Berlin . Die Ukraine bittet Deutschland um Schützenpanzer und Haubitzen. Selbst wenn die Bundesregierung liefern wollte: Sie kann es nicht.
Die Ukraine braucht schwere Waffen von Deutschland. Um 100 Schützenpanzer Marder hat Präsident Wolodymr Selenski gebeten. Offenbar hat die Rüstungsindustrie auch 100 "Panzerhaubitzen 2000" von sich aus ins Spiel gebracht. Beides könnte aus Beständen der Bundeswehr an die Truppen der Ukraine übergeben werden, die Industrie soll angeboten haben, das fehlende Gerät dann nach und nach zu ersetzen.
Grundsätzlich ist Deutschland bereit, im Ukraine-Krieg schwere Waffen zu liefern. Am Montag bekräftigte Außenministerin Annalena Baerbock die Dringlichkeit. Es sei keine Zeit mehr für Ausreden, Kreativität und Pragmatismus seien gefragt. "Die Ukraine braucht vor allem schwere Waffen", sagte sie bei einem Besuch in Luxemburg. Viel Zeit bleibt nicht mehr, Verteidigungsexperten rechnen mit einer russischen Osteroffensive in der Ostukraine.
Am Geld scheitert es nicht. Die Ukraine will bezahlen, 1,7 Milliarden Euro etwa für die Haubitzen samt Munition und Ersatzteilen. 30 Monate soll es dauern, bis die Geschütze ersetzt sind. Und damit beginnen die Probleme. Lesen Sie auch: Hilfe für Ukraine – Deutschlands Kurs sorgt für Enttäuschung
Marder werden gebraucht
Im Fall der Marder hat sich das Bundesverteidiungministerium bereits geäußert: Geht nicht, sagte Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht. Die Bundeswehr habe schlicht keine Schützenpanzer übrig, die sie entbehren kann. Würde sie die 100 Fahrzeuge der Ukraine übergeben, könnten Landes- und Bündnisverteidigung nicht mehr gewährleistet werden.
Wie dramatisch der Zustand des Heeres ist, lässt sich unter anderem daran ablesen, dass die Bundeswehr für die neue Nato-Battlegroup in der Slowakei bloß eine Jägerkompanie abstellen will. Jäger verfügen nur über leichtere Waffen und Transportpanzer vom Typ Fuchs. Erst zu einem späteren Zeitpunkt soll eine Panzergrenadierkompanie in die Slowakei gehen, die ausgestattet mit 14 Mardern über eine höhere Schlagkraft verfügt und für Gefechte im Verbund mit Panzern wesentlich besser gerüstet ist.
Die Fachzeitschrift "Soldat und Technik" hat auf diesen Umstand hingewiesen und argumentiert, wenn die Bundeswehr dazu in der Lage wäre, hätte sie der Nato sofort die schlagkräftigeren Panzergrenadiere zur Verfügung gestellt. Aber das scheint nicht möglich, da die Bestände nicht einmal 14 zusätzliche Fahrzeuge im Einsatz erlauben.
Ukraine braucht dringen schwere Waffen
Das Gegenargument an dieser Stelle lautet, die Bundeswehr könne die der Ukraine überlassenen Schützenpanzer mit instandgesetzten Mardern aus Beständen der Rüstungsindustrie ersetzen. Nur wenige Monate solle es dauern, dann verfügte die Truppe wieder über Marder. Aktuell würden diese in der Ukraine – die nicht nur sich selbst, sondern auch die Nato-Staaten mitverteidigt – dringender gebraucht.
Rheinmetall-Chef Armin Papperger sagte dem "Spiegel" dazu, das Unternehmen brauche etwa sechs Wochen, um 20 Marder fit zu bekommen, fünf bis sechs Monate für 50 weitere.
Nur: Übergäbe die Bundeswehr ihre Marder an die Ukraine, wäre es damit längst nicht getan. Die bis zu 50 Jahre alten Oldtimer sind wartungsanfällig, der Einsatz im Gefecht verstärkt dieses Problem weiter. Soll die ukrainische Armee möglichst lange etwas von Mardern haben, müssten die konstant mit Ersatzteilen und Munition versorgt werden. Von der notwendigen Ausbildung in Bedienung und Wartung ganz zu schweigen.
Bundeswehr: Verteidigungsfähigkeit bedroht
Das bringt nicht nur logistische und sicherheitspolitische Probleme mit sich, schließlich hat Russland Waffenkonvois aus dem Westen zu legitimen Zielen erklärt. Auch müsste die Industrie in Deutschland Ersatzteile an die Ukraine liefern – was dazu führen kann, dass sich die Instandsetzung jener Marder, die aktuell in den Depots lagern, in die Länge zieht.
Die industriellen Kapazitäten dafür, 100 solcher Schützenpanzer in einem möglicherweise sehr langen Kriegseinsatz täglich zu versorgen, während gleichzeitig die verbliebenen Marder der Bundeswehr versorgt werden müssten und ausgemusterte Fahrzeuge wieder einsatztauglich gemacht werden, gibt es in Deutschland nicht mehr.
So können aus wenigen Monaten, in denen die Industrie-Marder wieder für die Bundeswehr fit gemacht werden sollen, schnell mehrere Monate werden. Damit würde das Heer nicht nur vorübergehend auf die Fahrzeuge verzichten, sondern gleichzeitig für einen unbekannten Zeitraum die Leistungsfähigkeit ihrer gepanzerten Truppen stark einschränken. Die ergibt sich gerade aus der Zusammenarbeit von Kampf- und Schützenpanzern.
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Bundeswehr steht "blank da"
Im Fall der eingangs erwähnten 100 Panzerhaubitzen wird dies ungleich deutlicher. Die Bundeswehr verfügt derzeit über rund 108 der hochmodernen Geschütze. Käme die Bundesregierung den Vorstellungen der Rüstungsindustrie nach, würde die Bundeswehr über Jahre auf das Waffensystem komplett verzichten müssen. Vergleichbare Waffen gibt es im Arsenal nicht, das Geschütz ist das Hauptwaffensystem der Artillerietruppe. Das wäre in etwa so als überließe die Luftwaffe ihre Eurofighter-Flotte der Ukraine.
Die Systeme würden außerdem nicht nur im Einsatz fehlen, sondern auch in der Ausbildung, was die militärischen Fähigkeiten der Bundeswehr zusätzlich schwächen würde. Es zeigt sich: Nicht umsonst hat Heeresinspekteur Alfons Mais nach Kriegsausbruch gewarnt, sein Heer stehe im Falle eines russischen Angriffs auf Nato-Gebiet "mehr oder weniger blank da".
Gebrauchte Kampfpanzer als Option
Einen Hoffnungsschimmer für die Ukraine gibt es aber. Rheinmetall will der Ukraine 50 gebrauchte Kampfpanzer vom Typ Leopard I liefern. Die Zustimmung vorausgesetzt, könnten die ersten Fahrzeuge innerhalb von sechs Wochen in der Ukraine stehen, sagte Papperger dem "Handelsblatt" am Montag. Die Ausbildung an dem System sei in kurzer Zeit zu bewerkstelligen.
Anders als beim Marder oder der Panzerhaubitze sind Bundeswehr und Nato auf die Leopard-Panzer nicht angewiesen, die Truppe nutzt seit den 1980er Jahren den Nachfolger Leopard II. Einer Zustimmung sollte eigentlich nichts im Wege stehen.
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