Berlin. Die Corona-Werte haben einen neuen Höchststand erreicht. Virologe Christian Drosten erwartet im Winter erneute Kontaktbeschränkungen.

  • Die Zahl der Corona-Neuinfektionen in Deutschland steigen immer weiter an
  • Am Donnerstag wurden mit 50.000 Neuinfektionen so viele neue Fälle wie noch nie gemedet in Deutschland
  • Die Kliniken kommen an ihre Belastungsgrenze
  • Droht ein neuer Lockdown und neue Regeln zu Weihnachten? Drosten warnt deutlich

Bis zum Weihnachtsfest sind es nur noch etwa sechs Wochen. In den ersten Städten beginnen die Aufbauarbeiten für die Weihnachtsmärkte. Doch die Vorfreude auf gemütliches Glühwein-Trinken in der Menge ist getrübt. Denn das Coronavirus grassiert in Deutschland in einem bislang nicht da gewesenem Ausmaß. Die Neuansteckungen haben einen neuen Höchststand erreicht.

Das Robert-Koch-Institut (RKI) vermeldete am Mittwoch eine Sieben-Tage-Inzidenz von 232,1 pro 100.000 Einwohner und 39.676 Neuinfektionen binnen 24 Stunden – beides Rekordwerte in der Pandemie. Zudem wurden 236 weitere Todesfälle im Zusammenhang mit einer Corona-Infektion gemeldet. In Bayern hat sich die Lage so sehr verschärft, dass der Katastrophenfall ausgerufen wurde, um die Pandemiebekämpfung besser koordinieren zu können.

Angesichts einer solchen Entwicklung wächst bei vielen Menschen die Sorge vor einer dramatischen Zuspitzung der Lage vor dem Fest. In vielen Familien laufen die Planungen für die Feiertage und es scheint keineswegs ausgeschlossen, dass Corona das zweite Jahr in Folge ein beschaulichen Fest im im Kreis der Lieben verderben könnte. Lesen Sie dazu: Schausteller – "Ungeimpfte von Weihnachtsmarkt ausschließen"

Corona: Drosten erwartet „sehr anstrengenden“ Winter

Um die Lage im Griff zu behalten, fordern Experten jetzt härtere Maßnahmen. Deutschlands Top-Virologe Christian Drosten sprach im NDR-Podcast von einer „echten Notfallsituation“ und hält neue Kontaktbeschränkungen für unumgänglich. „Wir müssen jetzt sofort etwas machen“, sagte der Leiter der Virologie an der Berliner Charité: „Wir müssen also jetzt die Infektionstätigkeit durch Kontaktmaßnahmen wahrscheinlich wieder kontrollieren – nicht wahrscheinlich, sondern sicher.“

Delta habe die Karten neu gemischt. Drosten erwartet einen „sehr anstrengenden“ Corona-Winter „mit neuen, sagen wir ruhig: Shutdown-Maßnahmen“. Er betonte, die vierte Welle werde uns „monatelang beschäftigen“.

Christian Drosten, Leiter der Virologie an der Berliner Charité.
Christian Drosten, Leiter der Virologie an der Berliner Charité. © picture alliance / Geisler-Fotopress | Christoph Hardt/Geisler-Fotopres

Sollte es bei den Impfzahlen keine Fortschritte geben, ist laut Drosten mit mindestens weiteren 100.000 Corona-Toten zu rechnen. Dies sei eine „konservative Schätzung“, warnte der Virologe. Mittel- und langfristig könne die Pandemie nur besiegt werden, indem man die Impflücken schließe. Das „ideelle Ziel“ müsse „eine dreifach komplett durchgeimpfte Bevölkerung“ sein.

Leopoldina für Impfpflicht und weitgehende 2G-Regeln

Rechtlich ist ein bundesweiter Lockdown nach dem Auslaufen der „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ am 25. November zwar nicht mehr möglich. Auch die Ampelpartner SPD, Grüne und FDP planen hier keine Nachfolgeregelung. Laut Bundesgesundheitsministerium können die Länder bei einer Eskalation der Infektionslage aber örtlich Lockdown-Maßnahmen verhängen.

Ähnlich drastisch wie Drosten äußerte sich am Mittwoch der Präsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, Gerald Haug, im Hinblick auf die nächsten Wochen und Monate. „Für Deutschland wird der bevorstehende Winter eine gesellschaftliche und medizinische Herausforderung infolge eines Mangels an Prävention, klaren Regeln und Stringenz“, konstatierte Haug.

Die Leopoldina-Forscher empfehlen deshalb eine Impfpflicht für „Multiplikatorengruppen“ wie Pflegekräfte, eine Ausweitung der 2G-Regel (Zutritt nur für Geimpfte und Genesene) und die Möglichkeit für Arbeitgeber, bei ihren Angestellten den Impfstatus abzufragen. Bislang ist dies aus datenschutzrechtlichen Gründen verboten.

Regierung: Pandemie breitet sich in dramatischer Weise aus

Wegen der Zuspitzung der Lage hat die Berliner Charité wie auch andere Krankenhäuser wieder damit begonnen, nicht notfallmäßige Operationen zu verschieben, um das medizinische Personal wieder vermehrt auf den Corona-Stationen einzusetzen. „Die steigende Zahl von zu behandelnden Covid-19-Patientinnen und -Patienten macht diesen Schritt nötig“, sagte ein Sprecher unserer Redaktion.

Der Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen, selbst Arzt, hält ein Weihnachten ohne Lockdown trotzdem noch für möglich: „Noch haben wir in der Hand, wie die Corona-Lage an Weihnachten sein wird“, sagte er unserer Redaktion: „Wer sich heute noch impfen lässt, kann sich und seiner Familie ein sicheres Weihnachten ermöglichen.“

Klar sei aber auch, dass die derzeitige Lage „eine Warnung an uns alle ist“. Durch die Mischung aus zu vielen Ungeimpften und zu vielen Neuinfektionen sei das Gesundheitssystem schon jetzt an der Belastungsgrenze, sagte Dahmen.

Die geschäftsführende Kanzlerin Angela Merkel (CDU) dringt wegen der kritischen Lage mit Nachdruck auf eine rasche Bund-Länder-Abstimmung mit den Ministerpräsidenten. Die Pandemie breite sich in dramatischer Weise aus, so Regierungssprecher Steffen Seibert. Unter den Ländern gab es dazu aber keine einheitliche Linie. An diesem Donnerstag berät der Bundestag das Corona-Regelwerk, das die Partner der mutmaßlich nächsten Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP vorgelegt hatten.

Scholz kündigt dabei einen Corona-Gipfel für nächste Woche an. Er soll am Donnerstag stattfinden.