Berlin. In der Pandemie erreicht Deutschland 2020 sein Jahresziel für weniger ausgestoßenes Treibhausgas. Horst Seehofer muss aber nachbessern.

Dass das noch klappt, hätte vor ein, zwei Jahren wohl kaum jemand geglaubt: Deutschland hat sein Klimaziel für 2020 erreicht – auch wegen der Corona-Pandemie. 739 Millionen Tonnen Treibhausgase wurden in der Bundesrepublik im vergangenen Jahr freigesetzt. Das sind 8,7 Prozent weniger als im Jahr zuvor und 40,8 Prozent weniger als 1990. Die Zielmarke der Bundesregierung war eine Reduktion um mindestens 40 Prozent im Vergleich zu 1990.

Zum dritten Mal in Folge würden die Daten „große Fortschritte“ belegen, sagt Umweltministerin Svenja Schulze (SPD), die die Zahlen am Dienstag gemeinsam mit dem Chef des Umweltbundesamtes (UBA), Dirk Messner, vorstellte. In fast allen Sektoren, für die im Klimaschutzgesetz Einsparungsziele für Emissionen festgesetzt sind, konnten diese im letzten Jahr erreicht werden.

Nur im Gebäudebereich scheiterte man an den eigenen Ambitionen. Doch wo die Einsparungen an manchen Stellen Ergebnis von Strukturwandel und Klimaschutzpolitik sind, ist es in anderen Sektoren vor allem die Pandemie, die die Bilanz und die zuständigen Minister rettet.

Entscheidend sind die hohen CO2-Preise im Emissionshandel

Die größten Erfolge kommen aus dem Energiesektor: 38 Millionen Tonnen CO2 wurden 2020 bei der Herstellung von Strom eingespart, das entspricht einem Minus von 14,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Vor allem die Menge der ausgestoßenen Treibhausgase aus der Kohleverstromung ging zurück. Und das, obwohl erst Ende des Jahres die ersten Kraftwerke im Rahmen des Kohleausstiegs vom Netz gingen.

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    Entscheidend waren die hohen CO2-Preise im europäischen Emissionshandel. Trotz Krise lag der Preis für eine Tonne CO2 ähnlich wie im Vorjahr im Schnitt bei 25 Euro. „Der europäische Emissionshandel funktioniert“, sagte dazu Dirk Messner. Doch der UBA-Präsident stellte auch klar: Ohne Corona wären die Ziele in diesem Jahr nicht erreicht worden. Gut ein Drittel der Minderungen sei auf die Folgen der Pandemie zurückzuführen.

    Umweltministerin Svenja Schulze und UBA-Präsident Dirk Messner verweisen auf Corona-Effekte in den Daten.
    Umweltministerin Svenja Schulze und UBA-Präsident Dirk Messner verweisen auf Corona-Effekte in den Daten. © Getty Images | Pool

    Vor allem im Verkehr wenig langfristige Klimaerfolge

    Vor allem im Verkehr, wo im Vergleich zu 2019 11,4 Prozent Emissionen eingespart werden konnten, werden vor allem Corona-Effekte sichtbar und weniger langfristige Entwicklungen zur Klimaneutralität. Weniger lange Autofahrten, weniger Lkw auf den Straßen: Sobald die Wirtschaft wieder anlaufe, werde ein Großteil dieser Effekte verschwinden, warnte Messner.

    Er sprach sich am Dienstag deshalb auch für ein Enddatum für Verbrenner in Deutschland aus – spätestens 2030. In der Kohle habe man gesehen, dass das Prozesse beschleunige.

    Kein Effekt einer „geordneten Klimapolitik“

    „Katastrophen und Wirtschaftskrisen ersetzen keine geordnete Klimapolitik“, betonte auch Umweltministerin Schulze im Hinblick auf den Corona-Effekt in der Bilanz. Es gebe keinen Grund, sich auszuruhen: „Niemand kann die Füße hochlegen.“

    Der Erste, der jetzt nacharbeiten muss, ist Horst Seehofer (CSU): Die Emissionen im Gebäudebereich, der in die Verantwortung des Bundesinnenministers fällt, liegen um zwei Millionen Tonnen CO2-Äquivalente über der angestrebten Zielmarke. Lesen Sie dazu:Klima: So kann die europäische Renovierungswelle klappen

    Modern, aber trotzdem umstritten: Kohlekraftwerke wie hier Datteln 4.
    Modern, aber trotzdem umstritten: Kohlekraftwerke wie hier Datteln 4. © imago images/Hans Blossey | imago stock

    Horst Seehofer muss „nachsitzen“

    Weil im Klimaschutzgesetz von 2019 festgeschrieben ist, dass die jeweiligen Fachminister verantwortlich sind, muss Seehofer – nach der Stellungnahme eines Expertenrats im April – innerhalb von drei Monaten Sofortmaßnahmen vorschlagen, wie die Emissionen gesenkt werden können – damit die noch niedrigeren Ziele im nächsten Jahr erreicht werden.

    Das Klimaschutzgesetz sei gut, doch die darin festgeschriebenen Ziele seien überholt, sagen Klima- und Umweltschützer. Fast 90 Verbände appellierten deshalb am Dienstag an die Bundesregierung, die Einsparungsziele zu erhöhen. Ein Minus von 55 Prozent Emissionen bis 2030, wie es bislang im Gesetz verankert ist, stehe „nicht im Einklang mit den Zielen des Pariser Klimaabkommens und der Europäischen Union“, hieß es in einer Stellungnahme.

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    Die EU wird ihre Klimaziele erhöhen

    Denn die EU wird ihre Ziele erhöhen, auch wenn noch nicht sicher ist, wie stark. 55 Prozent hat die Kommission vorgeschlagen, das Parlament will sogar 60 Prozent, derzeit laufen Gespräche über die finale Zahl. Klar ist: Auch Deutschland wird ehrgeiziger werden müssen. Mindestens 70 Prozent weniger Treibhausgase bis 2030 fordern die Verbände. Umweltministerin Schulze geht davon aus, „dass wir eher bei 65 Prozent landen werden“.

    Auch Patrick Graichen, Direktor des Thinktanks Agora Energiewende, mahnt mehr Tempo an. Für die nächsten Jahre sei zu befürchten, dass die Emissionen in Deutschland wieder steigen, auch weil Wind- und Solarstrom nicht schnell genug ausgebaut werden. „Der aktuelle Ausbau von erneuerbaren Energien reicht nicht aus, um den Atomausstieg 2022 zu kompensieren.“

    Der Druck, Emissionen zu senken, wird so schnell jedenfalls nicht nachlassen. Dafür will auch die Klimaschutzbewegung Fridays for Future sorgen: Für diesen Freitag ist der nächste globale Klimastreik angekündigt.