Berlin/Kiew. Olaf Scholz wird in der Ukraine erwartet. Für den Kanzler ist das keine normale Reise. Die Erwartungen in Kiew an den Besuch sind groß.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wird in den nächsten Stunden zu seinem ersten Besuch in Kiew seit dem russischen Angriff auf die Ukraine erwartet. Scholz will an diesem Donnerstag gemeinsam mit Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron und Italiens Ministerpräsident Mario Draghi die ukrainische Hauptstadt besuchen und Präsident Wolodymyr Selenskyj treffen.

Offiziell bestätigt ist die mehrstündige Visite aus Sicherheitsgründen bisher nicht. Zwar finden die Kämpfe derzeit im Osten des Landes statt, dies sei aber immer noch eine Reise in ein Kriegsgebiet, heißt es aus der Bundesregierung zur Begründung für die Geheimhaltung.

Scholz in der Ukraine: Wie gefährlich ist die Reise?

Seit Kriegsbeginn haben zahlreiche ausländische Politiker die Ukraine besucht, darunter die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) oder der deutsche Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU). Die Besuche fanden ohne Zwischenfälle statt.

In der Bundesregierung wird jedoch nicht darauf vertraut, dass das so bleiben muss. Als UN-Generalsekretär Antonio Guterres Ende April in Kiew war, schlugen russische Raketen in der Hauptstadt ein. Da der Luftraum der Ukraine gesperrt ist, reisten Scholz, Draghi und Macron von Polen aus mit dem Zug nach Kiew. Die italienische Zeitung "La Repubblica" veröffentlichte am Donnerstagmorgen Fotos von der Reise. Sie zeigen die drei Politiker an einem Tisch in einem Zugabteil. Scholz trägt Jeans und ein dunkles Polohemd.

Mario Draghi, Emmanuel Macron und Olaf Scholz: Reise per Zug nach Kiew.
Mario Draghi, Emmanuel Macron und Olaf Scholz: Reise per Zug nach Kiew. © Ludovic MARIN / POOL / AFP | Ludovic MARIN / POOL / AFP

Olaf Scholz in Kiew: Warum ist das kein normaler Besuch für den Bundeskanzler?

Für Scholz ist die Reise in die Ukraine auch aus politischen Gründen alles andere als ein normaler Termin. In den vergangenen Wochen hatte es immer wieder Spannungen zwischen der Bundesregierung und der Führung in Kiew gegeben. Der Kanzler hatte einen Besuch in die Ukraine zwischenzeitlich abgelehnt, weil eine Visite von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Kiew nicht erwünscht gewesen war. Später kritisierten Vertreter der ukrainischen Regierung immer wieder, die von Scholz geführte Bundesregierung sei in Sachen Sanktionen gegen Russland und Waffenlieferungen an die Ukraine zu zögerlich.

Lesen Sie auch: Ukraine-Krieg: Scholz will mehr Bundeswehrsoldaten an die Nato-Ostflanke schicken

Scholz weist dies zurück und sieht Deutschland in beiden Punkten in einer Vorreiterrolle. In Kiew kann der Kanzler Zweifel an seiner Unterstützung für die Ukraine ausräumen. Allerdings besteht auch die Gefahr, dass Differenzen vor den Augen der Weltöffentlichkeit deutlich zutage treten.

Frankrfeichs Präsident Emmanuel Macron.
Frankrfeichs Präsident Emmanuel Macron. © AFP | DANIEL MIHAILESCU

Ukraine-Krieg: Welches Zeichen wollen Scholz, Draghi und Macron setzen?

In den kommenden beiden Wochen findet eine Serie von wichtigen internationalen Gipfeltreffen statt: Ab nächsten Donnerstag beraten die Staats- und Regierungschefs der EU über die Aussichten der Ukraine auf einen raschen EU-Beitritt, dann findet ab dem 26. Juni auf Schloss Elmau in Bayern unter deutschem Vorsitz der G7-Gipfel statt, zu dem Scholz auch Selenskyj eingeladen hat. Im Anschluss kommen die Nato-Staaten in Madrid zusammen.

Lesen Sie auch: Die Ukraine will in die EU - was sich für uns ändern würde

Bei allen drei Treffen wird der Angriff Russlands auf die Ukraine und die internationale Unterstützung für das Land im Mittelpunkt stehen. Mit ihrem Besuch in Kiew wollen Scholz, Draghi und Macron ein Zeichen der Unterstützung setzen. Die Visite bietet also die Chance, Russlands Staatschef Wladimir Putin den Zusammenhalt der Europäer in diesem Krieg zu demonstrieren.

podcast-image

Scholz, Macron und Draghi in der Ukraine: Welche Knackpunkte gibt es?

Selenskyj hatte Anfang März kurz nach Kriegsbeginn den EU-Beitritt seines Landes beantragt. Ein solcher Schritt wäre ein klares Zeichen der Unterstützung für die Ukraine. Die Europäische Kommission veröffentlicht ihre Empfehlung zu dieser Frage am Freitag. Erwartet wird, dass die Kommission einen Kandidatenstatus mit Auflagen befürwortet. Die Mitgliedstaaten sind in der Frage allerdings gespalten.

Vor allem osteuropäische Länder wie Polen und die Balten unterstützen die Ukraine. Auch Draghi sagte kürzlich: „Wir wollen die Ukraine in der Europäischen Union.“ Würden sich Scholz und Macron an der Seite von Selenskyj in Kiew klar einer solchen Aussage anschließen, wäre das ein starkes Signal der Geschlossenheit gegenüber Putin. Es ist jedoch zweifelhaft, dass es dazu kommt.

Italiens Ministerpräsident Mario Draghi.
Italiens Ministerpräsident Mario Draghi. © AFP | bir Sultan

Scholz äußerte sich bisher zurückhaltend und verwies auf den langwierigen Beitrittsprozess, der „keine Sache von ein paar Monaten oder einigen Jahren“ sei. Ein Schnellverfahren für die Ukraine lehnt Berlin ab. Auch Macron wird zum Lager der Skeptiker gezählt. Die Frage des EU-Beitritts dürften zu den zentralen Themen des Treffens von Scholz, Macron und Draghi mit Selenskyj zählen – und könnte den Besuch in Kiew am Ende überschatten.

Ukraine-Krieg: Verspricht Scholz neue Waffenlieferungen?

Scholz hat die Erwartungen an den Besuch in Kiew selbst in die Höhe geschraubt, in dem er eine Reise in die Ukraine zuvor mit der Begründung abgelehnt hatte, er wolle nicht nur für einen kurzen Fototermin kommen, es müsse Konkretes zu besprechen geben. Der ukrainische Botschafter in Deutschland Andrij Melnyk sagte im Vorfeld des Besuchs, Scholz müsse neue Lieferungen ankündigen. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass der Kanzler konkrete neue Zusagen macht. Die Ukraine benötigt dringend Munition und schwere Artillerie, um die russischen Angriffe im Osten des Landes abzuwehren.

podcast-image

Anfang Juni hatte Scholz angekündigt, dass die Ukraine aus Deutschland ein Flugabwehrsystem und ein Ortungsradar bekomme. Zudem stellte die Bundesregierung in Aussicht, Kiew mit der Lieferung von vier Mehrfachraketenwerfern aus Bundeswehrbeständen zu unterstützen. Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) teilte jedoch am Mittwoch mit, dass nur drei Raketenwerfer vom Typ Mars-II geliefert werden. Sie gehe damit an „die Grenzen“ der Belastbarkeit der Bundeswehr, sagte Lambrecht.

Eine  Panzerhaubitze 2000 der Bundeswehr.
Eine Panzerhaubitze 2000 der Bundeswehr. © dpa | Michael Kappeler

Die Bundesregierung verweist zudem darauf, dass die Ukraine voraussichtlich in den kommenden Tagen sieben Panzerhaubitzen der Bundeswehr bekommt. Die Ausbildung ukrainischer Artilleristen an dem Geschütz findet seit einigen Wochen in Deutschland statt.

Die direkte Lieferung von Panzern an die Ukraine lehnt die Bundesregierung bisher ab. Stattdessen bietet sie anderen EU-Ländern solche Modelle als Ersatz für Panzer sowjetischer Produktion an, die an die Ukraine geliefert werden können. Es gibt die Befürchtung, dass die Unterstützung mit westlichen Panzern von Putin als Eskalation des Konflikts gewertet werden könnte. In der Ukraine stößt diese Argumentation auf Unverständnis. Die Frage der Waffenlieferungen ist also ein weiterer Streitpunkt, der bei dem Besuch von Scholz, Macron und Draghi zutage treten kann.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Dieser Artikel erschien zuerst auf waz.de.