Berlin. Der Bundesrat hat das geplante Bürgergeld gestoppt. Was jetzt passieren muss, damit die Hartz-IV-Sätze trotzdem im Januar steigen.

Rund fünf Millionen Hartz-IV-Empfänger müssen jetzt tapfer sein: Die Erhöhung des monatlichen Regelsatzes um 53 Euro zum 1. Januar ist zwar vom Bundestag schon beschlossen – aber ob das Geld pünktlich kommt, ist nach dem Nein des Bundesrates ungewiss. Dabei ist der Mehrbedarf in Zeiten hoher Inflation politisch nicht umstritten.

Aber weil die Ampel-Koalition den Zuschlag mit einer größeren, von der Union bisher abgelehnten Bürgergeld-Reform verknüpft, ist nun das gesamte Paket erstmal gestoppt. Bitter für die Betroffenen. Es erhöht aber auch den Einigungsdruck.

Tatsächlich stehen die Chancen auf eine Verständigung besser als der öffentliche Schaukampf vermuten lässt. Kompromisse sind zum Greifen nah – vorausgesetzt, die Beteiligten rüsten zügig rhetorisch ab. Die Union muss aufhören, das Bürgergeld fernab der Realität als „bedingungsloses Grundeinkommen aus Steuermitteln“ zu diffamieren und Geringverdiener gegen Arbeitslose auszuspielen.

Andererseits sollte vor allem die SPD darauf verzichten, die Verbesserungen für Langzeitarbeitslose als sakrosankte Jahrhundertreform zu feiern und so zu tun, als sei das ungeliebte Hartz IV damit Geschichte. In Wahrheit ersetzt das Bürgergeld allein dem Namen nach Hartz IV. Inhaltlich mildert es vor allem einige seiner Schwächen ab. An vielen Schrauben lässt sich zur Kompromissfindung noch drehen, ohne die Reform zu gefährden.

Bürgergeld: Die Richtung der Reform stimmt, Kompromisse sind möglich

Die Richtung stimmt ja: Es ist vernünftig, Qualifizierung stärker in den Vordergrund zu stellen, damit Arbeitslose möglichst dauerhaft in Arbeit kommen und nicht nur mit Kurzzeit-Jobs abgespeist werden. Es verbessert Jobchancen, wenn sich Arbeitslose am Anfang voll auf die Stellensuche konzentrieren können und nicht sofort eine neue Wohnung suchen müssen.

Politik-Korrespondent Christian Kerl.
Politik-Korrespondent Christian Kerl. © Funke | privat

Es ist höchste Zeit, die Berechnung der zu niedrigen Hartz-IV-Regelsätze zu verändern. Und es ist fair, mit einer befristet großzügigeren Vermögensanrechnung Lebensleistungen zu schützen, auch wenn es nur eine kleine Minderheit der Hartz-IV-Empfänger betreffen wird.

Die Koalition hat wegen der Corona-Pandemie das höhere Schonvermögen als Ausnahme sowieso schon eingeführt, es soll jetzt nur verstetigt und verlängert werden. Auch die Karenzzeit bei Mietkosten ist wegen Corona geltende Gesetzeslage. Das macht die aufgeregte Debatte so fragwürdig.

Die bisherigen Erfahrungen der Jobcenter widerlegen das Gerede von drohender Hängematten-Mentalität – sie taugen aber auch nicht als Beleg, dass mit der Reform alles besser wird. Es lässt sich bei der Kompromisssuche schon fragen, ob das erlaubte Vermögen künftig volle zwei Jahre anrechnungsfrei bleiben muss – oder ob auch ein Jahr genügt, vielleicht auch mit Stichproben-Prüfung. Gleiches gilt für die Karenzzeit, während der Staat auch hohe Mieten übernimmt.

Und die Sanktionen für Arbeitslose, die ihre Pflichten verletzen? Seit diesem Sommer sind Leistungskürzungen wegen Corona ausgesetzt, ganz ohne öffentliche Aufwallung. Chaos in den Jobcentern blieb aus, doch sind die Erfahrungen eher durchwachsen.

Beim Bürgergeld ließe sich aus dem laufenden Sanktionsmoratorium lernen, mit strengeren Auflagen nachzubessern. Spielraum gibt es schließlich bei den Hinzuverdienst-Regelungen.

Verhandlungen zum Bürgergeld: Scheitern ist keine Option

Die Debatte hat schließlich auch gezeigt: Geringverdiener kennen ihre Ansprüche auf Wohngeld und Kinderzuschlag oftmals nicht. Das kann dazu führen dass ihnen bei einer Arbeit zum Mindestlohn am Monatsende mitunter nicht viel mehr bleibt als Hartz-IV-Beziehern.

Da sollte Abhilfe geschaffen werden – mit mehr Informationen über den Anspruch auf ergänzende Sozialleistungen und mit leichteren Zugängen. Dann hätte sich der schrille Streit sogar gelohnt.

Worauf warten Koalition und Unions-Länder noch? Bei gutem Willen lässt sich im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat ein Kompromiss zum Bürgergeld schnell vereinbaren. Für Hartz-IV-Empfänger, die dringend auf einen Inflationsausgleich warten, wäre alles andere eine Riesen-Enttäuschung: Scheitern ist deshalb keine Option.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.