Berlin. Gesundheitsminister Karl Lauterbach befürchtet eine Corona-Herbstwelle. So sind Praxen, Kliniken und die Politik darauf vorbereitet.

Anders als in den vergangenen beiden Pandemie-Jahren erlebt Deutschland eine Sommerwelle: Dem Robert Koch-Institut zufolge lag die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz am Donnerstag bei 720. Innerhalb eines Tages meldeten die Gesundheitsämter 152.149 Corona-Neuinfektionen und 145 Todesfälle. Allerdings: In der Statistik finden sich nur mit einem PCR-Test bestätigte Fälle, die tatsächliche Anzahl der Neuinfektionen dürfte deutlich höher liegen.

Gesundheitsminister Karl Lauterbach blickt mit Sorge auf die kommenden Monate und geht davon aus, „dass wir eine erhebliche Herbstwelle zu bewältigen haben“. Der SPD-Politiker steckt nach eigenen Angaben in den Vorbereitungen auf den dritten Corona-Winter und verzichtet deswegen auf ausgedehnte Sommerferien. Lauterbach arbeitet unter anderem daran, die Datenlage über den Verlauf der Pandemie zu verbessern. Ein Überblick vor dem Herbst:

Corona-Teststellen: Was passiert mit den Bürgertests?

Bürgertests sind seit Anfang Juli nicht mehr für alle kostenlos. Ohne zu bezahlen können weiterhin etwa Kinder unter fünf Jahren, Frauen zu Beginn einer Schwangerschaft, Besucher in Krankenhäusern und Pflegeheimen oder pflegende Angehörige die Tests in Anspruch nehmen. Alle anderen müssen drei Euro pro Schnelltest zahlen.

Lauterbach hätte gerne an den kostenlosen Tests für alle festgehalten. Dagegen sperrte sich Finanzminister Christian Lindner (FDP) wegen der Kosten von durchschnittlich etwa einer Milliarde Euro im Monat. Ob die Neuregelung dazu führt, dass sich weniger Menschen testen lassen oder Teststellen schließen, lässt sich zwei Wochen nach Inkrafttreten noch nicht sagen.

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Corona-Impfung im Herbst: Angepasste Vakzine, vierte Spritze

Nach dem Ansturm auf die Booster-Spritzen Ende 2021 hat sich beim Impfen zuletzt nicht mehr viel getan. Das von Kanzler Olaf Scholz (SPD) ausgegebene Ziel einer Impfquote von 80 Prozent ist unerreicht in Vergessenheit geraten. Am Mittwoch wurden in Deutschland 54.000 Impfdosen verabreicht – der bisherige Rekord liegt bei 1,6 Millionen Dosen am 15. Dezember. Drei Viertel der Bevölkerung sind bisher zweimal geimpft, rund 60 Prozent haben drei Spritzen bekommen und gut sieben Prozent wurden bereits viermal geimpft.

Das Interesse an einer Corona-Impfung war zuletzt gering.
Das Interesse an einer Corona-Impfung war zuletzt gering. © dpa | Daniel Karmann

Möglicherweise steigt das Interesse an einer Impfung an, wenn im Herbst die auf die jüngsten Virusvarianten angepassten Vakzine da sein sollen. Die meisten Länder haben ihre Impfkapazitäten, also die Impfzentren und die mobilen Impfteams, dem Bundesgesundheitsministerium zufolge zum Teil heruntergefahren, hätten aber überwiegend Vorgaben für ein Wieder-Hochfahren im Bedarfsfall gemacht. Lauterbach empfiehlt Menschen über 60 Jahren jedoch, sich bereits jetzt erneut impfen zu lassen. Das Warten auf angepasste Impfstoffe dauere zu lange und sei zu riskant.

Arztpraxen: Was passiert nach der Sommerwelle?

Die Praxen gehen auf dem Zahnfleisch: „Die aktuelle Sommerwelle belastet die hausärztlichen Praxen auf mehreren Ebenen“, berichtet Ulrich Weigeldt, Chef des Hausärzteverbandes. „Wir sehen im Moment viele Patientinnen und Patienten mit Corona-Erkrankungen aber auch mit normalen grippalen Infekten. Diese Erkrankungswelle verschont leider auch nicht das Personal in den hausärztlichen Praxen, was die Lage weiter erschwert.“

Die Hausärzte befürchten im Herbst überfüllte Wartezimmer. Weigeldt fordert daher, die hausärztlichen Praxen überall zu entlasten, wo dies möglich sei. Als Beispiel nennt er, telefonische Krankschreibungen wieder einzuführen. Eine während der Pandemie beschlossene Sonderregel endete zum 1. Juni. Seitdem müssen Patienten für eine Krankschreibung wieder in der Praxis erscheinen oder eine Videosprechstunde buchen.

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Krankenhäuser: Wird es wieder eng auf Stationen?

Auch in den Krankenhäusern bleibt, anders als im vergangenen Corona-Sommer, in diesem Jahr kaum Zeit zum Durchatmen. Zum einen steigt die Zahl der Corona-Patienten auf den Intensivstationen schon jetzt, Monate vor dem Herbst. Zum anderen reißt die aktuelle Sommerwelle große Löcher in die ohnehin dünne Personaldecke: „Wir befinden uns im Zangengriff“, so formuliert es Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG). In einigen Bundesländern werden deshalb schon jetzt wieder Eingriffe verschoben.

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Helfen könnte es nach Einschätzung der DKG jetzt und im Herbst, wenn die Pflegekräfte weniger Zeit mit Dokumentation verbringen müssten. Bis zu drei Stunden am Tag würden dafür anfallen, sagt Gaß: „Würden wir nur um eine Stunde entlastet, wären das allein in der Pflege mehrere Millionen Stunden pro Monat, die wir für die Patientenversorgung nutzen könnten.“ Mehr Spielraum in der Personalplanung hätten die Häuser außerdem, wenn Pflegepersonaluntergrenzen bis auf weiteres ausgesetzt würden.

Rechtslage: Kommt ein neues Infektionsschutzgesetz?

Die Rechtsgrundlage für Corona-Schutzmaßnahmen läuft zum 23. September aus. Noch in diesem Monat will die Regierungskoalition ihre Pläne präsentieren, wie es danach weitergehen soll. Während Lauterbach forderte, den Ländern für alle möglichen Szenarien einen umfangreichen Instrumentenkasten bereitzustellen, lehnte Justizminister Marco Buschmann (FDP) weitreichende Eingriffe wie Lockdowns, Ausgangssperren und Schulschließungen strikt ab. Absehbar ist, dass das Masken-Tragen wieder eine Rolle spielen wird.

Dieser Artikel ist zuerst auf morgenpost.de erschienen.