Berlin/Montreal. Einigung in Montreal: 30 Prozent der Meere und des Landes sollen künftig geschützt werden – reicht das, um die Artenvielfalt zu retten?

Es ist der Versuch, eine existenzbedrohende Krise zu entschärfen: Nach fast zwei Wochen Verhandlungen haben sich auf dem Weltnaturgipfel in Montreal rund 200 Staaten auf ein Rahmenabkommen geeinigt, mit dem sie den rasanten Verlust biologischer Vielfalt stoppen wollen. Der Applaus und die Erleichterung nach der Verabschiedung waren groß. Denn nicht alle Teilnehmer waren sicher gewesen, dass sie mit einer Einigung nach Hause fahren würden. Die chinesische Gipfelpräsidentschaft sprach von einem „historischen Moment“

Die Zeit, die bleibt, um die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen, ist knapp. Laut Weltnaturschutzrat bewegt sich der Planet auf einen dramatischen Verlust biologischer Vielfalt zu: 25 Prozent aller Tier- und Pflanzenspezies sind demnach vom Aussterben bedroht, bis zu eine Million drohen schon in den nächsten Jahrzehnten unwiederbringlich verloren zu gehen.

Artenvielfalt: Entwicklungsländer sollen mit viel Geld unterstützt werden

Die Montreal-Kunming-Erklärung, die die Staaten tief in der Nacht in Kanada verabschiedeten, soll diesen Trend drehen. Bis 2050, hält das Abschlussdokument fest, soll die Aussterbe-Rate um das Zehnfache reduziert sein. Insgesamt 23 Ziele sind dafür als Teil der Erklärung festgehalten. Das wohl wichtigste ist das sogenannte 30x30x30-Ziel: 30 Prozent der Land- und Meeresfläche sollen bis 2030 weltweit unter Schutz gestellt werden. Außerdem sollen bis dahin auch 30 Prozent geschädigter Ökosysteme wiederhergestellt werden.

Hart umkämpft war bis kurz vor Ende der Konferenz die Frage danach, wer zahlen soll für Schutz und Wiederherstellung der Natur. Denn viele der Gebiete mit der größten Artenvielfalt liegen in Ländern des globalen Südens, die selbst wenig finanzielle Mittel haben. Vor allem Entwicklungsländer hatten deshalb darauf gedrängt, Unterstützung zu bekommen – und waren damit auch zum Teil erfolgreich, auch wenn weniger Geld fließen wird, als von einigen erhofft. 20 Milliarden US-Dollar sollen entwickelte Länder und andere, die sich freiwillig beteiligen wollen, bis 2025 jährlich zur Verfügung stellen. Danach sollen es bis 2030 laut Einigung 30 Milliarden pro Jahr sein.

COP15: Auch private Unternehmen sind in der Pflicht

Parallel dazu sollen die Staaten in den kommenden Jahren Subventionsmittel, die der Artenvielfalt schaden, abschaffen, „herunterfahren“ oder reformieren – bis 2030, so das Ziel, sollten diese um mindestens 500 Milliarden US-Dollar reduziert werden. Anreize für Naturschutz und „nachhaltige Nutzung“ von Biodiversität sollen im Gegenzug gesteigert werden. Besonders hervorgehoben werden im Text die Rolle und die Rechte von indigenen Gemeinschaften – sie gelten als wichtige Garanten für den Schutz von Ökosystemen.

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Auch die Verantwortung von privaten Unternehmen für den Zustand der Natur adressiert der Beschluss: Die Staaten sind aufgefordert, über rechtliche Rahmenbedingungen darauf hinzuwirken, dass vor allem internationale Konzerne und große Finanzinstitutionen den Effekt ihrer Arbeit auf die Natur und ihre Abhängigkeiten von ihr überwachen und transparent machen. Die Botschaft an den Privatsektor sei klar, sagte dazu Alan Jope, Konzernchef des Konsumgüter-Riesen Unilever: „Unternehmen aus aller Welt und aus allen Sektoren müssen jetzt in großem Umfang Maßnahmen ergreifen, um den Verlust der Natur bis 2030 aufzuhalten und umzukehren.“

„Wir müssen auf der ganzen Fläche naturverträglich arbeiten“

Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne), die als Vertreterin der Bundesregierung vor Ort war, zeigte sich am Montag zufrieden. „Der Beschluss von Montreal spannt einen Schutzschirm für unsere Lebensgrundlagen auf“, sagte sie. Die Staatengemeinschaft habe sich dafür entschieden, das Artenaussterben endlich zu stoppen. „Nach langen und anstrengenden Verhandlungen ist uns eine Abschlussvereinbarung geglückt, die große Entschlossenheit ausstrahlt.“

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Auch Harald Ebner (Grüne), Vorsitzender des Umweltausschusses im Bundestag, sieht im Ergebnis der Konferenz ein grundsätzlich positives Signal. Für Deutschland und die EU, sagt Ebner, der ebenfalls in Montreal vor Ort war, bedeute die Einigung vor allem Hausaufgaben in der Agrarpolitik. „Wir können nicht nur mit Schutzgebieten die Welt retten“, sagt er. „Wir müssen auf der ganzen Fläche naturverträglich arbeiten.“ Ein großer Erfolg sei es deshalb, dass als Ziel festgehalten wurde, die Verschmutzung durch Plastik, Pestizide und Nährstoffeinträge durch Düngemittel deutlich zu reduzieren. „Mit diesem globalen Rahmenwerk kann eine künftige gemeinsame Agrarpolitik der EU nicht mehr so aussehen, wie sie jetzt aussieht, sondern muss sich an ökologischen Leistungen orientieren.“

Umweltschützer: Das Echo ist geteilt

Unter Naturschutzorganisationen war das Echo geteilt. Florian Titze, Experte des WWF für Biodiversität, erklärte, man habe es geschafft, sich auf ein „lückenhaftes, aber letztlich überraschend gutes Rahmenwerk“ zu einigen. In den kommenden Jahren müssten die Staaten den politischen Willen aufbringen, die Schwachstellen in der nationalen Umsetzung zu beheben. Zu den Schwachstellen zählt der WWF unter anderem eine Formulierung, die Gebiete den Schutz von Gebieten mit besonderem Wert für die biologische Vielfalt priorisiert. Erhalten werden müssten laut der Organisation aber alle verbleibenden intakten Ökosysteme.

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Beim Naturschutzbund dagegen überwog Ernüchterung. Trotz inhaltlicher Fortschritte reiche die Vereinbarung nicht aus, um den Verlust der Artenvielfalt und von Ökosystemen zu stoppen oder umzukehren. „Die Welt rast in der Natur- und Klimakrise auf einen Abgrund zu“, warnte Nabu-Präsident Jörg-Andreas Krüger. „Doch statt entschieden zu bremsen, geht sie lediglich etwas vom Gas.“