Berlin. Bei der Generaldebatte zum Haushalt ruft Kanzlerin Merkel die Bevölkerung zum Durchhalten auf – und wird dabei emotional wie selten.

Wenn Angela Merkel die Dramatik der Lage deutlich machen will, rechnet sie vor. Das war im September so, als sie prognostizierte, die Zahl der Corona-Neuinfektionen könnte bei weiterem exponentiellen Wachstum bis Weihnachten bei 19.200 liegen. Das war auch am Mittwochmorgen im Bundestag so, als sie in Aussprache zum Haushalt am Rednerpult steht.

Bei der ersten Lesung des Haushalts am 29. September habe es 1827 gemeldete Neuinfektionen gegeben, 352 belegte Intensivbetten und zwölf Tote, listet Merkel auf. „Heute haben wir 20.815 Fälle, 3500 mehr als vor einer Woche, 4257 belegte Intensivbetten gestern und 590 Tote.“ Ihr Fazit: „Die Zahl der Kontakte ist zu hoch, die Reduktion der Kontakte ist nicht ausreichend.“

Mit diesen Worten will Merkel darauf einstimmen, dass wohl noch in diesem Jahr härtere Regeln auf die Bürger zukommen. Noch ist nichts entschieden, das Kanzleramt verhandelt derzeit mit den Ministerpräsidenten und Ministerpräsidenten über ein neuerliches Treffen vor Weihnachten. Aber in ihrer Rede vor dem Parlament macht Merkel schon klar, dass sie diesen Schritt für unumgänglich hält.

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Corona-Lockdown: Merkel lobt Leopoldina-Empfehlung

Mehrfach erwähnt sie lobend die Stellungnahme von über 30 Wissenschaftlern, die die Leopoldina am Dienstag veröffentlichte. In ihr wird empfohlen, die Schulpflicht bereits ab dem 14. Dezember auszusetzen, ab dem 24. Dezember soll dann ein harter Lockdown folgen, mit einer Schließung der meisten Geschäfte. „Bis Weihnachten sind es noch 14 Tage“, mahnt Merkel. Man müsse alles tun, um nicht wieder in ein exponentielles Wachstum zu kommen. Lesen Sie auch:Namhafte Corona-Berater: Was ist eigentlich die Leopoldina?

Sie verstehe alle, die jetzt bei Glühwein und Waffel im Freien zusammenstünden. „Aber wenn wir dafür den Preis zahlen, dass wir dafür Todeszahlen von am Tag 590 Menschen haben, dann ist der Preis nicht akzeptabel aus meiner Sicht.“

Merkel plädiert auch fürs Vorziehen der Schulferien auf den 16. Dezember – ebenfalls eine Empfehlung der Leopoldina –, auch um den Menschen die Möglichkeit zu geben, sich vor dem weihnachtlichen Verwandtenbesuch zehn Tage in eine Art Selbstquarantäne zu begeben. „Was wird man denn im Rückblick auf ein Jahrhundertereignis sagen, wenn wir nicht in der Lage waren, für diese drei Tage eine Lösung zu finden?“, fragt Merkel: „Wenn wir jetzt vor Weihnachten zu viele Kontakte haben und anschließend es das letzte Weihnachten mit den Großeltern war, dann werden wir etwas versäumt haben.“ Fast flehend klingt sie in diesem Moment. So emotional hat man die Kanzlerin selten erlebt.

Merkel: „Wir sehen Licht am Ende des Tunnels“

Nicht weniger flehend ist ihr Appell an die Bürger, durchzuhalten. „Wir sind in einer entscheidenden Phase der Pandemiebekämpfung“, sagt sie. Alle historischen Erfahrungen würden zeigen, dass die zweite Welle deutlich schwieriger sei als die erste. Sie erinnert an die Intensivpatienten, dankt den Pflegern und Pflegerinnen und versucht, Mut zu machen: „Wir sehen Licht am Ende des Tunnels.“

Zwar würden im ersten Quartal 2021 noch nicht viele Menschen geimpft werden können, aber allein die Entwicklung eines Impfstoffs in weniger als einem Jahr sei herausragend: „Das ist etwas, was es in der Geschichte der Menschheit noch nicht gegeben hat.“ Auch ein zeitliches Ziel für dieses Durchhalten gibt Merkel vor. „Die Winterzeit geht bis Mitte März“, sagt sie: „Das ist eine überschaubare Zeit, die kriegen wir hin.“

Merkel weiß, dass sie die Mehrheit der Bevölkerung noch hinter ihrer Corona-Politik hat, das zeigen die Umfragen. Aber sie weiß auch, wie schnell es damit vorbei sein kann. Der Haushalt, um den es an diesem Vormittag eigentlich gehen soll und der am Ende der Sitzungswoche verabschiedet wird, gerät in dieser Debatte ein wenig in den Hintergrund. Der sieht wegen Corona für 2021 eine Rekordneuverschuldung von 180 Milliarden Euro vor.

Emotional wie selten: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Mittwoch während der Generaldebatte zum Bundeshaushalt im Bundestag.
Emotional wie selten: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Mittwoch während der Generaldebatte zum Bundeshaushalt im Bundestag. © dpa | Kay Nietfeld

Merkel kritisiert Corona-Politik der AfD

Merkel treibt in puncto Wirtschaft aber eine andere Sorge um. Corona ordne die Kräfte auf der Welt neu, sagt sie am Mittwoch in ihrer Rede. Die Wirtschaft sei überall in den Ländern widerstandsfähig, wo die Pandemie unter Kontrolle sei. Drei Ländergruppen identifiziert sie: die mit massiven Wirtschaftseinbrüchen von bis zu zehn Prozent (darunter Frankreich und Italien), eine mittlere Gruppe mit einem Rückgang von vier bis sechs Prozent (Deutschland, Australien, USA) und dann jene, die wirtschaftlich stärker aus der Krise hervorgehen.

So werde China am Ende des Jahres ein Wirtschaftsplus von 1,9 Prozent verzeichnen: „Immer beim Kampf gegen das gleiche Virus“. Für Merkel ist daher klar: „Es geht nicht um Kampf für die Gesundheit gegen Kampf für Wirtschaft und Bildung, Kultur und anderes, sondern darum, beides miteinander in Einklang zu bringen. Das ist die komplizierte Aufgabe.“

Sie glaube an die Kraft der Aufklärung, sagt Merkel noch. Das geht an die Adresse der AfD, die immer wieder die massiven Folgen von Corona bestreitet und Merkel eine falsche Krisenpolitik vorwirft. Sie habe sich bewusst für ein Physikstudium entschieden, kontert Merkel: „Weil ich ganz sicher war, dass man vieles außer Kraft setzen kann, aber die Schwerkraft nicht, die Lichtgeschwindigkeit nicht und andere Fakten nicht. Und das wird auch weiter gelten.“ Lesen Sie auch:Warum die AfD sich als Anti-Anti-Corona-Partei versucht