Berlin. Die rechtsterroristische Vereinigung beging zwischen 1998 und 2011 zahlreiche Schwerstverbrechen. Die wichtigsten Fakten im Überblick.

Zum zehnten Mal jährt sich am 04. November die Enttarnung der rechtsextremistischen Terrorvereinigung. Der „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) verübte 10 Morde, 43 Mordversuche, 3 Sprengstoffanschläge und 15 Raubüberfälle in Deutschland. Eine Chronologie ihrer Taten und zum Münchner NSU-Prozess.

26. Januar 1998: Die Polizei in Jena durchsucht bei einer Razzia gegen Rechtsextreme auch eine von Beate Zschäpe angemietete Garage und findet dort Rohrbomben und Sprengstoff. Bereits zuvor war das Terrortrio aus Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe, die sich seit den frühen Neunzigerjahren kennen, immer wieder ins Visier der Polizei geraten, etwa wegen Briefbombenattrappen. Kurz nach der Razzia tauchen sie gemeinsam unter.

18. Dezember 1998: An diesem Freitag beginnen die Verbrechen, die dem NSU zugerechnet werden. Böhnhardt und Mundlos überfallen einen Edeka-Supermarkt in Chemnitz. Dabei schießen sie um sich und erbeuten umgerechnet 15.000 Euro. Bis sie aufliegt, begeht die Terrorzelle mindestens 14 weitere Raubüberfälle, vornehmlich auf Filialen der Sparkasse.

Der NSU verübte zwischen 2000 und 2007 zehn Morde

23. Juni 1999: In der Nürnberger Bar „Sonnenschein“ explodiert eine Rohrbombe, versteckt in einer Taschenlampe. Der Betreiber Mehmet O. findet die Lampe beim Saubermachen und knipst sie an. In dem Moment zündet die Bombe. O. überlebt das Attentat, muss aber mehrere Wochen gesund gepflegt werden.

Zwischen 2000 und 2007: In dieser Zeit ermorden Böhnhardt und Mundlos acht türkisch- und einen griechischstämmigen Zuwanderer. Ihr erstes Opfer ist Enver Şimşek. Der zweifache Vater wird am 09. September 2000 vor seinem Blumenstand in Nürnberg brutal niedergeschossen. Allein vier Kugeln treffen seinen Kopf. Zwei Tage später stirbt Şimşek im Krankenhaus. Hinter dem Mord vermutet die Polizei einen Bezug zum Drogenmilieu. In den Jahren danach tötet der NSU acht weitere Kleinunternehmer: Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü und Habil Kılıç. Auch İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık und Halit Yozgat fallen den Attentätern zum Opfer. Sie alle werden während der Arbeit erschossen, stets mit der gleichen Tatwaffe.

Dass hinter den Morden eine rechtsextremistische Terrororganisation steckt, erkennen die Behörden zunächst nicht. Sie konzentrieren sich auf andere Motive: Drogen, Mafia oder Prostitution. Auch Familienmitglieder werden verdächtigt. Ab 2005 kommt in der deutschen Berichterstattung wiederholt der Begriff „Döner-Morde“ vor. Am 25. April 2007 wird das letzte bislang bekannte Mordopfer der NSU getötet: Die Polizistin Michéle Kiesewetter stirbt nach einem Kopfschuss auf einem Parkplatz in Heilbronn.

Mutmaßlich gab es ein paar Opfer des NSU, die zunächst unbekannt blieben, nicht wussten, dass sie Opfer eines Attentats waren und glimpflich überlebten. Lesen Sie hier die Geschichte von Mehmet O. – einem unbekannte Opfer der Rechtsterroristen.

Bei zwei Bombenanschläge in Köln werden zahlreiche Menschen verletzt

19. Januar 2001: In einem deutsch-iranischen Lebensmittelgeschäft in Köln kommt es zu einer Explosion. Die 19-jährige Tochter des Inhabers wird schwer verletzt, sie überlebt den Anschlag mit großem Glück. Die Bombe wurde in einer Christstollendose versteckt – in einem angeblich vergessenen Präsentkorb. Wer hat die Bombe in dem Geschäft deponiert? Staats- und Verfassungsschutz sind ratlos und stellen die Ermittlungen recht schnell wieder ein – bis der NSU zehn Jahre später auffliegt.

09. Juni 2004: Wieder verüben die Rechtsterroristen einen Bombenanschlag, wieder ist Köln der Tatort. Mehr als zwanzig Menschen werden zum Teil lebensgefährlich verletzt, als eine Nagelbombe die von Migranten und türkischen Geschäften geprägte Keupstraße erschüttert. Auch hier gehen die Ermittler zuerst von einer Milieustraftat aus, sie halten einen Bezug zur Türsteher- und Drogenszene für denkbar. 2008 beenden die Fahnder die Untersuchungen. Die Bombe mit 5,5 Kilogramm Schwarzpulver und rund 800 Nägeln wurde auf einem Fahrradgepäckträger platziert.

Beate Zschäpe im Gerichtsaal des Oberlandesgerichts München.
Beate Zschäpe im Gerichtsaal des Oberlandesgerichts München. © picture alliance / dpa

Nach einem Bankraub: Die Terrororganisation fliegt auf

04. November 2011: Die Polizei findet zwei Männer, erschossen in einem ausgebrannten Wohnmobil in Thüringen. Es handelt sich um Böhnhardt und Mundlos. Die beiden hatten am Vormittag eine Sparkasse in Eisenach überfallen und waren anschließend auf Fahrrädern zu einem Wohnmobil geflüchtet. Dabei wurden sie von einem Rentner beobachtet, der die Polizei alarmierte. Als die Beamten sich dem Wohnmobil nähern, setzen es die Terroristen in Brand und begehen Selbstmord. Wenige Stunden später jagt die Komplizin Beate Zschäpe die Unterschlupfwohnung in Zwickau in die Luft, um Beweismittel zu vernichten. Es ist auch Zschäpe, die das opferverhöhnende Bekennervideo verschickt. Seitdem steht fest: Hinter der Mordserie, den Anschlägen und den zahlreichen Raubüberfällen steckt eine Neonazi-Gang.

08. November 2011: Beate Zschäpe stellt sich nach mehrtägiger Flucht der Polizei in Jena.

06. Mai 2013: Vor dem Oberlandesgericht (OLG) in München beginnt der NSU-Prozess gegen Beate Zschäpe und vier mutmaßliche Helfer des Trios. Zschäpe, die einzige Überlebende des Trios, wird wegen Mittäterschaft bei den Morden und den Anschlägen sowie Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung angeklagt. Es ist der Prozess gegen die größte rechte Mord- und Anschlagsserie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. 480 Seiten umfasst die Anklageschrift, 800 Zeugen werden gehört, 86 Nebenkläger treten im Gericht auf.

Neben Beate Zschäpe werden vier mutmaßliche Helfer verurteilt

11. Juli 2018: Das Urteil des OLG München wird verkündet: Beate Zschäpe muss lebenslänglich in Haft. Sie habe laut dem Gericht an der Planung jeder einzelnen Tat mitgewirkt und die Mordanschläge und Raubüberfälle gemeinschaftlich mit Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos begangen. Das Gericht stellt in ihrem Fall zudem die besondere Schwere der Schuld fest – damit ist eine vorzeitige Haftentlassung nach 15 Jahren praktisch unmöglich. Ihr Verteidiger legt Revision ein.

Die Urteile gegen die Mitangeklagten fallen milder aus: Ralf Wohlleben hatte den Haupttätern Mundlos und Böhnhardt Waffen besorgt. Er wird wegen Beihilfe zum Mord zu zehn Jahren Haft verurteilt. André E. beschaffte unter anderem Mundlos und Böhnhardt ein Wohnmobil und wird wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung zu zweieinhalb Jahren Gefängnisstrafe verurteilt. Holger G. muss drei Jahre in Haft. Er besorgte dem Trio Papiere. Auch Carsten S. gehörte zu den Waffenlieferanten der Terroristen; er war der Einzige, der im Prozess voll aussagte. S., verurteilt zu dreieinhalb Jahren Jugendstrafe, wird im Sommer 2020 aus dem Gefängnis entlassen.

19. August 2021: Der Bundesgerichtshof bestätigt die lebenslange Haft für Zschäpe. Damit ist die Verurteilung der NSU-Mittäterin rechtskräftig. Zschäpe bleibt also mindestens 15 Jahre im Gefängnis. Sie sitzt in Chemnitz in Haft.