Sitzendorf. Der „Verein zur Pflege der Geschichte des Brauchtums und der Landschaft im mittleren Schwarzatal“ hat 17 Mitglieder. Er will Verein des Monats werden.

Wer sich mit Vereinen ein wenig auskennt, riecht sofort: Den Titel „Verein zur Pflege der Geschichte des Brauchtums und der Landschaft im mittleren Schwarzatal“ kann sich ja fast nur ein Bürokrat ausgedacht haben, der ganz sicher gehen wollte, dass niemand die Gemeinnützigkeit anzweifelt. Vielleicht aber wollten sich seine Mitglieder einfach nur nicht thematisch einengen lassen.

„Allen war für den Alltag klar, dass dieser Name zwar eindrucksvoll, aber nicht praktikabel ist, weswegen wir jetzt auch nur noch Brauchtumsverein heißen“, erklärt Stephan Schneider, der 1. Vorsitzende des Vereins und räumt gleich mit dem umgekehrten Missverständnis auf: Wer nämlich im Gemeinderat zuhört, wo die gleichnamige, auch den Bürgermeister stützende Fraktion viel über ihr Tun bei der Ortsverschönerung berichtet, könnte sich fragen, was Bänke für Wanderer im Wald wohl mit Brauchtum zu tun haben.

Denn dort saßen in der gerade zu Ende gegangenen Wahlperiode Stephan Schneider und Angelika Wilfer (letztere hält zusammen mit Daniel Gölitzer auch aktuell die Vereinsinteressen hoch) und legten an vielen Stellen den Finger in die Wunder, wenn es um ein schöneres Bild des Ortes und ganz besonders der näheren Umgebung geht.

Wer bei Spaziergängen genauer hinschaut, der wird auf der obersten Quersprosse ein kleines Brandzeichen in Form eines Nadelbaums entdecken – damit signiert der Verein die Angebote zum Ausruhen. Und auch wenn seine Mitglieder das bestimmt auch ab und zu tun, ist eher die Aktion ihr Markenzeichen.

Und eine solche war es auch, die vor einem Vierteljahrhundert zu seiner Gründung führte: Das Regionalmuseum Dampfmaschine war bis vor einigen Jahren wichtiger touristischer Anziehungspunkt und auch der ganze Stolz des Vereins. Geblieben ist nach dessen Schließung, weil sich Gemeinde, Verein und Eigentümer nicht über den Weiterbetrieb einigen konnten, zumindest noch die Tradition regelmäßiger Treffen der Freunde von Dampfmaschinen.

Alte Wunden lecken, das liegt der heutigen Vereinsspitze nicht und so geht der Blick auf Dinge, die auch heute Bestand haben. Da wäre das Wirken eines berühmten Mannes in der Region und insbesondere in Sitzendorf zu nennen: Im Mittelpunkt der Aktivitäten stand in den Jahren vor 2010 der 250. Geburtstag der Erfindung des Thüringer Porzellans in Sitzendorf durch Georg Heinrich Macheleid

50 Jahre nach Böttger in Meißen gelang es Macheleid, mittels einheimischer Rohstoffe einen vergleichbar guten Porzellanscherben herzustellen. Er, der 1723 in Cursdorf geboren wurde, in Rudolstadt das Gymnasium besuchte und in Jena Theologie studierte, intensivierte vor allem ab 1758 in Sitzendorf seine Versuche zur Porzellanherstellung und startete ab 1760 die Produktion zuerst in Sitzendorf und zwei Jahre später in Volkstedt.

Geblieben ist von dieser Ehrung die exzellente Broschüre „Auf den Spuren Georg Heinrich Macheleids“, die nicht nur eine exzellente Zusammenschau seines Lebens und Wirkens ist, sondern zugleich auch eine aussagestarkes Zeitbild aus Sitzendorf und der Umgebung. Nicht von ungefähr erlebt das Büchlein gerade eine neue Auflage.

Käsemarkt und Kräuterfest

Wie vielgestaltig das Verständnis vom Brauchtum sein kann, zeigen auch die anderen Aktivitäten. Gewissermaßen eine Selbstverständlichkeit ist etwa die Teilnahme am alljährlichen Frühjahrsputz in Sitzendorf zusammen mit vielen anderen Vereinen, Familien, Hauseigentümern und Einwohnern.

Zum alljährlichen Käsemarkt, der sich aus seiner einstigen Bedeutung zu einem gut gelaunten Wandervolksfest der ganzen Region am historischen Platz an der alten Straße zwischen Sitzendorf und Königsee entwickelt hat, sind die Vereinsmitglieder mit ihrem mobilen Backofen ebenso wenig wegzudenken, wie vom Weihnachtsmarkt.

An historische Wurzeln knüpft auch der Kräutertag an. Im August wird er – dann bereits im vierten Jahr in Folge – an die Jahrhunderte alte Tradition des Olitätenhandels in der Region erinnern. Vereinsmitglied und Kräuterfrau Monika Detelmann ist mit Herzblut bei der Sache und hat das Sommerereignis längst im Kulturkalender der Gegend etabliert.

„Gegen fast alles ist ein Kraut gewachsen“, heißt es und in der Tat, die Leidenschaft, mit welcher der Sitzendorfer Brauchtumsverein bei der jüngsten Ausgabe Wissenswertes und Nutzen aus den Kräften der Natur vermittelte, war unübersehbar. Dem nicht genug, es wurde mit viel Kreativität gestaltet und gebunden, was die Produkte von Doktor Natur hergaben. Erlesene Tinkturen mit ein paar Prozenten aufgewertet oder allerlei Leckereien mit schmackhaften Kräutern gewürzt, rundeten das Angebot ab. Es gab Wiederholungstäter genauso wie Zufallsgäste oder gezielt aus größerer Entfernung angereiste Gäste, sogar aus Erfurt. Da hatte natürlich das ganze Team vom Verein alle Hände voller Arbeit. Die angeboten Produkte kamen super an. Kuchenbleche wurden nahezu ohne Ende über den Zaun gereicht. Gut, dass es diese Möglichkeit zur Vorbereitung der leckeren Blechkuchen und für das Befüllen zahlreichen Kaffeekannen hinter dem Zaun gab.

Und natürlich würde dem Jahreskreis der Feste im Herbst ein Kronjuwel fehlen, vergäße man den Lawerworschtkongress. Schlachtfeste sind auf dem Lande überall beliebt, doch auf die Idee, daraus einen Wettstreit zu machen, und die Zwischenzeit des fürs Publikums nur mittelmäßig erbaulichen Kochens mit allerlei sprachlichen Duellen zu füllen, muss man erst einmal kommen. Und nicht nur das, sondern die Sache auch durchhalten und mehr noch, zu einer Tradition ausbauen.

Es sind wenige, die viel schaffen

All dies erweckt den Anschein, als verfüge der Verein über fast unbegrenzte Ressourcen an Menschen und Material, dabei ist es eine kleine Schar von nur wenig mehr als einem Dutzend aktiven Mitgliedern, die noch dazu ein Durchschnittsalter von 62 Jahren haben, die solche Vielfalt auf die Beine stellen. Die geringe Zahl machen die Mitglieder durch Ideenreichtum, Fleiß und Einsatzfreunde wieder wett.

Und zur Ehrenrettung jüngerer Jahrgänge fügt Stephan Schneider an: „Die aktiven Mitglieder können sich auf die Solidarität und das Mittun ihrer Familien zu den Festen und auch dazwischen verlassen.“ Auch die Gemeinde unterstützt und stellt Material für das Unterhaltungsprogramm von Bänken und auch von Hütten bereit.