Berlin. Kindergrundsicherung, Bundeswehr, Aktienrente: Wünsche gibt es viele in der Koalition, Geld wenig. Vor allem ein Projekt ist in Gefahr.

Christian Lindner ist bemüht, ratlosen Koalitionspartnern hilfreich zu sein. „Falls noch jemand nach etwas Geeignetem sucht, um darauf in der Fastenzeit zu verzichten, wäre mein Vorschlag: tägliche Forderungen nach Steuererhöhungen“, schrieb er pünktlich zu deren Beginn auf Twitter. „Die kann man getrost weglassen.“

Es hängt ein zwinkernder Smiley hinter dem Scherz des Bundesfinanzministers. Doch auch der kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es Lindner mit dem Kern seiner Aussage sehr ernst ist. Denn die Ampel-Koalition streitet über den Haushalt, und das – trotz Smileys – inzwischen in durchaus gereiztem Ton. Bis Mitte März sollen die Eckwerte des nächsten Haushalts stehen, doch wenige Wochen vorher sind die zentralen Fragen noch offen: Wie viel Geld ist da, wofür soll es ausgegeben werden – und kann man nicht doch noch irgendwie mehr auftreiben?

Der Rahmen ist eng gesteckt: Die Schuldenbremse, die in den vergangenen Jahren mehrfach akuten Krisen zum Opfer gefallen war, will der Finanzminister in diesem Jahr unbedingt wieder einhalten. Steuererhöhungen, die mehr Geld in die Bundeskasse bringen könnten, lehnt Lindner kategorisch ab. Gleichzeitig muss mit steigenden Zinsen auch der Bund mehr Geld ausgeben, um Kredite zu bedienen, und die Inflation sorgt dafür, dass auch die Ausgaben der Regierung steigen.

Ganz oben auf der Streichliste: Die Kindergrundsicherung

Eine Situation, in der man „Prioritäten“ setzen müsse, sagt Lindner, und meint: Vorhaben streichen. Ganz oben auf der Streichliste steht derzeit offenbar die Kindergrundsicherung. Zwölf Milliarden Euro hat Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) angemeldet für das Projekt, dass zu den Herzstücken der sozialpolitischen Agenda der Regierung gehört. Die Vielzahl an Familienleistungen, die es derzeit an verschiedenen Stellen gibt und die längst nicht von allen, die Anspruch hätten, abgerufen werden, sollen gebündelt werden und einfacher zugänglich gemacht. Und auch höhere Leistungen soll es geben, für die, die sie brauchen – erklärtes Ziel ist der Kampf gegen Kinderarmut.

Aber wer dem Finanzminister in den vergangenen Tagen zugehört hat, kann Zweifel bekommen, ob an dieses Ziel wirklich alle Koalitionspartner glauben. Bisher, erklärte Lindner in dieser Woche in einem Interview, gäbe es ja noch gar kein tragfähiges Konzept, und ob am Ende wirklich mehr Geld ankommen müsse, sei auch fraglich. Vielleicht sei ja zum Beispiel auch Sprachförderung für Eltern ein Weg – „die Kinderarmut ist ja vor allem durch Zuwanderung gestiegen“.

Das will Paus nicht gelten lassen. „Wir sollten die Debatte zur Kinderarmut versachlichen und differenziert hinschauen“, sagte sie dieser Redaktion. „Kinderarmut hat sich längst strukturell verfestigt in Deutschland und liegt seit vielen Jahren auf einem gleichbleibend hohem Niveau.“ Dass inzwischen jedes fünfte Kind betroffen sei, sei „ein echtes Armutszeugnis“ für ein so reiches Land wie Deutschland. Außerdem sei die Kindergrundsicherung nicht nur sozialpolitisch von zentraler Bedeutung, sondern auch wichtig für die Digitalisierung in Deutschland. „Ein so prioritäres Vorhaben muss auch im Haushalt Vorrang haben.“

Boris Pistorius will 10 Milliarden, um dem 2-Prozent-Ziel näherzukommen

Aber Prioritäten haben auch die anderen: Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) will währenddessen dem Zwei-Prozent-Ziel der Nato in diesem Jahr näherkommen und fordert dafür zusätzliche zehn Milliarden für sein Haus. Den Kanzler sieht er dabei hinter sich, bei den Grünen allerdings gibt es Zweifel: Dass der Bundeswehretat seit 2015 um 50 Prozent rasant angestiegen sei, habe an den strukturellen Problemen und den Ineffizienzen im Beschaffungswesen wenig geändert, sagt etwa der grüne Haushaltsexperte Sven-Christian Kindler. „Mehr Geld wird daher nicht die Strukturprobleme der Bundeswehr lösen.“

Lindner selbst will den Einstieg in die Aktienrente mit ebenfalls zehn Milliarden Euro unterfüttern, dazu plant der Finanzminister ein „Wachstumspaket“, das unter anderem Steuerentlastungen für Unternehmen beinhalten soll.

Die unterschiedlichen Vorhaben müssen nicht in Konkurrenz zueinander stehen, findet man bei der SPD. „Gefühlt drehen sich die aktuellen Haushalts-Diskussionen im Kreis und das verdanken wir einzig und alleine dem Starrsinn der FDP“, sagt Juso-Chefin Jessica Rosenthal dieser Redaktion. Die roten Linien des Finanzministers will sie nicht gelten lassen: „Einen Krisenhaushalt 2024 unter den Bedingungen der Schuldenbremse aufzustellen und ohne zusätzliche Einnahmen wäre fahrlässig.“ Nicht nur sehe das Grundgesetz für Krisenzeiten bewusst Ausnahmen von der Schuldenbremse vor. Es gebe auch viele Stellschrauben, um für Mehreinnahmen zu sorgen – „von einer einmaligen Vermögensabgabe für Superreiche bis hin zur angemessenen Besteuerung von Erbschaften“.

Die FDP will Prioritäten setzen: „Sicherheit und Nachhaltigkeit“

Auch SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch und die Parlamentarische Linke setzen auf eine einmalige Vermögensabgabe, um alle sozialpolitischen Pläne zu finanzieren: „Wir brauchen einen starken, handlungsfähigen Staat“, sagt er dieser Redaktion.

Bei der FDP trifft das auf wenig Gegenliebe. In der aktuellen Lage müsse man auswählen, sagt Otto Fricke, haushaltspolitischer Sprecher der Liberalen. „Die Schuldenbremse fordert Prioritäten“, sagt er. „Und für mich liegen die derzeit klar bei Sicherheit und Nachhaltigkeit und damit Investitionen.“ Die Kindergrundsicherung taucht in dieser Liste nicht auf.