Berlin. Der Bundestag wird wohl das Sondervermögen für die Bundeswehr beschließen. Aber auch andere Bereiche benötigen Geld in Milliardenhöhe.

Es war eine Zeitenwende. Drei Tage nach dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in seiner Regierungserklärung ein Sondervermögen für die Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro angekündigt – die Geldsumme historischen Ausmaßes dürfte an diesem Freitag vom Bundestag beschlossen werden.

Die Bundeswehr wird umfassend modernisiert, bekommt neue Kampfjets und neue Kriegsschiffe. Den Wunsch nach Sonderzahlungen gibt es allerdings auch in anderen politischen und gesellschaftlichen Bereichen.

Sondervermögen: Investitionsstau im Bildungssektor allein beträgt 45 Milliarden Euro

Geld wird dringend benötigt, um den Bildungssektor zukunftsfest und digitaler zu machen. Der Investitionsstau an Schulen betrage gut 45 Milliarden Euro, erklärt Udo Beckmann, Bundesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE): „Eine gleichartige finanzielle Unterstützung von 100 Milliarden Euro, verwaltet durch eine Verantwortungsgemeinschaft aus Bund, Ländern und Kommunen, wie sie mit dem Kooperationsgebot im Koalitionsvertrag verankert ist, würde daher auch im Schulbereich dringend notwendige Investitionen ermöglichen.“

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Beckmann ergänzt: „Schulen müssen auf Herausforderungen, wie beispielsweise Inklusion, Integration geflüchteter Kinder und Jugendlicher, Digitalisierung und Ausbau des Ganztags besser vorbereitet sein.“

Auch Greenpeace-Experte Mauricio Vargas kritisiert die 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr. Es mangele an Investitionen für den Klimaschutz. „Während die Bundesregierung als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg mit einem Sondervermögen zur Aufrüstung der Bundeswehr reagierte, wurde der richtige Umgang mit der Abhängigkeit von fossilen Energieimporten sträflich vernachlässigt“, sagt Vargas.

Greenpeace: Falsche Prioritäten – Gelder für den Klimaschutz nötig

Nur Erneuerbare hätten einen Ausweg aus der Abhängigkeit von Staaten wie Russland und der Klimakrise bieten können, sagt Vargas: „Eine massive Erhöhung der Finanzmittel für den beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren wäre daher die naheliegende und richtige Konsequenz gewesen.“

Klimapolitisch sei vor allem der Verkehr das „größte Sorgenkind“, meint Dirk Flege, Geschäftsführer des Verkehrsbündnisses Allianz pro Schiene. „Deutschland braucht ein Schienennetz-Sondervermögen“, sagt Flege. „Die Bekämpfung der Klimakrise gelingt verkehrspolitisch nur mit einem exzellenten Bahnverkehr als Alternative zum Auto und Lkw. 60 Milliarden für die Abarbeitung des Investitionsstaus und 40 Milliarden für die Digitalisierung des Schienennetzes ergeben wie bei der Bundeswehr 100 Milliarden Euro.“

Milliardensumme könnte Probleme auf dem Wohnungsmarkt entschärfen

Schon ein Bruchteil der 100 Bundeswehr-Milliarden könnte dazu beitragen, das Wohnungsproblem in der Bundesrepublik zu entschärfen. Ein Sondervermögen wäre besonders wichtig für den Bau bezahlbarer Wohnungen sowie für die klimapolitisch notwendige energetische Sanierung von Gebäuden, sagt Mieterbund-Präsident Lukas Siebenkotten.

Gesucht: bezahlbarer Wohnraum. (Symbolbild).
Gesucht: bezahlbarer Wohnraum. (Symbolbild). © dpa | Sebastian Gollnow

Die eingeplanten Bundes-Mittel reichen laut Siebenkotten nicht aus. Sechs Milliarden Euro würden pro Jahr im sozialen Wohnungsbau benötigt, zehn Milliarden für die energetische Sanierung des vermieteten Wohnungsbestandes. Ein Sondervermögen würde für „dringend benötigte Entlastung“ sorgen und zum sozialen Frieden beitragen, so Siebenkotten.

Sondervermögen für die Bundeswehr: Kinderschutzbund appelliert an die Bundesregierung

Stichwort sozialer Frieden: Der Kinderschutzbund befürchtet, dass die Bundesregierung nach der Rekordüberweisung an die Bundeswehr vereinbarte Ziele aus dem Koalitionsvertrag aus den Augen verliert. „Die Einführung einer existenzsichernden Kindergrundsicherung zur Bekämpfung der Kinderarmut muss prioritäres Ziel der Ampel-Regierung bleiben“, betont Bundesgeschäftsführer Daniel Grein.

Dieser Artikel erschien zuerst auf waz.de