Berlin. Die Europäische Zentralbank erhöht ihren Leitzins nicht. Was Verbraucher und Sparer wissen müssen und was für den DAX bedeutet.

Im Kampf gegen die Inflation hatte die Europäische Zentralbank (EZB) seit Mitte 2022 ihren Leitzins immer wieder angehoben. Nun verkündeten die Euro-Währungshüter das zweite Mal seit Oktober, die Zinsschraube nicht weiter anzuziehen. Der Leitzins bleibt damit vorerst unverändert bei 4,5 Prozent.

Die hohen Zinsen führten in der Vergangenheit zu teuren Krediten. Das wiederum war eine Last für die Wirtschaft, weil sich kreditfinanzierte Investitionen verteuern. Doch trotz der kriselnden Wirtschaftslage springt der Deutsche Aktienindex DAX von einem Rekordhoch zum nächsten. Wie das alles zusammenhängt und was das für Verbraucher bedeutet, erklärt Carsten Brzeski, Chefvolkswirt der ING.

Herr Brzeski, die EZB hatte ihre Leitzinsen zuletzt immer wieder angehoben. Nun ist Schluss damit. Warum?

Carsten Brzeski: Weil der Leitzins mittlerweile schon historisch hoch ist. Weil Geldpolitik immer mit einer zeitlichen Verzögerung die volle Wirkung entfaltet und wir auch jetzt schon eine Inflationsrate haben, die sich deutlich auf die zwei Prozent zubewegt. Und insgesamt die Konjunktur schwächelt. Deshalb muss man jetzt erstmal abwarten und sehen, wie sich die ganzen Zinserhöhungen der letzten anderthalb Jahre auswirken. Und es dauert noch eine Weile, bis wir hier die volle Entfaltung sehen werden.

Wann stellt sich mit dem heutigen Beschluss eine Entspannung für Verbraucher ein?

Die Märkte gehen jetzt schon davon aus, dass die EZB im Frühjahr den Zins schon wieder senken könnte. Meine Prognose ist aber, dass wir frühestens im Juni eine erste Zinssenkung sehen werden. Irgendwann nächstes Jahr wird der Verbraucher dann aber die Inflationsrate nach unten gehen sehen. In Deutschland waren wir, je nachdem, wie man das misst, bei circa drei Prozent Inflation im November. Und die Inflationsrate wird dann im Dezember noch ein Stück weiter sinken – und das wird sich 2024 auch fortsetzen. Im Schnitt wird sie nächstes Jahr bei zwei oder drei Prozent liegen.

Ist die Inflation mit der heutigen EZB-Entscheidung vorbei?

Es ist der Anfang vom Ende bei der Inflation. Das Haushaltsloch wurde jetzt geschlossen. Und mit den Entscheidungen der Bundesregierung kommen auch ein paar Steuererhöhungen – und die Steuererhöhungen werden auch die Preise wieder steigen lassen. Von daher ist es nicht so, dass die Inflationsrate ab sofort wirklich jeden Monat kontinuierlich sinken wird. Die Entscheidung jetzt markiert eher den Anfang vom Ende. Vielleicht gibt es mal wieder eine Steigerung der Inflationsrate. Aber die hohen Inflationsraten, die gehören jetzt erstmal der Vergangenheit an.

Carsten Brzeski, Chefvolkswirt für Deutschland und Österreich der ING.
Carsten Brzeski, Chefvolkswirt für Deutschland und Österreich der ING. © Corbis/Getty | Horacio Villalobos

Und gibt es vielleicht sogar manche Bereiche, wo die Preise jetzt kurzfristig sinken könnten?

Ja, das wird passieren. Wir haben ja auch eine schwächelnde Konjunktur beziehungsweise eine leichte Rezession. Deshalb werden wir fallende Preise sehen. Im Nahrungsmittelbereich haben wir sogar schon seit dem Sommer leicht fallende Preise gesehen. Und ich gehe davon aus, dass wir auch im Dienstleistungsbereich, Tourismus oder dem Einzelhandel niedrigere Preise sehen werden. Und es gibt auch Bereiche, wie die Vorproduktion in der Industrie, wo der Verbraucher zwar fallende Preise nicht direkt sieht, es sie aber trotzdem gibt.

Was bedeuten die 4,5 Prozent Leitzinsen der EZB für die Verbraucher?

Die Zinsen der EZB heißen ja auch Leitzinsen. Das heißt, die meisten Banken und Sparkassen orientieren sich bei den Zinsen für Spar- oder Kreditprodukte daran. Ein Beispiel: Die Zinsen auf Sparkonten steigen wieder. Das haben wir ja schon in den letzten Monaten beobachten können. Gleichzeitig gibt es aber keinen Automatismus, dass bei steigenden oder sinkenden Leitzinsen die Banken und Sparkassen sofort auch die Spar- oder Kreditzinsen verändern. Oft beeinflussen noch andere Faktoren diese Entscheidung.

Welche negativen Folgen können hohe Zinsen haben?

Beispielsweise, dass die Kreditzinsen weiter hoch bleiben werden. Wer sich also Geld leiht und einen Kredit aufnimmt, für den ist das weiterhin relativ teuer.

Die Aktien sind auf Rekordhoch, aber die deutsche Wirtschaft steckt in der Krise. Wie passt das zusammen?

Das ist eine schwierige Frage. Zum einen sind die Finanzmärkte natürlich nicht immer rational. Die Börsen wetten auf die Zukunft. Und aktuell handeln sie nach der Prognose, dass die Leitzinsen der großen Notenbanken im nächsten Jahr wieder stark sinken. Dadurch erwarten sie, dass wieder mehr Menschen Geld in Aktien investieren und so eben wieder mehr Geld an der Börse ist. Aktienmärkte erwarten aufgrund der Zinssenkungsfantasien diesen Trend jetzt – und nehmen ihn sozusagen schon vorweg.

Und zum anderen?

Außerdem sind im DAX zwar viele deutsche Unternehmen vertreten – aber sie haben ihr Geschäft natürlich nicht nur in Deutschland. Die amerikanische Zentralbank hat diese Woche beispielsweise das Absenken der Leitzinsen in Aussicht gestellt – das ist ein Signal an alle multinationalen Unternehmen: Die amerikanische Wirtschaft geht wieder nach oben. Und das wirkt sich dann wiederum positiv aus auf deutsche Unternehmen – und den DAX. Wir sehen hier eine Entkopplung zwischen Börse und Realwirtschaft Deutschland.

Was sollten Anleger grundsätzlich beachten?

Verbraucher sollten immer langfristig und breit investieren.