Berlin/Doha. Sie sind so umstritten wie die Fußball-WM: Der Emir von Katar und seine Familie. Das Vermögen, Frauen, Freunde – und ein großer Plan.

Mit der Eröffnung der Fußball-Weltmeisterschaft geht für den Herrscher von Katar, Scheich Tamim bin Hamad Al Thani, ein teurer Traum in Erfüllung. Geschätzte 200 Milliarden Euro hat Emir Tamim für sein orientalisches Wintermärchen bezahlt, das den Mini-Wüstenstaat in aller Welt als Drehscheibe des globalen Sports bekannt machen soll. Aber so umstritten wie das Fußball-Turnier ist auch der Scheich: Katars Herrscher ist ein Mann mit vielen Gesichtern. Ein Autokrat der Luxusklasse, Islamistenfinancier, Taliban-Versteher – aber auch ein begeisterter Fußballfan und ein gerissener Diplomat, der das winzige Katar mit Gas, Geld und Geschick zu einem der bestvernetzten Länder der Welt gemacht hat. Auch Deutschland buhlt um ihn. Wer ist der Emir wirklich?

Gastgeber der Fußball-WM: Emir Tamim herrscht seit 2013

Der 42-jährige Emir ist seit 2013 das Staatsoberhaupt mit absoluter Regierungs- und Gesetzgebungsgewalt, anfangs war er der jüngste Herrscher der arabischen Welt. Tamim hat drei Frauen und 13 Kinder, er ist religiös wie kulturell sehr konservativ: In Katar ist der strenge, wahhabitische Islam Staatsreligion, die Gesetzgebung basiert auf der Scharia, Homosexualität ist verboten. In seinem Land tritt der Emir oft im traditionellen arabischen Gewand samt Kopfbedeckung auf. In Europa, das ihm sehr vertraut ist, trägt er lieber edle Maßanzüge.

Die Monarchenfamilie schickte ihn als Kind nach Großbritannien, erst auf die Shireborn High School, dann absolvierte er wie sein Vater die britische Königliche Militärakademie Sandhurst; seitdem spricht Emir Tamim fließend Englisch und Französisch. Der hochgewachsene Herrscher spielt Tennis – als Kind bekam er Unterricht von Boris Becker -, liebt Araber-Pferde und die Falknerei, sammelt schnelle Luxus-Autos wie andere Briefmarken, ist seit Kindheitstagen Fußballfan. Politiker, die ihm begegneten, beschreiben ihn als freundlich und offen. Der frühere Außenminister Sigmar Gabriel sagt: „ich habe selten jemanden erlebt, der mit so großem Interesse zuhört, wenn über ihn, die Welt und wie sie sich bewegt, gesprochen wird.“

Milliarden aus dem Gasgeschäft: So reich sind die Herrscher von Katar

Das Privatvermögen des Emirs wird auf mindestens zwei Milliarden Euro geschätzt, dazu zählen unter anderem ein Langstrecken-Airbus A 340-500, eine der größten Jachten der Welt (die in Deutschland gebaute, 123 Meter lange „Al Lusail“ soll 400 Millionen Euro gekostet haben), Luxusimmobilien quer durch Europa. Herrschaftliche Urlaubsdomizile werden nicht gebucht, sondern gleich gekauft: Der Familie gehören Nobel-Hotels und Anwesen etwa auf Mallorca, in Frankreich und der Schweiz, griechische Inseln, ein riesiges Skiresort im marrokkanischen Atlasgebirge. Der Clan der seit 1822 regierenden Al Thanis hat insgesamt geschätzte 300 Milliarden Euro an Vermögen angehäuft.

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Tamims Onkel Hamid bin Jassim bin Jaber Al Thani etwa gilt wegen seiner Immobiliengeschäfte in Großbritannien als „Mann, der London kaufte“. Katar besitzt Ölvorkommen, aber vor allem die drittgrößten Gasreserven weltweit nach Russland und Iran. Tamims Vater weitete in den 90er Jahren Förderung und Export von Gas massiv aus, das beschleunigte den sagenhaften Aufstieg des Landes. Über den mit 335 Milliarden Dollar gefüllten katarische Staatsfonds Qatar Investment Authority ist der Wüstenstaat an Unternehmen weltweit beteiligt – in Deutschland etwa an Volkswagen, der Deutschen Bank, Siemens, RWE oder Hapag-Lloyd.

Hinter dem Emir von Katar steht die größte Herrscherfamilie Arabiens

Der Emir hat das autokratische Herrschaftssystem gefestigt, alle strategischen Entscheidungen trifft er. Eine organisierte Opposition gibt es nicht, Parteien sind verboten, die 300.000 Staatsbürger werden mit üppigen staatlichen Wohltaten bei Laune gehalten. Dennoch ist der Scheich stets in Gefahr: Die aus einem Beduinenstamm hervorgegangene Herrscherfamilie ist die größte Dynastie Arabiens mit mindestens 8000 Mitgliedern, zum erweiterten Clan gehören sogar 20.000 Kataris. Irgendjemand aus der Großfamilie hat immer gerade Ansprüche auf den Posten des Emirs entwickelt, kaum ein Machtwechsel der jüngeren Geschichte verlief problemlos.

„Die größte Gefahr für die Herrschaft Emir Tamims geht von wiederholten Versuchen der Nachbarstaaten aus, konkurrierende Mitglieder der Familie Thani für Putschversuche zu gewinnen“, sagt Nahost-Experte Guido Steinberg. Tamim bindet vorsichtshalber so viele seiner Verwandten ein wie möglich: Die Herrscherfamilie besetzt alle entscheidenden Regierungsposten, wichtige Beamtenstellen und Leitungspositionen staatlicher Firmen.

Sie sind enge Verbündete bei der Organisatoin der Fußball-WM: Fifa-Präsident Gianni Infantino (l) Scheich Tamim bin Hamad Al Thani, Emir von Katar, hier bei der Auslosung der Turnier-Vorrunde.
Sie sind enge Verbündete bei der Organisatoin der Fußball-WM: Fifa-Präsident Gianni Infantino (l) Scheich Tamim bin Hamad Al Thani, Emir von Katar, hier bei der Auslosung der Turnier-Vorrunde. © dpa | Christian Charisius

Der Emir von Katar: Welche Frau hat den größten Einfluss?

Wegen fehlender Frauenrechte ist Katar in der Kritik. Frauen dürfen nur nach Zustimmung eines männlichen Vormunds heiraten, arbeiten gehen oder reisen. Doch ist die Lage besser als in anderen arabischen Ländern, Frauen haben im Prinzip Zugang zu allen Berufspositionen, längst sind sie an den Hochschulen das stärkere Geschlecht. Frauen aus der Elite proben neue Rollenmodelle: Die offizielle Herrscher-Gattin Sheicha Jawaher (38), Mutter von vier Kindern und zugleich Tamims Cousine zweiten Grades, hat voriges Jahr ein Studium abgeschlossen und begleitet den Emir nun erstmals auf Auslandsreisen.

Tamims Mutter, Scheicha Moza al Misnad, gilt als weibliche Galionsfigur und mächtigste Frau im Nahen Osten: Sie war die erste Frau eines Emirs, die öffentlich auftrat. Die elegante, modebewusste Scheicha holte US-Universitäten und Forschungsinstitute ins Land, bestimmt als Vorsitzende der Katar-Stiftung die Bildungs- und Entwicklungspolitik. Deutschlands Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg sei Vorbild für Katar, sagt die Scheicha. Ihr Einfluss auf den Emir ist offenbar groß. Die Schwestern des Emirs vertreten die Stiftung nach außen.

Der Emir und der Sport: Warum Katar Rekordsummen investiert

Die Fußball-WM ist für Tamim die Krönung der umstrittenen Bemühungen, durch Sportveranstaltungen das Image Katars weltweit aufzupolieren. Der Aufwand für das „Sportwashing“ ist immens: Sein Vater und er holten schon die Weltturniere der Handballer, Leichtathleten, Kurzbahn-Schwimmer, Straßen-Radrennfahrer und seit vorigem Jahr der Formel-1 nach Katar. Es laufen bereits Gespräche für die Olympischen Sommerspiele 2036. Der Emir geht noch weiter: Er kaufte sich mit Paris Saint-Germain einen eigenen Fußball-Klub und verpflichtete die teuersten Spieler der Welt, den Brasilianer Neymar (222 Millionen Euro) und den Franzosen Kylian Mbappé (180 Millionen).

So viele Freunde wie möglich: Die heikle Strategie der katarischen Herrscher

Tamim ist ein selbstbewusster Autokrat, der Kritik an der katarischen Menschenrechts-Praxis notfalls mit dem Scheckbuch weglächelt. Er ist aber auch, wie sein Vater, Meister der Diplomatie. Katar hält das benachbarte Saudi-Arabien, von dem es lange abhängig war, für eine große Bedrohung und sucht sich deshalb so viele Freunde wie möglich in einem globalen Netzwerk. Wichtigster Verbündeter sind die USA, die die größte amerikanische Militärbasis des Nahen Ostens im Land unterhalten. Als Freundschaftsgeste reist US-Außenminister Antony Blinken zur WM an. Doch zugleich steht Katar im Verdacht, islamistische Terrororganisationen wie den Islamischen Staat, die Hisbollah oder Al-Qaida unterstützt zu haben und den politischen Islam in Europa zu finanzieren.

Die Taliban in Afghanistan hat Tamim nicht nur finanziell gefördert, er bot ihnen in Doha auch Quartier für ihr internationales Büro, was sich später auch für den Westen als nützlich erwies. Der Emir hilft der Hamas im Gazastreifen, pflegt enge Beziehungen zu Iran - und unterhält trotzdem gute Kontakte zu Israel. Auch Russland ist ein Partner. Katar als Vermittler in heiklen Fällen: Das ist zentraler Baustein der Strategie. Zu ihr gehört auch, sich als weltweiter Gaslieferant unentbehrlich zu machen – und mit den Gas-Milliarden eine Soft Power-Kampagne in Sport, Tourismus, Medien, Bildung und Kultur Katar zu finanzieren, die das Land auch in anderen Bereichen zum Global Player machen soll.

Kritik an der Fußball-WM in Katar: So wütend reagiert der Emir

Die Fußball-WM ist der große Test, ob das funktioniert. Auf die heftige Kritik am Turnierausrichter Katar vor allem in Europa reagiert Tamim deshalb sehr dünnhäutig: Vor Landsleuten in Doha beklagte der sonst so freundliche Emir zuletzt in eisigem Ton eine „beispiellose Kampagne“ gegen sein Land, sprach von Doppelmoral und zückte dann ein rhetorisch scharfes Schwert: Es sei noch immer nicht überall akzeptiert, meinte Tamim, dass ein arabisch-muslimisches Land ein Turnier wie die Fußball-WM ausrichte.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.