Berlin. Der Finanzminister erwartet Rekordeinnahmen, aber finanzielle Spielräume sieht er nicht. Die Bundesländer melden schon Wünsche an.

Eigentlich klingt es, als müsste Christian Lindner freuen, was er am Donnerstag in Berlin vorträgt: Die Steuerkasse des FDP-Finanzministers wird in den kommenden Jahren klingeln. Das sagt jedenfalls der Arbeitskreis für die Steuerschätzung, der sich seit Dienstag in Sachsen-Anhalt getroffen hatte.

Die Steuerschätzer gehen nach der von Lindner präsentierten Prognose davon aus, dass Bund, Länder und Kommunen bis 2026 rund 126,4 Milliarden Euro mehr einnehmen werden als noch bei der vorherigen Schätzung im Mai erwartet. In diesem Jahr sollen die Steuereinnahmen wegen der Energiekrise zwar um 1,7 Milliarden Euro geringer ausfallen als vorhergesagt. Schon 2023 erwartet der Arbeitskreis aber ein Plus von 8,9 Milliarden Euro, davon allein 4,5 Milliarden für den Bund.

Hintergrund der hohen erwarteten Einnahmen ist laut Lindner ein robuster Arbeitsmarkt und zum Teil sehr gute Ergebnisse von Unternehmen. Aber auch die Inflation trägt einen erheblichen Teil dazu bei: Wenn Waren teurer werden, steigen auch die Einnahmen aus den Steuern, die darauf zu entrichten sind. Vor allem die Mehrwertsteuer spült mehr Geld in die Kassen.

Steuerschätzung: Christian Lindner stellt verbale Warnschilder auf

Doch Rekordeinnahmen zum Trotz dauert es am Donnerstag nur eine knappe halbe Minute, bis Lindner bei der Vorstellung der Zahlen zum ersten großen verbalen Warnschild kommt: „Achtung“, vermittelt der Finanzminister – der schöne Schein trügt.

Man dürfe sich von diesen Zahlen „nicht täuschen lassen“, sagte Lindner und nannte gleich mehrere Gründe, warum der Geldsegen vor allem auf dem Papier besteht. Ebenso wie die Erwartungen zur wirtschaftlichen Entwicklungen in der Krise insgesamt seien auch die Ergebnisse der Schätzung sehr unsicher, sagte der Minister. Und die Inflation bedeute nicht nur höhere Einnahmen, sondern auch höhere Ausgaben für den Staat selbst.

Vor allem aber rechnen die Steuerschätzer auf der Grundlage des aktuellen Steuerrechts – geplante, aber noch nicht beschlossene Reformen sind deshalb im Ergebnis noch nicht drin. Das gilt etwa für Lindners Pläne, den Einkommensteuertarif an die hohe Inflation anzupassen.

Kalkuliert man geplante Entlastungsmaßnahmen im Steuerrecht ein, ergibt sich laut Lindner für den Bund im kommenden Jahr ein Minus von 7,4 Milliarden Euro. Auch 2024 gebe es statt einem Plus von 11,6 Milliarden in Wahrheit ein Minus von 4,7 Milliarden.

„Vermeintliche finanzielle Spielräume“ gäbe es deshalb nicht, sagt der Minister. Es bleibe „essenziell, Haushaltsdisziplin zu wahren“.

Bei der nächsten Ministerpräsidentenkonferenz geht es auch um Finanzen

Diese Serie von Einschränkungen soll vor allem eines tun: Mögliche Begehrlichkeiten angesichts dieser großen Zahlen im Keim ersticken, egal ob bei den Koalitionspartnern von SPD und Grünen oder bei Ländern und Kommunen.

Denn die Schätzung ist auch der Startschuss um eine neue Debatte um die Verteilung des Geldes. Nicht zufällig findet die nächste Runde der Bund-Länder-Beratungen erst in der kommenden Woche statt – nach der Schätzung, wenn klar ist, wie viel Geld es zu verteilen gibt in verschiedenen Bereichen, und wer es bekommen soll.

Denn da gibt es an einigen Stellen Differenzen zwischen Bund und Ländern. Etwa bei der Frage danach, wer welche Kosten übernimmt für die Unterbringung der ukrainischen Geflüchteten, die in diesem Jahr nach Deutschland gekommen sind.

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Die Länder wollen mehr Geld für das 49-Euro-Ticket

Unter anderem Joachim Herrmann (CSU), Innenminister von Bayern und Vorsitzender der Innenministerkonferenz, dringt darauf, dass der Bund hier finanzielle Verantwortung übernimmt. „Wir haben nun bereits Oktober und warten immer noch darauf, dass der Bund endlich seiner Finanzierungsverantwortung im Bereich Asyl und Integration gerecht wird“, sagte Herrmann unserer Redaktion.

Länder und Kommunen bräuchten Planungssicherheit. „Es kann jedenfalls nicht sein, dass der Bund immer mehr Flüchtlinge aufnehmen möchte, die Länder und Kommunen aber dann im Regen stehen lässt – egal, ob die Steuereinnahmen sprudeln oder nicht.“

Und auch beim 49-Euro-Ticket, dass an den 9-Euro-Erfolg aus dem Sommer anknüpfen soll, hat man sich zwar verständigt, dass es kommen soll – aber noch nicht darauf, wer wie viel zahlt. Das Ticket sei eine echte Entlastung für viele Pendler, sagte Maike Schaefer, Vorsitzende der Verkehrsministerkonferenz und Verkehrssenatorin von Bremen, unserer Redaktion.

„Voraussetzung ist und bleibt aber die dringend notwendige Erhöhung der Regionalisierungsmittel und eine Mitfinanzierung des Bundes für die Kostenexplosion bei den Energiepreisen“, sagte sie.

Städtebund fürchtet „größte Finanzkrise“ für Kommunen seit Bestehen der Republik

Das Ticket habe weder einen finanziellen Entlastungseffekt noch Vorteile für den Klimaschutz, wenn die Länder Nahverkehrsstrecken schließen müssten, um es zu bezahlen. „Die Länder sind bereit und haben ihre Hausaufgaben gemacht, nun sind der Bundeskanzler und die Ministerpräsidentenkonferenz am Zug.“

Bei den Kommunen dagegen teilt man Lindners eher vorsichtige Sicht auf die Finanzlage. Die Zahlen seien „ein Zerrbild“, sagte Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, unserer Redaktion. „Wir stehen sehr wahrscheinlich vor der größten Finanzkrise der Städte und Gemeinden seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland.“

Er fordert deshalb eine Priorisierung bei den Ausgaben: Der Staat müsse prüfen, welche Leistungsversprechen „wirklich notwendig und auch erfüllbar sind“ – und andere möglicherweise zurückzunehmen.

Dieser Artikel erschien zuerst bei morgenpost.de.