Berlin. “Geben Sie den Menschen mehr Zeit“: Bei “Anne Will“ fordert eine Professorin, das Heizungsverbot aufzuschieben. Mit guten Argumenten?

Deutschland muss weg vom Fossilen – nur wie und wann? Über diese Frage lässt sich vorzüglich streiten. Wie das geht, macht seit Wochen die Regierungskoalition deutlich, zuletzt insbesondere bei den Themen Verbrenner und Heizung.

Das beschäftigte am Sonntagabend auch die Runde bei "Anne Will". "Schluss mit Gas, Öl, Diesel und Benzin – Hat die Ampel dafür einen Plan?", war der Talk überschrieben. Es diskutierten: Konstantin Kuhle (FDP), Jürgen Trittin (Grüne), Jens Spahn (CDU), die Professorin Lamia Messari-Becker und die Journalistin Petra Pinzler.

"Anne Will" – Das waren die Gäste:

  • Konstantin Kuhle, FDP-Bundestagsabgeordneter
  • Jürgen Trittin, Grüne-Bundestagsabgeordneter und Ex-Bundesgesundheitsminister
  • Jens Spahn, CDU-Bundestagsabgeordneter und Ex-Gesundheitsminister
  • Lamia Messari-Becker, Professorin für Gebäudetechnik und Bauphysik
  • Petra Pinzler, Journalistin

Wie viele Technologien brauchen wir?

Im Grunde beschäftigte sich die Runde mit einer zentralen Frage: Sollte man für die Klimawende auf einige wenige oder möglichst viele Technologien setzen? Reicht es also etwa, die Heizungswende über die Wärmepumpen herbeizuführen – oder braucht es dazu einen Strauß von Lösungen?

In der neuen Folge
In der neuen Folge "Anne Will" waren unter anderem Jens Spahn (CDU) und Jürgen Trittin (Grünen) zu Gast. © NDR/Wolfgang Borrs

Dabei waren sich die Diskussionteilnehmenden alles andere als einig, was sich beispielhaft beim Verbrenner zeigte. "Die E-Mobilität steht im Zentrum", sagte Konstantin Kuhle von der FDP mit Blick auf den Streit um E-Fuels. Allerdings müsse man offen sein, weil die synthetischen Kraftstoffe noch gebraucht würden. Petra Pinzler widersprach, zumindest für den Pkw-Bereich: "Wir werden das Verbrenner-Aus kriegen", sagte die Journalistin von der "Zeit". E-Fuels würden dann allenfalls im hochpreisigen Segment noch eine Rolle spielen.

Die Professorin zerreißt das Heizungsverbot

Das technologische Für und Wider tanzte die Runde für viele Bereiche durch. Die deutlichste Haltung nahm dabei Lamia Messari-Becker ein. Am Beispiel des geplanten Verbots von neuen Gas- und Ölheizungen ab 2024 machte die Professorin für Gebäudetechnologie deutlich, wie essentiell aus ihrer Sicht die Verfügbarkeit von unterschiedlichsten Lösungen ist.

"Wir drücken die Energiewende durch einen Flaschenhals, indem wir mehr oder weniger auf eine Technologie setzen", sagte Messari-Becker mit Blick auf die Wärmepumpe, die in vielen Fällen wohl eine fossile Heizung ersetzen müsste. Das werde den Preis für diese Technologie hochtreiben, der von den Verbrauchern und durch Förderungen vom Staat zu tragen sei.

Diesen Weg hält die Professorin für grundfalsch. "Ich bitte Sie: Geben Sie den Menschen mehr Zeit, da mitzugehen", appellierte Messari-Becker an die Ampel. Das Tempo sei zu hoch – am Ende produziere der Heizungsplan soziale Härten ohne großen Klimaschutz.

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Strom, Strom, Strom

Das war eine durchaus schlüssige Kritik – doch Messari-Becker beschränkte sich nicht auf die Gebäude. Im Grundsatz kritisierte sie, dass Deutschland auf eine "stromfokussierte Energiewende" setze. "Wir können nicht Gebäude, Industrie und Verkehr mit Strom versorgen", sagte die Expertin mit Blick auf Wärmepumpen, E-Mobilität und die Wirtschaft insgesamt. Der Strombedarf werde sich dadurch verzehnfachen: "Es wird nicht reichen", lautete ihre Prognose.

Doch was tun? Messari-Becker hatte nicht nur Kritik, sondern auch Lösungen anzubieten. Andere Länder hätten früh ihr Fernwärmenetz ausgebaut, und mit einer Kreislaufwirtschaft lasse sich Klimaschutz erreichen, "ohne das jemand auf etwas verzichten" muss, sagte sie. Zudem forderte sie eben Technologie-Offenheit – allerdings ohne, dass diese zur Verzögerung existierender Lösungen verwendet werden.

Das Fazit

Diese Ausgabe von "Anne Will" zeigte, dass die Wahrheit wohl mal wieder in der Mitte liegt: Zwischen dem einseitigen Fokus, etwa bei den Grünen, die beim Thema Heizung im Grunde auf die Wärmepumpe setzen wollen; und einer potenziell untätigen "Technologieoffenheit", die von der FDP nur allzu gerne als Bremse genutzt wird.

Die große Frage ist, warum sich die Ampel so schwer auf einen solchen Mittelweg verständigen kann. Eigentlich müsse sich die Koalition um einen Zugang à la Messari-Becker kümmern, sagte die Journalistin Pinzler irgendwann. Bisher aber presche Robert Habeck vor, weil er endlich etwas tun wolle – während die FDP munter blockiere. Auch das klang schlüssig, ist im Angesicht von Klima- und Energiekrise aber ein ziemlich trauriger Zustand.

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