Moskau. Als Scholz in Moskau mit Präsident Putin spricht, gibt es Anzeichen für Entspannung im Ukraine-Konflikt. Aber kann man ihnen trauen?

Der Airbus der Bundesluftwaffe landet bei strahlend blauem Himmel auf dem Moskauer Flughafen Wnukowo. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wird in Moskau mit Tauwetter begrüßt. Am Dienstag scheint die Sonne, der Schnee auf den Straßen schmilzt. „Das ist wie im März“, sagen die Moskauer. Die Temperaturen sind einige Grad satt über null. In den vergangenen Tagen war der Himmel über der russischen Hauptstadt dunkel, die Luft frostig.

Es passte zum politischen Klima. Zwischen Ost und West lag die Kriegsgefahr rund um den Ukraine-Konflikt. In den USA kursierten Geheimdienstberichte über einen Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine an diesem Mittwoch.

Kaum ist Scholz in Moskau angekommen, gibt es klare Anzeichen für Entspannung. Der Sprecher von Präsident Wladimir Putin, Dmitri Peskow, bestätigt den geplanten Abzug eines Teils der an der Grenze zur Ukraine zusammengezogenen russischen Soldaten. Bei dem Rückzug der Truppen handele es sich um einen „gewöhnlichen Vorgang“, sagt Dmitri Peskow am Dienstag. „Wir haben immer gesagt, dass die Truppen nach dem Ende der Militärübungen in ihre Militärbasen zurückkehren würden“, betont er.

Olaf Scholz bei Wladimir Putin: Gute Signale und große Distanz

Entwarnung auch in Kiew. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba erklärt eine weitere Eskalation in dem Konflikt daraufhin für abgewandt. Kiew und seine westlichen Verbündeten hätten Russland daran gehindert, den Konflikt weiter zu verschärfen.

Gute Nachrichten zu Beginn des mehrstündigen Gesprächs zwischen Putin und Scholz, aber wie tragfähig sind diese? Kurz nach Mittag sitzen sich die beiden im Grünen Salon im ersten Stock des Kremls gegenüber. Wie beim Besuch des französischen Präsidenten Emmanuel Macron vor gut einer Woche sind Gastgeber und Gast etwa sechs Meter getrennt an einem Jugendstiltisch. Zu Beginn werden Freundlichkeiten ausgetauscht. Es ist ein vorsichtiges Abtasten.

Nach rund vier Stunden findet die Pressekonferenz im Katharinensaal statt. Der Weg führt durch Gänge, an denen rechts und links Putin-Fotos in allen Variationen hängen. Der Kremlchef unter der einfachen Bevölkerung, auf einem U-Boot, in der russisch-orthodoxen Kirche oder in einer Firma. Mal der Präsident zum Anfassen, mal der majestätische Staatschef. Auf der Decke über der Treppe zum Katharinensaal prangt ein voluminöser Kronleuchter. Im großen Rund des Saals stehen mehr als zehn Meter hohe Säulen. Die wuchtige weiß-blaue Kuppel ist goldverbrämt.

Scholz: Frieden in Europa „unsere verdammte Pflicht“

Putin und Scholz schreiten zu den Rednerpults. Der Kanzler begrüßt die Ankündigung Russlands, die Zahl der Soldaten an der Grenze zur Ukraine zu verringern. „Es sind gute Signale, das einzelne Truppen abgezogen werden – ich hoffe, dass weitere folgen“, sagt er. Er redet ernst, konzentriert. Sicherheit in Europa könne es nur mit Russland geben.

Gleichzeitig warnt er: „Für Menschen meiner Generation ist ein Krieg in Europa undenkbar geworden. Es ist unsere verdammte Pflicht zu vermeiden, dass es in Europa zu einer kriegerischen Eskalation kommt.“

Putin wippt unruhig mit den Beinen. Er übt scharfe Kritik am Nato-Einsatz im früheren Jugoslawien 1999. Und er schiebt nach: „Was im Donbass geschieht, ist Völkermord.“ Der Kremlchef moniert, dass die USA und die Nato nicht auf russische Sicherheitsbedenken eingegangen seien. Aber er räumt ein, dass einzelne Vorschläge wie die Reduzierung von Kurz- und Mittelstreckenraketen diskussionswürdig seien.

Bundeskanzler agiert überlegt – Putin zuckt

Scholz macht geltend, dass die Bundesregierung nicht mit der Ausweisung der Moskauer Korrespondenten der Deutschen Welle einverstanden sei. Auch die Verhaftung des Oppositionspolitikers Alexej Nawalny rügt er. Es sind ruhige Worte, klar im Ton, ohne polemische Schärfe. Putin zuckt dann nervös mit den Beinen.

Berichtet aus dem Kreml: Michael Backfisch.
Berichtet aus dem Kreml: Michael Backfisch. © Privat | Privat

Bei der Frage nach der deutsch-russischen Erdgas-Pipeline Nord Stream 2 als Element möglicher Sanktionen antwortet Scholz: „Wenn es zu einer Eskalation kommt, wissen alle, was das bedeutet.“ Und er betont: Der Dialog mit Moskau sei unverzichtbar.

Der Kanzler hat sich intensiv auf die Begegnung mit Putin vorbereitet. Er sprach mit Russland-Experten aus verschiedenen Ländern. Er las das Buch „Inside Putin’s Russia“ von Andrew Jack, einem ehemaligen Moskau-Korrespondenten der Wirtschaftszeitung „Financial Times“. Vor Wochen habe Scholz auch Tipps von Ex-Kanzlerin Angela Merkel bekommen, die Putin kennt wie kaum ein anderer Regierungschef.

Ukraine: Kreml diskutiert im TV über das weitere Vorgehen

Der erste Teil der russischen Entspannungsoffensive beginnt schon am Montag. In einem vom Fernsehen übertragenen Treffen fragt Putin seinen Außenminister Sergej Lawrow: „Gibt es eine Chance, mit unseren Partnern eine Einigung in wichtigen Punkten zu erlangen, oder ist dies ein Versuch, uns in einen endlosen Verhandlungsprozess zu ziehen?“ Er redet wie ein Lehrmeister, der seinen Schüler prüft.

Lawrow entgegnet: Die Gespräche sollten zwar „nicht unendlich fortgesetzt werden, aber ich schlage vor, sie fortzusetzen und zu verstärken“. Kurz wird Verteidigungsminister Sergej Schoigu mit dem Satz eingeblendet: „Einige Manöver gehen zu Ende, einige werden in naher Zukunft beendet werden, andere dauern noch an.“

In beiden Fällen sitzt Putin am Ende eines langen Tisches, rund 20 Meter von seinen Ministern entfernt. Eine sorgfältig choreografierte TV-Vorstellung, die wohl für das Publikum im Westen gedacht ist.

Hackerangriff auf das ukrainische Verteidigungsministerium

Am Montag in Kiew macht Scholz einige Aussagen, die man in Moskau gern gehört hat. Im Pressesaal des Präsidialgebäudes steht er neben dem ukrainischen Staatschef Wolodymyr Selenskyj. An einer Stelle wischt der Kanzler den Wunsch der Ukraine, der Nato beizutreten, elegant vom Tisch. „Die Frage von Mitgliedschaften in Bündnissen steht ja praktisch gar nicht an“, meint er.

Bringt dieser Mittwoch Krieg? Oder Frieden? Oder irgendetwas dazwischen? Oder wird der Konflikt nur vertagt? Als Scholz am späten Abend aus Moskau abfliegt, kommt die Nachricht, dass das ukrainische Verteidigungsministerium und zwei staatliche Banken Opfer eines Hackerangriffs geworden sind. Die Hintergründe waren unklar.