Berlin. Die Lage in Afghanistan ist auch das Ergebnis einer jahrelang schwelenden Konfliktsituation. Wichtige Hintergrundinfos im Überblick.

Zwanzig Jahre lang wurden die Islamisten in Afghanistan in Schach gehalten. Doch kaum hatten die letzten internationalen Truppen das Land verlassen, begannen die Taliban Gebiete zurückzuerobern. Dass die Terrorgruppe in Afghanistan erneut die Führung übernommen hat, hat vielseitige Gründe. Vieles liegt aber auch in der andauernden Konfliktsituation in dem Staat begründet.

Alles Wichtige, was man zu Afghanistan und der Geschichte des Krieges wissen muss, erklärt dieser Überblick.

Wo liegt Afghanistan und welche Nachbarländer grenzen daran?

Afghanistan ist ein Binnenstaat, der zwischen Südasien, Zentralasien und Vorderasien liegt. Das Land teilt sich Grenzen mit Iran, Turkmenistan, Usbekistan, Tadschikistan, der Volksrepublik China und Pakistan. Ein großer Teil des Landes bestehen aus schwer zugänglichen Gebirgsregionen.

Wie hieß Afghanistan früher?

Ein gängiger historischer Name für die heute als Afghanistan bekannte Region ist „Chorasan“. Der heutige Name Afghanistan, der zuerst vor allem von der Außenwelt genutzt wurde, bedeutet wörtlich „Land der Afghanen“. Die persische Nachsilbe -stan geht dabei auf den indoiranischen Ausdruck für „Ort, an dem man steht“, zurück.

Bevölkerung: Wie viele Einwohner hat Afghanistan?

Afghanistan hat einer Schätzung von 2019 zufolge rund 38 Millionen Einwohner.

Welche Flagge hat Afghanistan?

Die Flagge Afghanistans hat drei vertikale Streifen: links schwarz, in der Mitte rot, rechts grün. In der Mitte befindet sich das historische Wappen des Landes, auf dem unter anderem eine Moschee zu sehen ist.

Die Flagge der Taliban hingegen ist weiß mit schwarzem Schriftzug. Die Islamisten haben sie bei ihrem Vormarsch bereits an mehreren öffentlichen Gebäuden in Afghanistan gehisst - und die ursprüngliche Flagge des Landes vernichtet.

Eine Taliban-Flagge weht auf einem Platz in Kundus.
Eine Taliban-Flagge weht auf einem Platz in Kundus. © dpa

Einfach erklärt: Warum gibt es den Konflikt in Afghanistan?

Der Nato-Einsatz, an dem sich auch Deutschland beteiligte, ist das jüngste Kapitel in einer langen Reihe von kriegerischen Auseinandersetzungen in Afghanistan. Man muss bis in die 70er-Jahre zurückgehen, um zu erklären, wie es zu der heutigen Lage kommen konnte. Im Jahr 1978 putschte sich die kommunistische Volkspartei in Afghanistan an die Macht. Die Machtübernahme stieß bei der islamisch geprägten Bevölkerung auf Widerstand, wenig später wurde der Kopf der Partei ermordet.

Daraufhin marschierte die Sowjetunion 1979 in Afghanistan ein – um die Kommunisten vor Ort zu unterstützen und das Land an sich zu binden. Die offizielle Begründung der Sowjets lautete damals, dass man den Frieden in Afghanistan wiederherstellen wolle. Als Reaktion riefen Islamisten zum Dschihad auf. Die Gruppen der sogenannten Mudschaheddin setzten sich zwischen 1979 und 1989 erfolgreich zur Gegenwehr, bis die Sowjetunion ihre Truppen aus Afghanistan abzog. Der Bürgerkrieg hatte sich in dieser Zeit zu einem Stellvertreterkrieg zwischen sowjetischer Besatzungsmacht und den von den Vereinigten Staaten, Saudi-Arabien und Pakistan unterstützten islamischen Guerillas entwickelt.

Langfristig setzten sich dann im Jahr 1996 die Taliban als Machthaber in Afghanistan durch. Ihr Ziel: Die Gründung eines islamischen Gottesstaats. Musik, Sport, Bilder und Fernseher wurden verboten. Unter ihnen wurden die meisten Schulen und Universitäten geschlossen. Frauen durften sich nur komplett verschleiert und in männlicher Begleitung in der Öffentlichkeit bewegen.

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Kurzfassung: Wie kam es zum aktuellen Afghanistan-Krieg?

Die Taliban boten in Afghanistan terroristischen Gruppen wie Al-Qaida einen Unterschlupf. Die Anschläge vom 11. September wurden hier geplant. Nach dem Terror-Akt griffen daher die USA und Großbritannien noch im Oktober das Land an. Die Intervention führte schnell zum Sturz der Talibanregierung und leitete mit der Stationierung von Nato-Truppen eine neue Phase direkter ausländischer Beteiligung am afghanischen Bürgerkrieg ein.

Über 40 Länder beteiligten sich seitdem an der Mission in Afghanistan. Es sollten neue staatliche Strukturen implementiert, Schulen, Straßen und Krankenhäuser gebaut werden. Deutschland beteiligte sich vor allem am Aufbau und der Ausbildung der afghanischen Polizei und Armee.

Trotz der Intervention konnten die Taliban, die sich in Pakistan neu formiert hatten, ungefähr seit 2003 wieder Fuß in Afghanistan fassen. Seither kam es zu koordinierten Angriffen auf Staatseinrichtungen und ausländische Truppen. Es folgten Jahre, in denen es immer wieder zu kriegerischen Auseinandersetzungen und Attentaten durch die Taliban kam.

Inwiefern war die Bundeswehr in den Konflikt involviert?

Die deutsche Beteiligung am Afghanistan-Krieg wurde vom Deutschen Bundestag in zwei Abstimmungen am 16. November und 22. Dezember 2001 beschlossen. Danach agierte die Bundeswehr im Rahmen der Operation Enduring Freedom und beteiligte sich am ISAF-Einsatz zur Stabilisierung Afghanistans. Ende 2014 endete ISAF-Einsatz in Afghanistan. Die Bundeswehr blieb allerdings im Rahmen der NATO-Mission Resolute Support bis 29. Juni 2021 noch im Land.

Wann wurde entschieden, dass die Nato-Truppen aus Afghanistan abgezogen werden?

Ausgangspunkt für den Abzug der internationalen Streitkräfte war Ende Februar 2020 ein noch unter der Trump-Regierung mit den Taliban ausgehandeltes Abkommen. Es sah einen 2021 beginnenden schrittweisen Abzug der Nato-Streitkräfte vor.

Nachdem auch der neue US-Präsident Joe Biden an diesem Plan festhielt, beschloss der Nato-Rat seinerseits im April, im Mai mit dem Truppenabzug aus Afghanistan zu beginnen. Ende Juni verließen die letzten deutschen Soldatinnen und Soldaten das Einsatzgebiet. Ende Juli 2021 endete der NATO-Einsatz offiziell. Zu diesem Zeitpunkt waren nur noch US-amerikanische und türkische Soldaten unter nationalem Kommando in Afghanistan. Die Bundeswehr hatte das Land bereits im Juni verlassen.

Nach dem Ende der Nato-Mission konnten die Taliban innerhalb kurzer Zeit die Kontrolle über große Teile des gesamten Landes übernehmen, da die Regierungstruppen den Widerstand weitgehend aufgegeben hatten. Am 15. August nahmen die Islamisten die Hauptstadt Kabul ein. Der afghanische Präsident Ashraf Ghani floh aus seinem Land. Auch interessant: Taliban-Sieg: Warum ist die afghanische Armee so schwach?

Taliban: Wer sind die radikalen Islamisten in Afghanistan?

Die Taliban-Bewegung entstand in den 1990er Jahren als Verbund afghanischer Islamisten. Ab Herbst 1994 eroberten sie weite Teile Afghanistans (s.o.). Sie gewährten anderen „Gotteskriegern“ Unterschlupf, darunter zahlreichen Mitglieder von Osama Bin Ladens Al-Qaida. Nach den Terror-Anschlägen vom 11. September 2001 weigerten sich die Taliban, Bin Laden an die USA auszuliefern. Über wie viele Kämpfer die Taliban verfügen, ist unklar. Der UN-Sicherheitsrat ging im vergangenen Jahr von etwa 55.000 bis 85.000 Kämpfern aus. Die Taliban verfolgen das Ziel, einen islamischen Gottesstaat mit der Scharia als Gesetz in Afghanistan zu etablieren.

Kämpfer der islamistischen Taliban in Kabul.
Kämpfer der islamistischen Taliban in Kabul. © dpa

Machtübernahme durch die Taliban: Wer ist jetzt in Afghanistan bedroht?

Durch die Machtergreifung der Taliban sind große Bevölkerungsgruppen bedroht. Vor allem die Rechte von Frauen, Intellektuellen und Journalisten könnten durch die radikalislamische Führung beschnitten werden. In Lebensgefahr befinden sich vor allem jene, die für die Islamisten als Verräter gelten: Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler, weibliche Politikerinnen und Aktivistinnen oder auch die sogenannten Ortskräfte.

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Afghanistan: Was sind Ortskräfte und was passiert mit ihnen?

Tausende Afghanen haben die Bundeswehr vor Ort unterstützt - ob als Dolmetscher, Informanten oder Köche. Nach dem Abzug der internationalen Truppen müssen diese sogenannten Ortskräfte nun um ihr Leben fürchten, für die Taliban sind sie Verräter, da sie mit den Nato-Truppen kooperiert haben.

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Neben dem Personal der deutschen Botschaft sollen deshalb auch die Ortskräfte, die früher für die Bundeswehr oder Bundesministerien gearbeitet haben oder jetzt noch arbeiten, nach Deutschland gebracht werden. Auf genaue Zahlen der zu rettenden Menschen will sich die Bundesregierung nicht festlegen. Lesen Sie dazu: Afghanistan: Wie die Evakuierung für Deutsche ablaufen soll

Wie ist derzeit eine Flucht aus Afghanistan möglich?

Viele Afghanen, die ihr Land aus Angst vor der Verfolgung durch die Taliban verlassen wollen, versuchen derzeit, über Evakuierungsflüge vom Flughafen in Kabul auszureisen. Die Bundeswehr hat für Deutsche und Ortskräfte eine Luftbrücke errichtet, um die Flucht aus dem Land zu erleichtern. Seit sich die internationalen Truppen zurückgezogen haben, versuchen Menschen aber auch über den Landweg zu fliehen – beispielsweise über Pakistan und den Iran weiter in die Türkei.

Wie viele Deutsche befinden sich noch in Afghanistan?

Die Gesamtzahl deutscher Staatsbürger, die bis Sonntag noch in Kabul waren, wurde mit über 100 angegeben. Wie viele darunter zu den Ortskräften zählen, ist unklar. Allein in der staatlichen Entwicklungshilfe waren zuletzt noch 1100 Afghanen in deutschem Auftrag tätig. Genaue Angaben vom Montag gibt es bisher nicht.

Warum ist Afghanistan so umkämpft?

Afghanistan weist einen großen Reichtum an Rohstoffen auf. Dazu zählen etwa Kupfer, Eisen, Lithium und Gold, aber auch eine Reihe von Metallen der Seltenen Erden.

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(bml/raer)