Berlin. Bund und Länder haben sich auf eine neue Verteilung der Migrationskosten geeinigt. Auch Sozialleistungen sollen eingeschränkt werden.

Als die Einigung steht, ist es weit nach Mitternacht, und hinter dem Kanzler und den Chefinnen und Chefs der Länder liegt ein Sitzungsmarathon. Mehr als acht Stunden lang haben Bund und Länder ab Montagabend darüber beraten, wie künftig die deutsche Migrationspolitik aussehen soll. Nach monatelangem Streit steht jetzt in zentralen Punkten eine Einigung, an anderen Stellen will man prüfen, was möglich ist. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach in der Nacht von einem „sehr historischen Moment“ und sagte, es sei gelungen, dass alle Ebenen des Staates eng zusammenarbeiten. „Und das ist auch notwendig, das erwarten die Bürgerinnen und Bürger von uns, dass wir das tun.“

Der Überblick, was Bund und Länder beschlossen haben:

Wer trägt künftig die Kosten für Asylbewerber?

Länder und Kommunen klagen seit Monaten, dass die Asylbewerberzahlen nicht nur die Aufnahmekapazitäten an ihre Grenzen bringen, sondern auch die öffentlichen Haushalte. Vom Bund forderten sie deshalb mehr finanzielle Unterstützung.

Bei der Runde von Montag auf Dienstag haben sie sich durchgesetzt mit ihrer Forderung nach einem „atmenden System“. Künftig soll es laut Beschluss eine jährliche Pauschale von 7500 Euro geben, die der Bund den Ländern pro Asylerstantragsteller zahlt. Eine jährliche Gesamtsumme von 3,7 Milliarden Euro soll dabei nicht überschritten werden. Das Prinzip, in den Worten des Bundeskanzlers: „Mit steigenden Zahlen gibt‘s mehr Geld, mit sinkenden Zahlen gibt‘s weniger.“

Es ist weniger, als sich die Länder erhofft hatten – sie hatten vorab 10.500 Euro pro Asylbewerber gefordert. Es ist aber auch deutlich mehr, als der Bund ursprünglich bereit war zu geben. Die Bundesregierung hatte den Ländern für das kommende Jahr eigentlich nur 1,25 Milliarden in diesem Bereich zur Verfügung stellen wollen.

Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) und sein Amtskollege aus Niedersachsen, Stephan Weil (SPD), betonten vor allem die Entlastung in Milliardenhöhe, die das für die Kommunen bedeute.

Welche Leistungen bekommen Asylbewerber künftig?

Wer in Deutschland Schutz sucht, bekommt in der Zeit des Verfahrens zunächst Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Nach 18 Monaten dann erhalten Asylbewerber die sogenannten Analogleistungen, die sich an der Höhe der Sozialhilfe orientieren. Künftig soll dieser Wechsel später erfolgen: Erst nach 36 Monaten sollen Asylbewerber Analogleistungen erhalten. Mindestens ein Teil der Leistungen soll zudem künftig als Guthaben über eine Bezahlkarte ausgezahlt werden.

Eingebracht in die Debatte hatte diese Vorschläge vor einigen Tagen die FDP. Laut Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) könnten diese Änderungen Einsparungen von rund einer Milliarde Euro pro Jahr bedeuten. Er hob in der Nacht auf X, ehemals Twitter, hervor, dass damit „auch die Anziehungskraft des deutschen Sozialstaats reduziert“ werde.

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Wie soll Migration künftig begrenzt werden?

Die Bundesregierung und die Länderchefs sind sich einig, dass die Zahl der Menschen, die in Deutschland Asyl beantragt, sinken muss. Deshalb, heißt es laut Nachrichtenagenturen im Beschluss, seien „klare und zielgerichtete Maßnahmen gegen unkontrollierte Zuwanderung“ nötig.

Konkret will die Bundesregierung prüfen, ob Asylverfahren auch außerhalb Europas möglich sind. Das hatte zuletzt Hendrik Wüst, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen (CDU), in der vergangenen Woche gefordert. Aber schon im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung steht das Vorhaben, zu prüfen, ob Verfahren in Drittstaaten im Ausnahmefall möglich wären.

Asylverfahren sollen zudem beschleunigt werden, insbesondere dann, wenn die Bewerber aus Ländern kommen, bei denen die Anerkennungsquote unter fünf Prozent liegt. In diesen Fällen sollen die Verfahren in drei Monaten abgeschlossen sein.

An den Kontrollen, die Deutschland derzeit an den Grenzen zur Schweiz, Tschechien, Polen und Österreich durchführt, will man festhalten.

Warum hat das so lange gedauert?

Unter anderem: wegen einer Last-minute-Intervention der unionsgeführten Länder (der sogenannten B-Seite).

Dass die Gespräche vor allem bei den Finanzierungsfragen schwierig würden, war absehbar gewesen. Aber die Ausgangslage wurde noch ein bisschen schwieriger, als am Montag die unionsgeführten Länder – zusammen mit dem grün regierten Baden-Württemberg – eine Reihe neuer Forderungen beim Thema Migration aufstellten. Im Kern stand die Forderung nach Verfahren außerhalb Europas. Eine Idee, die der Kanzler in der Vergangenheit abgelehnt hatte.

Die SPD-geführten Länder wurden von dem Vorstoß am Montag kalt erwischt. Eigentlich hatten sich alle 16 Länder schon Mitte Oktober auf eine gemeinsame Position geeinigt, mit der sie in die Gespräche gehen wollten. Die neuen Forderungen der Unionsseite sorgten deshalb für einigen Unmut – und stundenlange Verzögerung, bevor die Länderchefs überhaupt im Kanzleramt ankommen. Entsprechend verärgert zeigte sich Stephan Weil am Montag: Die Beratungen der Länder noch ohne den Kanzler seien „nicht so wirklich erquicklich“ gewesen.

Trotz des Ärgers der SPD-Länder findet sich der Hinweis auf die Verfahren außerhalb der EU als Prüfauftrag im Text – ein Zeichen dafür, wie groß der Druck war, sich zu einigen.

Was hat die Runde noch beschlossen?

Migration war das schwierigste, aber nicht das einzige Thema auf der langen Tagesordnung des Treffens. Auch über die Zukunft des 49-Euro-Tickets beriet die Runde. Hier einigte man sich darauf, zunächst in diesem Jahr nicht verbrauchte Mittel für die Finanzierung des Tickets im nächsten Jahr zu verwenden. Eine dauerhafte Lösung für eine Weiterführung sollen die Verkehrsminister erarbeiten.

Schon am Montagabend hatten Scholz, Rhein und Weil außerdem eine Einigung beim Thema Planungsbeschleunigung vorgestellt.