Berlin. Die Reisepolitik ist nicht verlässlich und die Testpflicht wird als Druckmittel gegenüber Ungeimpften genutzt, meint Miguel Sanches.

Es sollte kein Problem sein, sich vor einer Einreise in Deutschland auf Covid-19 testen zu lassen. Es genügt ein Schnelltest. Die Kosten halten sich im Rahmen. Der zusätzliche Aufwand ist vertretbar und in den meisten Urlaubsregionen keine große Sache. Zumindest in vielen EU-Staaten gehören Schnelltests seit Langem zum Alltag in der Pandemie. Lesen Sie auch: Testpflicht – Diese Regeln gelten für Reiserückkehrer

Miguel Sanches / Funke Mediengruppe
Miguel Sanches / Funke Mediengruppe © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Die jetzt erweiterte Testpflicht kann nicht schaden, aber auf jeden Fall helfen, die Verbreitung des Virus zu bremsen. Sie ist zumutbar und für Flugpassagiere ohnehin nichts Neues. Hinzu kommt, dass der Anteil der vollständig Geimpften in Deutschland bei über 50 Prozent liegt und sie – wie die Kinder bis zu zwölf Jahren – von der Regelung ausgenommen werden.

Die Testpflicht betrifft somit höchstens jeden dritten Bundesbürger, de facto weniger. Einige haben ihren Urlaub bereits gemacht. Wieder andere verbringen ihn daheim.

Reisepolitik: Spitzenpolitikern fällt es schwer, sich den Alltag der kleinen Leute vorzustellen

Einige kritische Fragen bleiben. Erstens: Warum hat man nicht schon früher für Verlässlichkeit und Planungssicherheit gesorgt? Der Sommer und die Schulferien sind nicht plötzlich über uns ­hereingebrochen.

Es war auch klar, dass die Pandemie weltweit nicht zum Stillstand kommen würde. Nicht zufällig wünschte sich der Tourismusbeauftragte Thomas Bareiß, dass Regelungen verlässlich über die Sommersaison gelten. Attestiert da einer durch die Blume der eigenen Regierung Kurzsichtigkeit und Aktionismus?

Zweitens: Warum lässt man Reiserückkehrern, Geschäftsleuten oder auch ausländischen Touristen, die Deutschland besuchen wollen, nicht mehr Zeit, sich auf die neuen Auflagen einzustellen? Warum diese Hektik? Warum diese Fallbeilbeschlüsse?

Versetzen wir uns mal in die Lage eines Menschen, der mit dem Auto nach Apulien gefahren ist und am Montag seine Arbeit in Deutschland wieder aufnehmen soll. Quasi über Nacht kommt für die Rückreise mit der neuen Testpflicht ein zusätzlicher Stressfaktor hinzu.

Auf solche Auflagen kommen Leute, die mit dem Dienstwagen unterwegs sind und Referenten haben, die sich um alles kümmern. Da wird deutlich, wie schwer es Spitzenpolitikern fällt, sich den Alltag der kleinen Leute vorzustellen. Was wäre eigentlich so schlimm, wenn man die erweiterte Testpflicht erst im Laufe der nächsten Woche in Kraft setzen würde? Lesen Sie auch: Corona-Risiko: Ist Urlaub im Hochinzidenzgebiet vertretbar?

Testpflicht für Reiserückkehrer: Effekthascherei im Spiel

Drittens: Die Testpflicht ist – anders als bei Flugreisen – schlecht zu kontrollieren. Das Risiko, auf der Autobahn angehalten oder aus dem Zug herausgeholt zu werden, ist gering. Politisch ist viel Effekthascherei im Spiel. Es ist nicht mal sicher, ob der Bundestag Anfang September eine Verlängerung der Epidemie nationaler Tragweite feststellen wird.

Tut er das nicht, entfällt auch eine Legitimation für die Reiseauflagen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass am Sonntag eine Regelung in Kraft trat, die in wenigen Wochen vielleicht keinen Bestand mehr haben wird.

Die Ausweitung der Testpflicht wird zwei Folgen haben. Zum einen schafft sie Verunsicherung: im Zweifel keine Auslandsreise buchen. Gut für die einheimische Tourismusbranche, die bereitsteht. Schlecht für viele südeuropäische Staaten, in denen der Fremdenverkehr ökonomisch eine so große Bedeutung hat wie die Autowirtschaft für Deutschland.

Zum anderen wird der Druck auf die Bürger erhöht, sich impfen zu lassen, im Zweifel gegen ihre Überzeugung, gegen ihr Empfinden oder Bauchgefühl – einfach nur, damit sie unbehelligt reisen können. Das ist vermutlich sogar der wichtigste Beweggrund der Bundesregierung und der Bundesländer gewesen – die Impfquote zu erhöhen. Der Zweck heiligt offenbar die Mittel von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU).