Berlin/Ahrweiler. Praxen und Krankenhäuser sind dicht, Tausende Helfer reisen in die überschwemmten Gebiete. Experten warnen nun vor Corona-Infektionen.

Durch das Katastrophengebiet im überschwemmten Ahrtal fährt jetzt ein Bus. Geladen hat er: Corona-Impfstoff. Ohne Anmeldung für einen Termin können sich Bewohnerinnen und Bewohner der Region impfen lassen. Am Dienstag parkt der Bus am Bahnhof von Ahrweiler, ein Ort in Rheinland-Pfalz, den das Hochwasser besonders hart getroffen hat.

Die Flut hat Häuser unterspült, Straßen und Brücken zerstört. Das Hochwasser hat aber auch die Gesundheitsversorgung in der Region von einem auf den anderen Tag lahmgelegt. Arztpraxen sind nicht erreichbar, teilweise selbst vom Wasser zerstört. In der Region Ahrweiler musste ein Krankenhaus schließen. In einer Pandemie ist das fatal – eine gerade etablierte Infrastruktur aus Teststationen und Impfzentren liegt brach.

Hinzukommt: Tausende Helferinnen und Helfer sind in die Region gereist: Feuerwehrleute, Polizeieinheiten, Rettungskräfte vom Technischen Hilfswerk und dem Deutschen Roten Kreuz. Wer Menschen aus dem Schlamm ziehe, der kann keinen Mindestabstand einhalten. Wer verzweifelten Hausbesitzern beim Leeren des Kellers hilft, achtet nicht als erstes auf den Mindestabstand.

Lauterbach warnt: Massenunterkünfte sind eine Gefahr

All das wissen die Hilfsorganisationen und die Regierenden in Land und Kommune. Und eine Sorge wächst: Kommt nach der Flutwelle die Infektionswelle? Denn Menschen helfen Seite an Seite, viele Betroffene, aber auch Ehrenamtliche übernachten in Hotels und teilweise Sammelunterkünften. Die Erfahrung in der Pandemie hat gezeigt, dass gerade diese Orte zu erhöhten Infektionszahlen führen können. Auch interessant:Warum hat Deutschland kein flächendeckendes Warnsystem?

Zahlen über die Neuinfektionen in dem Gebiet des Hochwassers kann das rheinland-pfälzische Ministerium auf Nachfrage bisher nicht mitteilen. Für eine seriöse Aussage ist die Zeit nach der Katastrophe, die erst wenige Tage her ist, ohnehin zu knapp.

Und doch ist der Landesregierung der Ernst der Lage bewusst. Staatssekretär Denis Alt rief dringend alle bisher noch ungeimpften Erwachsenen im betroffenen Gebiet auf, sich gegen das Coronavirus impfen zu lassen.

Einsatzkräfte der Bundeswehr bauen eine Behelfsbrücke über die Ahr im Weinort Rech im Landkreis Ahrweiler. Die Infrastruktur ist vielerorts zerstört – das trifft auch Arztpraxen und Krankenhäuser.
Einsatzkräfte der Bundeswehr bauen eine Behelfsbrücke über die Ahr im Weinort Rech im Landkreis Ahrweiler. Die Infrastruktur ist vielerorts zerstört – das trifft auch Arztpraxen und Krankenhäuser. © dpa | Ira Schaible

In der Katastrophenhilfe werde „notwendigerweise Hand in Hand“ gearbeitet, „oftmals ohne Corona-Schutzmaßnahmen umfänglich einhalten zu können“, sagte Alt. „Mit Impfungen und Schnelltests wollen wir den Betroffenen und den zahlreichen Helferinnen und Helfern ein unbürokratisches Schutzangebot machen, um so die Pandemie im Katastrophengebiet im Griff zu behalten.“

Eine Sonderimpfaktion wie in Rheinland-Pfalz ist in Nordrhein-Westfalen derzeit nicht geplant, sagte dort ein Sprecher der Landesregierung und verwies auf die Zuständigkeit der Behörden vor Ort. Das NRW-Gesundheitsministerium stelle den vom Hochwasser betroffenen Gebieten aber zusätzliche Impfkontingente zur Verfügung.

Katastrophengebiet kann zum Superspreader-Event werden

„Die Menschen in den Katastrophengebieten haben derzeit ganz sicher andere Sorgen als das Coronavirus, das verstehe ich. Wenn sich die Menschen nun aber insbesondere in den Notunterkünften gegenseitig anstecken, belastet das die angespannten Strukturen vor Ort zusätzlich“, sagte NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU).

„Daher geben wir so viel Impfstoff wie gebraucht wird, in diese Regionen.“ Auch Gesundheitsexperten sehen die Gefahr, dass das Katastrophengebiet zum Superspreader-Event wird. „Massenunterkünfte sind eine Gefahr für die Menschen, denn dort herrscht ein hohes Corona-Ansteckungsrisiko“, sagt SPD-Politiker Karl Lauterbach unserer Redaktion.

Solche beengten Unterkünfte seien daher unbedingt zu vermeiden. „Die Flutopfer in den Katastrophengebieten müssen statt dessen in Hotels und Einzelunterkünften untergebracht werden.“ Oftmals passiert dies bereits.

In wenigen Stunden lassen sich mehr als 100 Menschen impfen

Neben mobilen Impf-Teams fordert Lauterbach, dass alle, die bei den Aufräumarbeiten mithelfen, mit hochwertigen FFP2-Schutzmasken ausgestattet werden. Zuletzt waren die Infektionszahlen etwa im stark von der Flut betroffenen Kreis Ahrweiler sehr gering. Auch interessant:Diese Maske testet auf Coronaviren im Atem

Auch knapp eine Woche nach dem Hochwasser liegt die Inzidenz bei gut fünf Neuinfektionen pro Woche und 100.000 Einwohner – ein Wert deutlich unter dem Durchschnitt in Deutschland. In Rheinland-Pfalz waren bis Montag 46,4 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft.

Beim Corona-Impf-Bus am Bahnhof von Ahrweiler sind laut Behörden nicht nur Impfungen gegen das Virus möglich. Anwohnerinnen und Anwohner können sich auch testen lassen. Nach einigen Stunden, so teilte die Landesregierung mit, hätten sich bereits mehr als 100 Menschen in Ahrweiler impfen lassen. Solange die Nachfrage anhalte, bleibe der Bus vor Ort.