dass die nukleare Abschreckung der Nato sicher und effektiv bleibt“, betont Stoltenberg.

Der US-Atomwaffenexperte Hans Kristensen, der auch für das Stockholmer Institut für Friedensforschung (SIPRI) arbeitet, warnt aber: „Die zufällige Überschneidung der Atom-Übungen ist gefährlich, es kann zu einer weiteren Eskalation kommen. Das ist ein Lehrbuch-Beispiel, wie in einer Krise beide Seiten nicht deeskalieren, um keine Schwäche zu zeigen.“

Kristensen meint, die Nato hätte das Manöver absagen oder verschieben müssen: Nun könne unbeabsichtigt der Eindruck eines nuklearen Säbelrasselns entstehen, die Kritik an den russischen Atomdrohungen werde unterminiert. Unter westlichen Militärs wird vermutet, dass Russland die Nato-Übung als Beleg für angeblich aggressive Absichten des Westens wertet.

Wie reagiert der Westen, wenn Russland Atombomben in der Ukraine einsetzt?

Der von der Nato trainierte Atombomben-Abwurf kommt, wenn überhaupt, nur für den Fall in Frage, dass ein Nato-Staat angegriffen wird. Wie die Nato reagieren würde, wenn Russland Atombomben gegen die Ukraine einsetzt, ist unklar – als wahrscheinliche Option gilt ein von US-Streitkräften geführter, massiver Luftangriff auf russische Stellungen in der Ukraine, dazu womöglich eine Welle von Cyberattacken.

Allerdings wollen die Nato-Staaten einen Atomwaffen-Einsatz nicht förmlich ausschließen, um für Moskau unkalkulierbar zu bleiben. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat aber jetzt klargestellt, er werde als Antwort auf einen russischen Nuklearangriff in der Ukraine keine französischen Atomwaffen einsetzen.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.