Berlin. Sanktionen gegen Russland, Waffen für die Ukraine, Besuche in Kiew: Die Bundesregierung bremst, wo andere vorangehen. Das hat Folgen.

Seite an Seite stehen Boris Johnson und Olaf Scholz und versichern der Ukraine ihre Solidarität. "Die Invasion von Putin attackiert uns in unseren Grundfesten", sagt der britische Premier. Der deutsche Kanzler fügt hinzu: "Deshalb unterstützen wir auch die Ukraine tatkräftig mit all den Möglichkeiten, die wir haben." Doch international verfestigt sich der Eindruck, dass Deutschland bei der Unterstützung der Ukraine gegen Russland zu den Bremsern zählt.

Der gemeinsame Auftritt von Scholz und Johnson war am Freitag in London. Einen Tag später ist der Kanzler für seine SPD im Landtagswahlkampf in Schleswig-Holstein unterwegs. Auch Johnson ist jetzt auf Reisen: Der britische Regierungschef taucht am Sonnabend in Kiew auf und lässt sich von dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und in Begleitung bewaffneter Soldaten durch die Straßen der kriegsgezeichneten Hauptstadt führen.

Ukraine-Krieg: Selenskyj ist von Deutschland enttäuscht

Johnson, hierzulande von vielen als verantwortungsloser Politclown abgestempelt, setzt damit ein Zeichen der Unterstützung für das von Russland angegriffene Land, wie Selenskyj dankbar hervorhebt: "Die Führungsrolle Großbritanniens bei unserer Unterstützung, insbesondere im Bereich der Verteidigung, und auch die Führungsrolle in der Sanktionspolitik – sie werden für immer in die Geschichte eingehen."

Premier Boris JOhnson und Präsident Wolodymyr Selenskyj unterwegs in der Innenstadt von Kiew.
Premier Boris JOhnson und Präsident Wolodymyr Selenskyj unterwegs in der Innenstadt von Kiew. © dpa

Und Deutschland? Die Enttäuschung Selenskyjs über die Bundesregierung sitzt tief. Die deutsche Regierung sei "von Beginn an sehr vorsichtig" bei der Unterstützung der Ukraine gewesen, sagt er der "Bild". Immerhin habe sich "die Rhetorik" inzwischen verändert. "Aber noch spielt Deutschland keine führende Rolle in Europa, es bleibt zurückhaltend und kühl uns gegenüber."

Scholz und Selenskyj halten Kontakt

Am Sonntag telefonierten Scholz und Selenskyj miteinander. Es sei um Sanktionen gegen Russland sowie Verteidigungs- und Finanzhilfen für die Ukraine gegangen, teilt der ukrainische Präsident auf Twitter mit. Einzelheiten sind auch aus einer dürren Mitteilung der Bundesregierung nicht zu erfahren.

Auf einer Geberkonferenz für Ukraine-Flüchtlinge versprach die Bundesregierung am Sonnabend zusätzliche 425 Millionen Euro an humanitärer und Entwicklungshilfe für die Ukraine und ihre Nachbarstaaten sowie 70 Millionen Euro an medizinischer Unterstützung.

Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine hatte Scholz in einer Sondersitzung des Bundestages eine Regierungserklärung abgegeben und die Bevölkerung auf eine "Zeitenwende" eingeschworen. Inzwischen werfen Kritiker im In- und Ausland dem Kanzler vor, nicht entsprechend zu handeln.

Andere Staatschefs besuchen Kiew, Scholz ist in Schleswig-Holstein unterwegs

Scholz telefoniert regelmäßig mit dem ukrainischen Präsidenten. Zahlreiche europäische Politiker waren jedoch bereits bei Selenskyj in Kiew, um den Ukrainern vor Ort ihre Unterstützung zu demonstrieren.

Außer Johnson empfing der Präsident am Sonnabend auch Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer. Davor waren EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell in Kiew. Die Regierungschefs von Polen, Slowenien und Tschechien kamen bereits Mitte März.

Unionspolitiker fordern Scholz auf, ebenfalls nach Kiew zu fliegen. Entsprechende Pläne sind bisher nicht bekannt. Über Reisen werde informiert, wenn es so weit sei, heißt es am Sonntag aus dem Kanzleramt. Scholz lehnt Auftritte ab, wenn sie aus seiner Sicht allein dazu dienen, für die Öffentlichkeit Bilder zu produzieren.

Bilder von einem Besuch in Kiew dürften nicht unbedingt vorteilhaft für den Kanzler sein: Selenskyj fordert von Deutschland schwere Waffen sowie schärfere Sanktionen gegen Russland. Zu beidem ist der Kanzler bisher nicht bereit.

Trotz "Zeitenwende": Scholz tut sich schwer mit Waffenlieferungen

Deutschland belieferte die Ukraine bisher vor allem mit Boden-Luft-Raketen, Panzerabwehrwaffen und Munition. Inzwischen benötigt die Ukraine angesichts der befürchteten russischen Großoffensive im Osten jedoch schwereres Gerät wie Panzer. Bis Ende März genehmigte die Bundesregierung Rüstungslieferungen im Wert von 186 Millionen Euro für die Ukraine.

Über die Details schweigt sich die Bundesregierung aus. Scholz spricht lediglich davon, dass Deutschland "weiterhin kontinuierlich Waffen" liefern werde. Aus den knappen Beständen der Bundeswehr kann Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) zufolge nicht mehr viel weitergegeben werden. Die Vermittlung von bei deutschen Herstellern verfügbaren Rüstungsgütern an die Ukraine durch die Bundesregierung verläuft jedoch schleppend.

Die Bundesregierung lehnt zudem den Vorschlag der Rüstungsfirma Rheinmetall ab, dass die Bundeswehr einsatzfähige Schützenpanzer vom Typ Marder der Ukraine geben könne. Im Gegenzug sollte die Bundeswehr ausrangierte Marder von Rheinmetall erhalten, die aber erst noch mehrere Monate gewartet und repariert werden müssen. Lambrecht sah durch so einen Tausch die deutsche Einsatzbereitschaft an der Nato-Ostflanke in Gefahr. Nun will die Ukraine die Panzer offenbar direkt bei Rheinmetall kaufen.

Die Waffenlieferungen gehen aber nicht nur der Ukraine und der deutschen Opposition zu langsam voran, auch in der Koalition gibt es kritische Stimmen. Der Kanzler sei gefordert, die Lieferungen "schnellstmöglich" zu koordinieren, fordert die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP).

Unterstützung für die Ukraine: Bisher wenig schwere Waffen geliefert

Mehrere EU- und Nato-Staaten unterstützen die Ukraine mit Waffen. Johnson sagte der Ukraine in Kiew 120 gepanzerte Fahrzeuge und Anti-Schiffs-Raketensysteme zu, zusätzlich will er für 120 Millionen Euro moderne Luftabwehrraketen vom Typ Starstreak, 800 Panzerabwehrwaffen sowie lenkbare Präzisionsmunition schicken.

Schwere Waffen wie Panzer hat die Ukraine bisher nur wenige erhalten. Ein Problem: Die ukrainische Armee muss die Waffen, die sie bekommt, auch bedienen und im Zweifel reparieren können.

Sanktionen gegen Russland: Bundesregierung zögert beim Thema Energie

International abgestimmt haben die EU und die USA mehrere Sanktionsrunden beschlossen, die sich unter anderem gegen Vertreter der russischen Führung sowie gegen die Banken und die Wirtschaft des Landes richten. Inzwischen zählt auch ein Embargo gegen russische Kohle zu den Strafmaßnahmen. Auf einen sofortigen Importstopp für Gas und Öl gibt es aber bisher keine Einigung. Größter Bremser in Europa: Deutschland.

Die Bundesregierung will so schnell wie möglich aus russischer Energie aussteigen – aber eben nicht sofort. Sie fürchtet massive Schäden für die Wirtschaft. Der US-Wirtschaftsexperte Paul Krugman sieht in Deutschland deswegen Putins "wichtigsten Wegbereiter". Das deutsche Handeln sei beschämend, der Kauf von Putins Gas finanziere den Krieg gegen die Ukraine, kritisiert der Nobelpreisträger in der "New York Times".

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt