Diesem zähen und seltsam uninspirierten Wahlkampf wird keiner nachtrauern – jetzt haben endlich die Wählerinnen und Wähler das Wort.

Nur noch wenige Stunden, bis die Wahllokale öffnen. Und man meint, ein kollektives erleichtertes Durchatmen in Deutschland zu hören. Endlich ist dieser Wahlkampf vorbei!

Ein Wahlkampf, der seltsam uninspiriert und zäh war. In dem man das Gefühl hatte, dass mehr über korrekte Zitiertechnik, adäquates Benehmen bei öffentlichen Auftritten und neueste Umfragen statt über die drängendsten Zukunftsfragen des Landes gesprochen wurde.

Chef der Zentralredaktion
Chef der Zentralredaktion © Dirk Bruniecki

Aber jetzt haben endlich die Wählerinnen und Wähler das Wort. Wenn sie ihre Stimmen abgeben, ist es vielleicht weniger entscheidend, wer künftig Bundeskanzler – oder Bundeskanzlerin – sein wird. Die Kandidaten haben viel Kritik erfahren, die meiste davon völlig zu Recht.

Aber es war für alle auch eine Ochsentour, die man aushalten muss und die einen an den Rand der Erschöpfung bringt. Da darf man wenige Stunden vor einer solchen Wahl auch mal feststellen, dass die Kanzlerkandidaten und die Kandidatin respektabel sind und unabhängig von ihrer politischen Herkunft den moralischen Kompass hätten, den man braucht, um dieses Land zu führen.

Auch das Ausland schaut gespannt nach Deutschland

Viel wichtiger als die Frage, ob Armin Laschet, Olaf Scholz oder Anna­lena Baerbock ins Kanzleramt einziehen, ist aber die Frage: Welche Richtung nimmt das Land?

Nicht nur die Deutschen, auch unsere Nachbarn schauen gespannt auf dieses wichtige Votum und fragen sich: Wird Deutschland verlässlich bleiben? Wird es zu seinen sicherheitspolitischen Verpflichtungen stehen? Kann es weiter die leistungsstarke Lokomotive ganz Europas sein, für soziale Gerechtigkeit einstehen und eisern bleiben bei der Ablehnung totalitärer Tendenzen?

Es wäre gut, wenn man auch nach der Wahl zum 20. Deutschen Bundestag alle diese Fragen mit Ja beantworten kann. Dafür braucht es jede vernünftige Stimme – und daher ist der Gang ins Wahllokal vielleicht so wichtig wie schon lange nicht mehr.

Je höher die Wahlbeteiligung am Sonntag, desto größer die Legitimation des nächsten Bundestages, der vor historischen Weichenstellungen steht. Jeder spürt, dass das Land nicht nur beim Klimawandel, beim Umbau der Industrie bei gleichzeitiger Wahrung des sozialen Friedens vor riesigen Herausforderungen steht.

Die Koalitionsbildung wird wahrscheinlich höchst kompliziert

„Ein Weiter-so kann es nicht geben.“ Das ist keine Floskel, sondern wird das Motto sein, unter der eine neue Bundesregierung – in welcher Konstellation auch immer – entscheiden und handeln muss.

Die Regierungsbildung selbst wird mutmaßlich höchst kompliziert. Es wird einem jetzt schon schwindlig bei der Arithmetik, die nach 18 Uhr am Sonntag gebraucht wird. Jamaika? Deutschland? Rot-Grün-Rot? Oder doch noch einmal die große Koalition, aber diesmal vielleicht in der Konstellation Rot-Schwarz?

Aufrechte Demokraten werden nach dem 26. September manche Kröte schlucken müssen, damit eine Regierung zustande kommt. Das wird dauern. Gut möglich, dass die Kanzlerin auch noch diese Weihnachten ihren glänzenden Festtagsblazer aus dem Schrank holen muss und das Volk aus dem Fernseher grüßt.

Damit Angela Merkel in den wohlverdienten Ruhestand abtreten kann, werden Kompromissbereitschaft und Konsenswillen aller demokratischen Kräfte bitter notwendig sein. Dabei hilft es sehr, dass die Parteien schon vor Jahren aus ihren ideologischen Schützengräben gestiegen sind und bei aller Unterschiedlichkeit ihre Koalitions­fähigkeit beweisen mussten.

Die Demokratie in Deutschland ist also stabil. Jetzt braucht sie nur noch unsere Stimmen!