Berlin. In ihrer Sommer-Pressekonferenz mahnt Merkel, im Kampf gegen Corona nicht nachzulassen. Das Virus sei eine „demokratische Zumutung“.

Angela Merkel verschwendet keine Zeit. Sie startet ihre traditionelle Sommerpressekonferenz mit einer schonungslosen Corona-Bestandsaufnahme. „Das Virus ist eine demokratische Zumutung.“ Die Pandemie sei vor allem im Frühjahr „ein tiefer Einschnitt für jeden von uns“ gewesen und habe das Arbeits- und Privatleben dramatisch verändert. Die nächsten Monate mit Herbst und Winter würden noch schwierig, warnte Merkel.

Am Donnerstag hatten Merkel und die Ministerpräsidenten der Länder versucht, nach Monaten mit viel Durcheinander ein einheitliches, aber regional angepasstes Vorgehen abzusprechen. Bei den für viele wichtigen Festen und Familienfeiern ist das nur zum Teil gelungen. Wann es Fußballspiele mit Tausenden Zuschauern geben kann, ist weiterhin unklar. Immer mehr Menschen sind unzufrieden und gehen auf die Straße.

Corona: Merkel bedankt sich bei Deutschen für Vernunft

Jetzt sagte sie, über den Sommer hätten sich viele Menschen im Freien aufhalten können. Draußen gebe es einen besseren Schutz vor Aerosolen. Nun werde es darum gehen, die niedrig zu halten, wenn die Menschen sich wieder mehr drinnen an Arbeitsplätzen, in Schulen und Wohnungen aufhielten.

Zu den höheren Infektionszahlen meinte Merkel: „Das macht uns Sorgen. Es ist ernst, unverändert ernst. Nehmen Sie es auch weiterhin ernst!“ Die meisten Menschen in Deutschland hätten Vernunft, Verantwortungsbewusstsein und Mitmenschlichkeit gezeigt. „Ich werde für diese millionenfache Reaktion der Menschen immer dankbar sein.

Merkel betonte, weitere Schließungen von Schulen und Kitas sollten unbedingt vermieden werden. Sie wolle alles dafür tun, dass Kinder nicht Verlierer würden: „Die Schule darf niemanden zurücklassen.“ Merkel war von der Opposition und Bildungsexperten vorgeworfen worden, während des Lockdowns im Frühjahr zunächst die Nöte von Kindern und Familien aufgrund der Schulschließungen zu wenig beachtet zu haben.

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Für Merkel hat sich ihr berühmter Satz „Wir schaffen das“ verselbstständigt

Für ihr Eröffnungsstatement, in dem die Kanzlerin auch ihre Agenda für die deutsche EU-Ratspräsidentschaft bis Jahresende umreißt, braucht Merkel keine zehn Minuten. Dann kommt die erste Journalistenfrage – und sie dreht sich um Merkels berühmtesten und umstrittensten Satz, den sie fast auf den Tag genau vor fünf Jahren auf dem selben Platz in der Bundespressekonferenz sagte: „Wir haben so vieles geschafft – wir schaffen das!“, erklärte Merkel am 31. August 2015 zur Flüchtlingspolitik und ihrer Entscheidung, die Grenzen für syrische Flüchtlinge offenzuhalten.

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Eine Reporterin will nicht nur wissen, ob der Flüchtlingssatz auf die Pandemie übertragbar sei, sondern auch, wer oder was Merkel in den zurückliegenden fünf Jahren „geschafft“ habe? Merkel schaut etwas spöttisch. Das macht sie immer, wenn eine Frage sie etwas belustigt. „Ich sitz’ ja noch hier. Geschafft hat mich eigentlich nichts, aber gefordert Vieles.“ Und zu ihrer Überschrift der Flüchtlingskrise meinte sie: „Dieser Satz steht für sich, manchmal hat er sich fast ein bisschen verselbstständigt, aber egal.“ Deutschland habe bei der Integration einiges geschafft. Viele Geflüchtete hätten Abitur gemacht und studierten nun. „Es zeigt sich, dass viel geleistet wurde.“

Für eine Korrektur der Russland-Politik sieht Merkel keinen Anlass

Dann drehen sich die Fragen schnell um die internationale Politik. Hat sich das deutsche Verhältnis zu Russland verschlechtert? Merkel hatte vom russischen Präsidenten Wladimir Putin außergewöhnlich deutlich Aufklärung im Fall des russischen Regierungskritikers verlangt. Seit Samstag liegt Nawalny in der Berliner Charité. Er wurde wahrscheinlich Opfer eines Giftanschlags, glauben die Ärzte. Steckt der Kreml womöglich dahinter? Das Verhältnis zu Putin ist ohnehin belastet - unter anderem wegen der Lage in der Ukraine. Knapp ein Jahr nach dem mutmaßlichen russischen Auftragsmord an einem Georgier in Berlin wartet die Bundesregierung zudem weiter auf Kooperation Moskaus bei der Aufklärung.

Es brodelt auch in Belarus. Putin hat angekündigt, es sei bereit, seinem Nachbarn bei einer weiteren Zuspitzung der Lage mit Einsatzkräften zu helfen. Eine solche womöglich blutige Zuspitzung angesichts der andauernden Proteste gegen Staatschef Alexander Lukaschenko will die Kanzlerin unbedingt vermeiden. „Ich hoffe, dass eine solche Truppe nicht zum Einsatz kommt“, sagte Merkel. Die Souveränität Weißrusslands müsse gewahrt bleiben. Die Menschen gingen auf die Straße, um Demokratie, Meinungs- und Pressefreiheit zu erkämpfen. Dies müsse eigenständig, „ohne Einmischung von außen passieren“. Umgekehrt wolle Deutschland mit Russland im Gespräch bleiben. Moskau sei ein geostrategischer Akteur, an dem man bei Konflikten wie in Syrien oder in Libyen nicht vorbeikomme. Das hört sich nicht danach an, als ob Merkel eine offene Konfrontation mit Putin suchen will.

Pleitewelle und Massenarbeitslosigkeit drohen

Kanzlerin und Koalition wollen mit einem 130-Milliarden-Euro-Konjunkturpaket verhindern, dass Europas größte Volkswirtschaft abstürzt. Muss die Regierung bei den Hilfen im Herbst nachlegen - und ist dann noch genug Geld da? Merkel betonte, die Bundesregierung habe in den Vorjahren gut gewirtschaftet und nun die nötige Kraft, die Krise durchzustehen. Das komme auch Europa zugute. Der beim EU-Gipfel beschlossene Wiederaufbaufonds sei ein wichtiger Schritt gewesen.

Wie sieht Merkel die frühe Nominierung von Vizekanzler Scholz zum SPD-Kanzlerkandidaten? Was heißt das für die offene Nachfolge an der CDU-Spitze und der folgenden Kanzlerkandidatur der Union? Auf eine entsprechende Frage antwortet Merkel schmallippig. Sie halte an ihrer Linie fest, sich aus dem Entscheidungsprozess um den CDU-Vorsitz herauszuhalten.

Vor ein paar Tagen war sie da bei einem Besuch bei NRW-Ministerpräsident Armin Laschet noch offener. Der ist Favorit auf den CDU-Vorsitz, über den im Dezember entschieden werden soll. Laschet habe das „Rüstzeug“ für den Job als Kanzler, sagte Merkel in Düsseldorf.Mehr Lob geht kaum. Aber da ist ja noch Markus Söder. Der CSU-Chef und bayerische Ministerpräsident ist beliebter als Laschet.

Hat Trump Merkel „verzaubert“? Davon hat die Kanzlerin nichts mitbekommen

Lustig wird es, als Merkel auf eine Aussage des früheren US-Botschafters in Berlin, Richard Grenell, angesprochen wird. Grenell sagte gerade auf dem Nominierungsparteitag der Republikaner: „Als US-Botschafter in Deutschland hatte ich einen Sitz in der ersten Reihe in Donald Trumps America First Außenpolitik. Ich wünschte, jeder Amerikaner könnte sehen, wie Präsident Trump in ihrem Namen verhandelt.“ Er sei Zeuge geworden, wie Trump Bundeskanzlerin Angela Merkel „verzaubert“ habe, während er gleichzeitig darauf bestanden habe, dass Deutschland seinen Nato-Verpflichtungen bei Verteidigungsausgaben nachkommt.

Auf die Kombination „Trump“, „Merkel“ und „verzaubert“ muss man erst einmal kommen - so reagiert Merkel erst einmal gar nicht. Sie muss nachfragen – und reagiert so: Solche Dinge kommentiere sie nicht. Sie arbeite mit jedem gewählten US-Präsidenten zusammen. Von Trump hält sie nichts, das ist kein Geheimnis. Dafür brauchte sie bei gemeinsamen Treffen mit dem Mann im Weißen Haus keine Worte. Ein Blick in ihr Gesicht verriet alles. Es gebe „hier und da“ Meinungsverschiedenheiten, sagt Merkel jetzt. Das Wort hätten Anfang November die US-Wähler.

Und was macht die 66-Jährige, wenn nach der Wahl im nächsten Herbst ihre politische Karriere als mächtigste Frau der Welt endet? Merkel lässt sich da nicht in die Karten schauen: „Ich bin voll beschäftigt mit der Ist-Zeit.“ Eine Reise mit der transsibirischen Eisenbahn habe sie noch nicht gebucht. Das hatte sie mal als Zukunftsplan erwähnt. Es werde sich schon etwas für sie finden nach der Politik: „Ich bin optimistisch."(tb/mün)

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