Berlin. Die meisten Militärexperten erwarten eine baldige Gegenoffensive der Ukraine – auch Masala. Aber vielleicht gibt es eine Überraschung.
Er gehört zu den bekanntesten Militärexperten in Deutschland: Carlo Masala. Der 55-Jährige lehrt Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr München. Er beantwortet unserer Redaktion jede Woche die wichtigsten Fragen rund um den Ukraine-Krieg.
Herr Professor Masala, der Frontverlauf im Ukraine-Krieg scheint eingefroren. Passieren Dinge, die wir nicht sehen – oder ist das die Ruhe vor dem Sturm?
Carlo Masala: Die Frage lässt sich nicht mit 100-prozentiger Sicherheit beantworten. Es kann sein, dass es sich um eine taktische Pause der Ukrainer vor der erwarteten Gegenoffensive handelt. Was offensichtlich ist: Die russische Offensive, die um Weihnachten herum begann, läuft sich tot. Sie ist de facto gescheitert. Das sieht man an der monatelangen Schlacht um die Stadt Bachmut. Die Russen haben viel Material und Menschenleben eingesetzt, aber die Stadt ist noch nicht gefallen.
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Gibt es für die Frühjahrsoffensive der Ukrainer eine Deadline?
Masala: Nein. Allerdings haben die Ukrainer durch die späte Lieferung der westlichen Kampfpanzer Zeit verloren. Das gab den Russen die Möglichkeit, ihre Verteidigungsstellungen massiv auszubauen. Jetzt kommen wir in eine Phase, in der der Boden in der Ukraine wieder gut befahrbar wird. Die Gegenoffensive müsste in den nächsten Wochen zu erwarten sein. Andererseits waren die Ukrainer schon immer gut für Überraschungen.
Der Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes, Kyrylo Budanow, hält die Rückeroberung des gesamten von Russland besetzten Staatsgebietes bis Ende des Jahres für möglich. Ist das Wunschdenken oder realistisch?
Masala: Ich würde die Aussage nicht zu hoch hängen. Zum Teil soll dadurch innenpolitisch die Moral gestärkt werden. Zum anderen will man auf die Verbündeten einwirken, dass die Unterstützung für die Ukraine nicht nachlässt. Niemand weiß, wie erfolgreich die ukrainische Gegenoffensive sein wird und wie schnell sich die russischen Kräfte abnutzen. Krieg ist kein lineares Geschäft. Man kann das nicht prognostizieren.
Der Kreml-Kritiker Michail Chodorkowski sagt, mit 300 westlichen Kampfflugzeugen könnte die Ukraine den Krieg gegen Russland gewinnen. Hat er Recht?
Masala: Auch diese Aussage ist nicht seriös. Wenn die Ukraine 300 westliche Kampfjets bekommen würde, würden auch die Russen ihre Luftwaffe stärker einsetzen. Aber klar ist natürlich: Kampfflugzeuge sind bei Fragen rund um Offensive und Schutz aus der Luft wichtig. Die Ukraine stünde dann wesentlich operativ besser da als jetzt.
Die EU will der Ukraine innerhalb von zwölf Monaten eine Million Schuss Artilleriemunition liefern. Frankreich pocht darauf, dass alles komplett aus europäischer Produktion stammt. Bremst Präsident Macron die Ukraine aus?
Masala: Das ist zweifellos ein Hemmschuh. Die Menge an Munition, die die Ukraine braucht, ist so gigantisch, dass sich die Frage stellt, ob die Europäer das allein bewerkstelligen können. Wenn man wirklich will, dass die Ukraine alles bekommt, was sie zur Verteidigung benötigt, dann geht man dorthin, wo Munition verfügbar ist.
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Welche Frage im Ukraine-Krieg interessiert Sie derzeit am meisten?
Masala: Für mich ist das die Frage, ob es den Ukrainern gelingt, die südliche von der östlichen Front zu trennen.