Berlin . Afghanische Ortskräfte arbeiteten als Übersetzer oder Fahrer vor allem für die Bundeswehr. Nun aber fühlen sie sich allein gelassen.

Nawid ist sich sicher: Wenn ihn die Taliban erwischen, dann muss er um sein Leben fürchten. „Die Taliban kennen mich, sie wissen wo ich wohne, sie wissen, dass ich Kinder habe“, sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion. Nawid versteckt sich seit Tagen in Mazar-i-Sharif, er geht nicht mehr auf die Straße, er verschanzt sich in seinem Haus. Die Taliban standen schon vor seinem Tor, harrten an der hohen Mauer vor seinem Haus aus. Fotos von Plünderungen von afghanischen Unternehmern erreichen unsere Redaktion.

Nawid ist eine Ortskraft, hat jahrelang mit seiner Firma Aufträge für die Nato-Truppen und die Bundeswehr im Camp im Norden Afghanistans gearbeitet.

Nun sind die internationalen Truppen längst weg. Die Islamistenmiliz der Taliban hat das Land unter Kontrolle gebracht – abseits des kleinen militärischen Teil des Flughafens in der Hauptstadt Kabul. Und Deutschlands Helfer im Taliban-Land sind zurückgelassen. Oft allein. Und fürchten um ihr Leben.

Wer sind die afghanischen Ortskräfte der Bundeswehr?

Die afghanischen Ortskräfte waren in den vergangenen Jahren wichtiger Bestandteil der Militäroperation der Bundeswehr in Afghanistan. Sie haben für die deutschen Truppen als Fahrer gearbeitet, als Dolmetscher, als Koch. Andere fuhren mit Lastwagen Waren für die Armee von einem Stützpunkt zum nächsten.

Afghanistan, Kabul: US-Soldaten bewachen eine Absperrung am internationalen Flughafen. Viele Afghanen drängen zum Flughafen. Die Rettungsflüge sind die letzte Chance, das Land zu verlassen.
Afghanistan, Kabul: US-Soldaten bewachen eine Absperrung am internationalen Flughafen. Viele Afghanen drängen zum Flughafen. Die Rettungsflüge sind die letzte Chance, das Land zu verlassen. © dpa | -

Mehrere Tausend Afghanen haben für die Bundeswehr in mehr als 20 Jahren Einsatz am Hindukusch gearbeitet. Manche nur eine kurze Zeit, viele aber über Jahre. So wie Nawid. Lesen Sie auch: Fachleute erwarten einen Anstieg der Flüchtlinge aus Afghanistan

Unsere Redaktion konnte in den vergangenen Monaten und auch in den letzten Tagen mit mehreren afghanischen Ortskräften sprechen. Viele sind verzweifelt, fürchten um ihre Sicherheit. Und die ihrer Familie. Manche von ihnen verstecken sich in Wohnungen in der Millionen-Metropole Kabul, andere tauchen in den Provinzstädten ab, fliehen vor den Islamisten.

Afghanische Ortskräfte der Bundeswehr gelten für die Taliban als „Verräter“

Mit dem Abzug der internationalen Truppen in diesem Sommer haben die afghanischen Ortskräfte auch ihre Schutzmacht verloren. Die Taliban regieren nun. Und sie sehen Menschen wie Nawid als „Verräter“ an, als „Kollaborateure mit den Besatzungsmächten“. Menschen wie Nawid und seine Frau und seine Kinder haben Angst.

Aktuell rettet die Bundesregierung die letzten deutschen Staatsbürger aus Kabul. Sie fliegt Menschen in Militärmaschinen aus. Die verbliebenen Mitarbeiter der deutschen Botschaft haben Listen, darauf sind die Namen der deutschen Staatsbürger. Und auch Namen von Ortskräften. Erste Afghanen flog die Bundeswehr am Montag und Dienstag aus. Doch es sind bisher nur Einzelfälle.

Einige Hundert sind schon vor Wochen nach Deutschland ausgeflogen, als die Flughäfen noch regulär in Betrieb waren. Bis Kabul noch in Hand der afghanischen Regierung war, reisten mindestens 353 dieser Ortskräfte mit 1.433 Angehörigen nach Deutschland ein - also insgesamt 1.786 Personen. Das Auswärtige Amt hat nach eigenen Angaben rund 2.400 Visa ausgeteilt.

Kommen darf nur, wer direkt bei einem deutschen Ministerium angestellt war

Doch nicht alle dürfen kommen: Menschen wie Nawid bleiben außen vor. Denn er war nicht direkt bei der Bundeswehr oder einer deutschen Behörde wie dem Auswärtigen Amt oder dem Entwicklungsministerium angestellt. Er hatte einen Vertrag mit einer deutschen Firma, die im Camp der Soldaten im Auftrag der Bundeswehr gearbeitet hat. Diese „Subunternehmer“ genießen nicht den Schutz der Bundesregierung.

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Doch Menschen wie Nawid wissen: Die Taliban unterscheiden nicht, ob sie direkt oder nur indirekt bei der Bundeswehr angestellt waren. „Wir sind alle durch das gleiche Tor am Eingang des Camps gegangen“, sagt eine andere Ortskraft, die sich nun in Kabul versteckt.

Kommen durfte anfangs nach Deutschland nur, wer in den vergangenen zwei Jahren für die Bundesregierung direkt angestellt war. Nur: Etwa 1300 afghanische Ortskräfte hat die Bundeswehr allein seit 2013 beschäftigt.

Kabul: Kämfper der Taliban stehen Wache an einem Kontrollpunkt in der Nähe der US-Botschaft, der zuvor von amerikanischen Truppen besetzt war.
Kabul: Kämfper der Taliban stehen Wache an einem Kontrollpunkt in der Nähe der US-Botschaft, der zuvor von amerikanischen Truppen besetzt war. © dpa | -

Erst nach Druck auf die Bundesregierung fiel diese Regelung – auch Menschen, die vorher für die Bundeswehr gearbeitet haben, dürfen kommen. Sofern sie ein Visum und einen Reisepass bekommen. Für andere Ortskräfte abseits der Bundeswehr, also etwa bei Hilfsorganisationen, gilt diese erweiterte Regelung nicht.

Helfer kritisieren: 2000 afghanische Ortskräfte haben noch kein Visum

Flüchtlingshelfer kritisieren, dass bis zuletzt noch immer bis zu 2000 afghanische Ortskräfte kein Visum für Deutschland haben. Und: Laut dem Bundesinnenministerium musste bis zuletzt vor der Visa-Erteilung insbesondere bei den Angehörigen der Ortskräfte eine Sicherheitsüberprüfung erfolgen. Mit dem Fall des Landes an die Taliban scheint das nicht mehr zu gelten.

Das bedeutete auch: Bis zuletzt mussten die afghanischen Ortskräfte ihr Visum in Afghanistan selbst beantragen. Nicht etwa im sicheren Dubai oder etwa in Pakistan oder Iran. Zudem beklagen Ortskräfte im Gespräch mit unserer Redaktion, dass Anlaufstellen der Bundeswehr oder der deutschen Botschaft nur sporadisch besetzt gewesen seien oder nicht erreichbar.

Ehemalige Ortskräfte sitzen fest

Doch nun ist für viele diese Hoffnung auf eine letzte Rettung geschmolzen. Viele der ehemaligen Ortskräfte sitzen im Norden des Landes fest, in der Region in Mazar-i-Sharif, wo die Bundeswehr ihren Standort hatte. Viele trauen sich nicht durch das Taliban-kontrollierte Land nach Kabul zu fliehen – und dort auf einen der Rettungsflieger zu hoffen.

Andere afghanische Ortskräfte sind samt Familien in Kabul, bekommen aber keine Informationen darüber, wohin sie kommen sollen – obwohl alle Papiere vorliegen. Anderen fehlen noch Dokumente wie der Pass, um ausreisen zu können. Oder das Visum.

Und nun ist nicht klar, wie lange die Bundeswehr Kabul noch anfliegen wird, um Menschen aus der Taliban-Herrschaft zu holen. Für viele ist die Zukunft ungewiss. Manchmal sogar schon die nächste Stunde in ihrem Leben.