Berlin. Ein Großteil der Ukrainerinnen und Ukrainer fühlt sich laut einer Befragung in Deutschland willkommen – viele wollen länger bleiben.

Über eine Million Menschen sind seit dem Beginn des Kriegs in der Ukraine nach Deutschland geflohen. Ihre Hintergründe sind dabei ganz unterschiedlich. Eine große Studie gibt nun erstmals Auskunft darüber, wie die Menschen aus der Ukraine leben, wie es ihnen geht und wie sie sich die Zukunft vorstellen.

Insgesamt wurden für die Untersuchung knapp 11.000 Ukrainerinnen und Ukrainer im Alter von 18 bis 70 Jahren befragt. An der Befragung waren unter anderem das Forschungszentrum des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) und das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung beteiligt.

Wer sind die Menschen aus der Ukraine?

Mit 80 Prozent machen Frauen einen Großteil der erwachsenen Geflüchteten aus der Ukraine aus. Fast die Hälfte von ihnen (48 Prozent) ist gemeinsam mit minderjährigen Kindern nach Deutschland gekommen.

Gleichzeitig sind es vor allem jüngere Menschen, die aus der Ukraine geflohen sind – der Altersdurchschnitt liegt mit 28 Jahren deutlich unter dem Durchschnitt der Gesamtbevölkerung in dem Land. Viele der Geflüchteten sind außerdem ohne ihre Partner beziehungsweise Partnerin gekommen. Mit 77 Prozent trifft das vor allem bei Frauen zu.

Auch über die Herkunft der Menschen gibt die Studie Auskungt. Ein großer Teil der Geflüchteten kommt demnach aus den Regionen der Ukraine, die am härtesten vom Krieg betroffen sind: 32 Prozent stammen aus der Ostukraine, 19 Prozent aus der Hauptstadt Kiew und 14 Prozent aus dem Süden des Landes.

Warum sind die Menschen nach Deutschland gekommen?

Als Grund für ihre Flucht gaben nahezu alle Ukrainerinnen und Ukrainer einen Grund an: Die Kriegshandlungen in ihrer Heimat. Für Deutschland entschieden sich viele von ihnen vor allem aufgrund von Familienangehörigen, Freunden oder Bekannten, die bereits hier lebten (60 Prozent).

Für 29 Prozent der Geflüchteten war außerdem die Achtung der Menschenrechte ein ausschlaggebender Punkt, für 22 Prozent das Wohlfahrtssystem. Andere Motive waren etwa das Bildungssystem, die Willkommenskultur und die wirtschaftliche Lage in Deutschland.

Millionen Menschen sind seit Beginn des Kriegs aus der Ukraine geflohen – viele von ihnen nach Deutschland.
Millionen Menschen sind seit Beginn des Kriegs aus der Ukraine geflohen – viele von ihnen nach Deutschland. © dpa | Petros Giannakouris

Wie geht es den Geflüchteten?

Der Gesundheitszustand der Menschen aus der Ukraine ist weitgehend gut. 39 Prozent der erwachsenen Menschen bewerteten ihre Gesundheit mit sehr gut oder gut. Nur jede zehnte Person gab an, einen schlechten oder sehr schlechten Gesundheitszustand zu haben – darunter waren vor allem ältere Menschen, Frauen sowie Menschen mit niedrigeren Bildungsabschlüssen.

Während der physische Zustand der Geflüchteten häufig gut ist, leidet vor allem die psychische Gesundheit. Gerade bei Kindern und Jugendlichen liegt das psychische Wohlbefinden laut Studie deutlich unter den durchschnittlichen Werten bei Gleichaltrigen, die in Deutschland lebten. „Wir sehen, dass Krieg und Flucht Spuren hinterlassen haben, die noch weiter fortwirken“, erklärte Nina Rother vom Forschungszentrum des BAMF bei der Vorstellung der Studie.

Auch die Lebenszufriedenheit der Menschen ist eher niedrig. Laut Studie liegt diese auf einer Skala von 1 bis 10 bei durchschnittlich 5,8. Zum Vergleich: In Deutschland lag die Zufriedenheit im Jahr 2020 im Durchschnitt bei 7,5.

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Welche Hintergründe haben die Ukrainerinnen und Ukrainer?

Überdurchschnittliche viele Geflüchtete aus der Ukraine haben eine hohe Bildung. Knapp drei Viertel der Personen (72 Prozent) verfügen über einen Abschluss einer Universität, Hochschule oder einer Berufsakademie.

Bei der beruflichen Ausbildung hingegen liegt der Anteil derjenigen, die einen Abschluss ausweisen können, mit 11 Prozent unter dem Durchschnitt der ukrainischen Bevölkerung. Laut Studie muss hier allerdings beachtet werden, dass die Ausbildungssysteme in Deutschland und in der Ukraine nur bedingt miteinander vergleichbar seien. Viele Inhalte, die in Deutschland in Ausbildungen vermittelt werden würden, seien in der Ukraine Teil von Hochschulstudiengängen.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sieht in der hohen Zahl an Geflüchteten mit guter Bildung eine Chance für den deutschen Arbeitsmarkt: „Das hohe Bildungsniveau und die Bereitschaft, sich schnell einzubringen, mit anzupacken und zu arbeiten, sind sehr erfreuliche Befunde – auch mit Blick auf den drängenden Arbeits- und Fachkräftemangel, den wir nur durch Zuwanderung lösen können“, sagte Faeser unserer Redaktion.

Wo wohnen die Geflüchteten?

Die meisten Ukrainerinnen und Ukrainer leben in privaten Wohnungen und Häusern (74 Prozent). 17 Prozent der Menschen gaben an, in Hotels und Pensionen zu wohnen, nur 9 Prozent kamen in Gemeinschaftsunterkünften unter.

Ein Viertel der Personen, die in privaten Unterkünften leben, wohnt derzeit bei Familienangehörigen, Freunden oder Bekannten in Deutschland, 15 Prozent bei anderen Personen. Etwas über die Hälfte (60 Prozent) lebt allein oder gemeinsam mit anderen geflüchteten Familienangehörigen.

Welche Perspektiven haben die Menschen?

Zum Zeitpunkt der Befragung konnten zwei Drittel der Menschen (76 Prozent) eine Aufenthaltserlaubnis vorweisen. Weitere 17 Prozent verfügten über eine sogenannte Fiktionsbescheinigung, die vorübergehend nach dem Antrag auf eine Aufenthaltserlaubnis ausgestellt wird.

Ein Großteil der Menschen gab an, auch nach dem Krieg in Deutschland bleiben zu wollen. 26 Prozent wollten dabei für immer bleiben, 11 Prozent zumindest für einige Jahre. 34 Prozent planen nach eigenen Angaben, Deutschland nach dem Ende des Kriegs zu verlassen, die meisten von ihnen wollen in die Ukraine zurückkehren. 27 Prozent der Menschen wissen noch nicht, ob und wie lange sie in Deutschland bleiben möchten.

Knapp ein Fünftel der Geflüchteten ist außerdem bereits erwerbstätig. Weitere 78 Prozent gaben an, ganz sicher (56 Prozent) oder wahrscheinlich (22 Prozent) in Deutschland arbeiten zu wollen. Bei den Menschen, die zum Befragungszeitpunkt nicht erwerbstätig waren, waren 74 Prozent arbeitslos gemeldet und erhielten Sozialhilfen.

Bei der Erwerbstätigkeit gab es jedoch in deutliches Gefälle zwischen den Geschlechtern. Sechs Monate nach der Flucht nach Deutschland gingen 24 Prozent der Männer einem Job nach, während es bei den Frauen nur 16 Prozent waren.

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