Berlin . Olaf Scholz saß in Moskau am langen Tisch – volle Absicht, sagt unser Autor. Die Bilder aus Moskaus sprechen eine eindeutige Sprache.

  • Am Dienstag trafen sich Wladimir Putin und Olaf Scholz zu Gesprächen
  • Bemerkenswert ist die Symbolik der Fotos
  • Denn Scholz und Putin saßen bei dem Gespräch an einem langen Tisch

Wenigstens kann Wladimir Putin ihn nicht über den Tisch ziehen. Wie denn auch? Dazu ist das Möbelstück zu lang. Sechs Meter trennen den russischen Präsidenten und seinen Gast aus Berlin. Ein Arrangement der Distanz.

Von Olaf Scholz (SPD) hätte Putin – für die Ukraine-Krise – eine bewährte deutsche Tugend lernen können: die Politik des runden Tisches. Alle sind gleich, keiner ist hierarchisch höher, niemand wird abgedrängt. So hätte es sein können. So war es aber nicht. Nicht an diesen Dienstag im Kreml.

Schauen wir uns das Bild aus Russland genauer an. Der lange ovale Tisch verrät Distanz. So hält man Gäste auf Abstand. Sie könnten ein Netz spannen und den Ukraine-Konflikt per Ping-Pong austragen. Dann der winzige Blumenstrauß in der Mitte, traurig und verloren, ist das rigorose Minimum an Gastfreundschaft. Nicht mal Wasser hat man dem Besucher angeboten. Schon klar, dieses Gespräch soll nicht lange dauern.

Auf Abstand: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sitzt an Putin Endlostisch im Kreml. Ein Symbolbild für eine politisch unüberbrückbare Distanz?
Auf Abstand: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sitzt an Putin Endlostisch im Kreml. Ein Symbolbild für eine politisch unüberbrückbare Distanz?

Putin sitzt breitbeinig da, Unterarme auf dem weißen verzierten Tisch, doziert und gestikuliert. Ein Welterklärer. Die Augen sind auf einen Punkt neben Scholz gerichtet. Er würdigt den Kanzler keines Blickes.

Scholz zeigt immerhin Rückgrat

Einer doziert, der andere hört zu, Scholz notiert sich was, er sitzt schmal und auch nur auf dem vorderen Teil des Sessels – jederzeit sprungbereit. Immerhin sitzt er aufrecht, die Wirbelsäule ist nicht abgerundet; er versackt nicht, die Schultern bilden eine Linie. Ein Mann zeigt Rückgrat. Die Beine sind angewinkelt, die Füße nach hinten gezogen. Putin soll ja nicht sagen, "Solange du deine Füße unter meinen Tisch stellst, machst du, was ich sage!"

So viel Distanz musste sein, so heißt es, weil sich der Gast aus Berlin nicht in Russland einem PCR-Test unterzog. Infektionsschutz also, die Pandemie zwingt ja zur Distanz. Schwer zu glauben. Als Angela Merkel im August 2021 Putin besuchte, saßen die beiden nahe beieinander.

Putins brutalstmögliche Distanz

Nein, dieser Endlos-Tisch ist wie geschaffen für die Ukraine-Krise, gezimmert für diese Bilder. Fotos, die brutaltsmögliche Distanz vermitteln, unüberbrückbare Distanz womöglich. Eine Sitzordnung, die hinterher ein Wir-kamen-uns-näher-Resümee ausschließt. Für Scholz vielleicht tröstlich: Putins Äquidistanz. Denn auch dem Franzosen Emmanuel Macron erging es neulich in Moskau nicht anders. Der selbe Tisch, das selbe Arrangement, gleiche Erkenntnis: Auf Entfremdung folgt Entfernung.

Ein Bild, das Nähe dokumentiert: Kasachstans Präsident Tokayev wurde von Putin ganz anders empfangen als Scholz.
Ein Bild, das Nähe dokumentiert: Kasachstans Präsident Tokayev wurde von Putin ganz anders empfangen als Scholz.

Nun schauen Sie sich mal bitte das untere Bild an, nur wenige Tage alt. Anderer Besucher, der selbe Gastgeber, diesmal seinem Gast zugewandt. Nach der Lesart des Kreml: ein DNA-Spender, ein PCR-getesteter. Es ist Kasachstans Präsident Kassym-Jomart Tokayev. Kleiner Tisch, geringer Abstand, unübersehbarer Blumenstrauß, die heimelnde Gemütlichkeit eines Kamins als Hintergrundkulisse. Zwei Freunde unter sich. Sogar ein Lächeln geht Putin über die Lippen.

So viel Nähe! Olaf Scholz, das wäre Ihr Preis gewesen. Oder auch nicht. Wir werden es nie erfahren. Denn der Kanzler hat einen PCR-Test abgelehnt. Und so werden Historiker eines Tages womöglich an diesem Bild eine verpasste Gelegenheit dokumentieren: Der Mann, der nicht an Wladimir Putin heran kam.