Berlin . Sicherheitsbehörden bekämpfen Extremisten. Was ist, wenn der Feind in den eigenen Reihen sitzt? Über einen alarmierenden Lagebericht.

Sie bezahlen nicht mit Geld, sondern mit geklauter Munition. Beamte des Mobilen Einsatzkommandos Dresden sollen an die 7.000 Patronen entwendet haben – als Gegenleistung für ein Training in einer privaten Schießanlage. Und die wurde von einem Mann mit mutmaßlicher Verbindung zum rechtsextremen Preppernetzwerk „Nordkreuz“ betrieben.

Das ist einer von 860 Fällen, die das Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz zwischen dem 1. Juli 2018 und dem 30. Juni 2021 für einen speziellen Lagebericht prüfte: Über Rechtsextremismus ausgerechnet in den Sicherheitsbehörden.

Rechtsextremismus: In jedem dritten Fall Verdacht erhärtet

In etwa jedem dritten Fall – bei 327 Personen – ergaben sich bei der Prüfung tatsächlich Bezüge zum Rechtsextremismus, sogenannten Reichsbürgern und Selbstverwaltern. "Jeder dieser Fälle ist einer zu viel“, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) am Freitag in Berlin bei der Vorstellung des Berichts.

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Fest steht, dass mehr Verfassungsfeinde als beim ersten Lagebericht im Jahr 2020 auffielen. Allerdings wurden diesmal erstmals zusätzlich Daten zu „Reichsbürgern“ abgefragt.

Rechtsextremismus: Beamte tief in der Szene verankert

Es gibt zwei Lesarten dieses Berichts. Man kann und muss die Fallzahl in Relation setzen zu den etwa 288.000 Bediensteten bei den Sicherheitsbehörden der Länder und den rund 114.000 Mitarbeitern der drei Geheimdienste, von Bundeskriminalamt, Bundespolizei und Zoll. Hinzu kommen die 240.000 Soldaten und Angestellten der Bundeswehr. Und dann stellt man fest, dass die Rechtsextremisten eine verschwindende Minderheit sind.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die Bediensteten der Polizei, der Bundeswehr und der Nachrichtendienste darauf beruht, "dass sie neutral und vorurteilsfrei handeln", wie es im Lagebericht heißt. Die Vorfälle erschütterten "das Vertrauen in unseren Staat", beklagte Thomas Haldenwang, Präsident des Kölner Bundesamts für Verfassungsschutz. Drei Punkte fallen in der Statistik auf:

  • Es gibt bei fast jeder Sicherheitsbehörde Verdachts- und Prüffälle, sogar bei der nur 200 Personen starken Polizei des Bundestages. Die positive Ausnahme ist das Saarland. Auffällig viele Fälle weisen Hessen mit 92 und Berlin mit 93 auf; wobei Hessen 5.000 Bedienstete weniger als Berlin hat.
  • Beim Verfassungsschutz und beim Auslandsdienst BND kann man von Einzelfällen reden, je ein, zwei Personen. Hingegen meldet der Militärischen Abschirmdienst aus der Bundeswehr 108 Prüf- und Verdachtsfälle. Von den 327 Bediensteten, bei denen tatsächliche "Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung" bestehen, entfallen 138 auf den Bund.
  • Viele der Personen sind tief in der Szene verankert. Bei 201 Verdachtsfällen bestanden Kennverhältnisse zu insgesamt 765 bekannten Extremisten, zu Akteuren, Organisationen, Chatgruppen. "Hier ist es besonders wichtig, genau hinzuschauen", stellt der Bericht fest.

Rechtsextremismus: Nur ein Dunkelfeld besser aufgehellt?

Im Vergleich zum ersten Lagebericht von 2020 sind die Fallzahlen gestiegen. Im Raum steht die Frage, ob der Verfassungsschutz nur genauer hinschaut und ein Dunkelfeld besser aufhellt, weil mit der nochmal erhöhten Sensibilisierung auch die Schwelle gesunken ist, Verdachtsfälle zu melden. Oder: Ob die Zahl der Rechtsextremisten bei den Sicherheitsdiensten gestiegen ist, obwohl sie wussten, dass eine Untersuchung in den eigenen Reihen lief.

Letztes wäre umso erschreckender, weil die Angehörigen des öffentlichen Dienstes verpflichtet sind, sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu bekennen und weil sie vor einer Einstellung bei Polizei und Geheimdiensten genau daraufhin überprüft werden. Stellt die Polizei Radikale ein oder wird man erst bei der Polizei radikal? In einem Punkt legt sich Verfassungsschützer Haldenwang fest: Mit dem Missverständnis, man könne solche Probleme in den eigenen Reihen irgendwie regeln, "ist gründlich aufgeräumt worden.“

Rechtsextremismus: Vorbereitung auf den Tag X

Die meisten Fällen drehen sich um einschlägige Chatgruppen und Organisationen, Heil-Hitler-Rufe, antisemitische oder den Nationalsozialismus verherrlichende Inhalte. Aber bei den SEK-Beamten, die Munition klauen, geht es nicht mehr "nur" um Verbalradikalismus.

In einem weiteren Fall hortete eine Spezialeinheit Waffen und Munition für den Tag X, für den Ausbruch eines „offenen Kampfes gegen den demokratischen Verfassungsstaat und den Beginn der ‚nationalen Revolution". Solche Vorfälle führten zu 500 straf- und disziplinarrechtlichen Maßnahmen und gar zur Auflösung ganzer Einheiten.

Rechtextremismus: Faeser will Disziplinarrecht verschärfen

Innenministerin Faeser will alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen und womöglich nachschärfen. Einen Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesdisziplinargesetzes werde sie "noch in diesem Jahr vorlegen". Faeser: "Wir werden Verfassungsfeinde schneller als bisher aus dem öffentlichen Dienst entfernen. "

Wie mühsam die Aufarbeitung sein kann, zeigt ein Fall, der bundesweit für Aufsehen sorgte und maßgeblich dazu führte, dass der Verfassungsschutz auch die Sicherheitsbehörden ins Visier nahm: Franco A. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm seit 2017 vor, Anschläge auf Politiker geplant zu haben. Bis heute steht ein Gerichtsurteil aus.

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