Berlin . Putin nutzt Hunger als Waffe im Ukraine-Krieg, sagt Entwicklungsministerin Schulze. Nun soll ein globales Bündnis dem entgegenwirken.

Der Krieg in der Ukraine trifft vor allem die Menschen in dem Land. Sie fliehen vor Bomben in Charkiw, sie trinken Wasser aus Heizungsrohren in Mariupol, weil Trinkwasser fehlt. Sie stehen vor Lastwagen Schlange, die mitten an der Front Brote verteilen.

Doch der Krieg trifft nicht nur die Ukraine. Russland und die Ukraine bedienen zusammen rund 20 Prozent der Maisexporte und 30 Prozent der Weizenexporte weltweit, heißt es in einem Arbeitspapier des Bundesentwicklungsministeriums, das unserer Redaktion vorliegt. Besonders stark von Importen abhängig sind Länder wie Ägypten, Tunesien, Libyen, Jemen, Somalia oder Pakistan.

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Doch in der Ukraine ist die Produktion von Nahrungsmitteln zusammengebrochen, Lieferketten sind zerstört. Und das, was noch angebaut wird, brauchen die Menschen in der Ukraine gerade selbst. Die Folge: Nahrungsmittel werden knapp, das treibt die Preise auf Rekordhoch.

Das spüren Deutsche im Supermarkt-Regal. Noch gravierender aber sind die Folge für Menschen in vielen Staaten etwa in Afrika, die das meiste ihres monatlichen Einkommens für Essen ausgeben müssen.

Schon die Corona-Pandemie hat die Versorgungslage in den ärmeren Staaten verschärft

Zugleich steigen Kosten für Treibstoff, Transporte von Nahrung kosten deutlich mehr. Und: Schon die Corona-Pandemie der vergangenen zwei Jahre hat die Versorgungslage gerade in den ärmeren Staaten verschärft. Besonders betroffen: der Nahe Osten und mehrere Regionen in Afrika.

Die Auswirkungen der Klimakrise kommen noch dazu: In Kenia, Äthiopien und Somalia herrscht die heftigste Dürre seit Anfang der 1980er-Jahre. Laut dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen UNHCR hat sich die Zahl der Menschen auf der Flucht in Ostafrika seit 2012 fast verdreifacht: Von 1,82 Millionen auf heute fast fünf Millionen – darunter 300.000 Flüchtlinge, die allein im letzten Jahr neu dazugekommen sind.

Madagaskar: Die schlimmste Dürre seit 40 Jahren gefährdet in dem vor Afrikas Ostküste gelegenen Inselstaat Madagaskar das Leben Hunderttausender Menschen.
Madagaskar: Die schlimmste Dürre seit 40 Jahren gefährdet in dem vor Afrikas Ostküste gelegenen Inselstaat Madagaskar das Leben Hunderttausender Menschen. © dpa | Tsiory Andriantsoarana

„Es droht die schwerste globale Ernährungskrise der vergangenen Jahrzehnte und sie wird vor allem die Ärmsten in Afrika, im Nahen Osten und in Asien treffen“, mahnt nun Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD). Putin nutze Hunger als Waffe. „Dem müssen wir entgegen treten mit einer Politik für globale Ernährungssicherheit“, sagt sie unserer Redaktion. „Ernährungssicherheit ist nicht nur ein Menschenrecht, sondern auch ein wesentlicher Bestandteil vorausschauender Sicherheitspolitik.“ Ähnlich hatte sich bereits Ernährungsminister Cem Özdemir (Grüne) gegenüber unserer Redaktion geäußert.

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Immer mehr Krisen, immer mehr Engpässe, und ein Diktator, der laut Bundesregierung bewusst Lebensmittelproduktionen angreift – der Direktor der Deutschen Sektion des UN-Welternährungsprogramms (WFP), Martin Frick, sagt unserer Redaktion: „Der dramatische Preisanstieg bei Nahrungsmitteln und Kraftstoff könnte bis zu 47 Millionen Menschen zusätzlich in Hunger und Armut abrutschen lassen. Das würde die Gesamtzahl der akut Hungernden auf nie dagewesene 323 Millionen Menschen treiben.“

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Ernährung der Ärmsten: Pro Monat allein 71 Millionen US-Dollar mehr

Zugleich brauchen Hilfsorganisationen wie das WFP angesichts drastisch steigender Preise für Nahrung und Transport immer mehr Geld, um die gleiche Menge an Menschen mit dem Nötigsten zu versorgen: Pro Monat allein 71 Millionen US-Dollar mehr. Doch solange nicht mehr Geld fließt, heißt das für die Helfer entweder: Weniger Menschen vor Hunger retten – oder die Essensrationen pro Person verkleinern.

Der Kampf gegen den globalen Hunger entscheidet sich vor allem an einer Frage: Welche reichen Länder sind bereit, mehr Geld für Notleidende in Afrika und Nahost zu geben? Entwicklungsministerin Schulze reist diese Woche nach Washington. „Ich werde mich in Washington dafür einsetzen, dass wir uns im Einsatz gegen die Ernährungskrise stärker koordinieren – im Kreis der Geber, aber auch mit internationalen Organisationen und allen anderen, die sich engagieren wollen.“

Svenja Schulze (SPD), Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
Svenja Schulze (SPD), Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. © dpa | Kay Nietfeld

Vorbild soll die Covax-Initiative sein, die global einen gerechten Zugang zu Corona-Impfstoffen gewährleisten will. „Im Kampf gegen die Corona-Pandemie ist es uns gelungen, eine agile multilaterale Plattform zu schaffen, die die größte globale Impfkampagne der Geschichte auf die Beine gestellt hat“, sagt Schulze. „Das, was wir da gelernt haben, sollten wir als Weltgemeinschaft übertragen auf den Einsatz gegen die Ernährungskrise.“ Den Vorstoß unternimmt Schulze im Rahmen der G7-Präsidentschaft, die Deutschland in diesem Jahr inne hat.

Der Haushaltsplan 2022 sieht 10,85 Milliarden Euro vor – 13 Prozent weniger als 2021

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte bereits angekündigt, dass die Bundesregierung zur Ernährungssicherung infolge des Ukraine-Krieges 430 Millionen Euro zusätzlich bereitstellen wird. Zugleich gilt: Der Etat für Schulzes Entwicklungsministerium schrumpft. Der Haushaltsplan 2022 sieht Ausgaben von 10,85 Milliarden Euro vor – 13 Prozent weniger als 2021. 2,22 Milliarden Euro plant die Regierung für Entwicklungszusammenarbeit auf EU-Ebene ein. Auch das: ein Minus. 2021 waren es noch 2,7 Milliarden Euro.

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Das trifft auch Organisationen wie das Welternährungsprogramm, das vor allem von Geld aus den USA, aber auch Deutschland abhängig ist. Dessen Direktor hat eine Idee, wie der Kampf gegen den Hunger der Welt weniger kosten würde: Es müsse mehr in „Krisenvorsorge und nachhaltige Hilfe“ investiert werden, sagt Frick. „Vor der Krise helfen und nachhaltige Lebensgrundlagen aufzubauen, ist viel billiger als die Katastrophe abzuwarten und dann die Scherben aufzukehren.“

Dieser Artikel erschien zuerst auf www.waz.de