Corona bleibt auch im Herbst ein Risiko. Die Politik muss den Sommer nutzen, um für einen neuen Pandemie-Notfall vorbereitet zu sein.

Deutschland hat mehr als zwei erschöpfende Jahre Corona-Pandemie hinter sich. Nahezu jeder Bereich unseres Lebens war über Monate eingeschränkt. Jetzt, wo es wieder in Richtung Sommer geht, die Temperaturen steigen, die Inzidenzen eher sinken und mit dem Ukraine-Krieg ohnehin ganz andere Bedrohungen entstanden sind, scheint die Gefahr einer Covid-19-Erkrankung längst nicht mehr die größte Angst der Deutschen zu sein.

Die Menschen sorgen sich viel mehr darum, dass sie durch Rekord-Inflation und teure Energiepreise in wirtschaftliche Nöte geraten könnten und unser Wohlstand womöglich dauerhaft Schaden nimmt. Die Pandemie? Ach, vorbei. Wirklich? So ermüdend es erscheinen mag, sich schon wieder Gedanken über eine neue Corona-Welle im Herbst zu machen, so notwendig ist es leider.

Denn es gibt keine Garantie, dass sich das Virus nicht erneut ausbreitet. Auch wäre es nicht der erste Pandemie-Sommer, nein, es wäre der dritte, an dessen Ende der Erreger mit voller Wucht wiederkehrt und die Republik Schutzmaßnahmen ergreifen muss. Wieder wären wohl besonders Kliniken, Pflegebedürftige und Schüler sowie große Teile des Handels und der Veranstaltungsbranche betroffen. Man kann nur sagen: Bitte nicht noch einmal!

Corona: Politik darf Pandemie-Bekämpfung im Sommer nicht verschlafen

Vor allem die Politik ist daher am Zug. Die Bürgerinnen und Bürger können erwarten, dass Deutschland bei der Pandemie-Bekämpfung nicht erneut den Sommer verschläft und im Herbst abermals unvorbereitet in eine Corona-Welle stolpert. Im dritten Jahr der Pandemie haben die Menschen das Recht und die Politik die Pflicht, dass die Dinge vorausschauend geregelt werden.

Es muss Notfallpläne geben. Beispielsweise müssen Schutzkonzepte bereit liegen, die rasch in Kraft treten können. Es muss rechtzeitig genügend Bestellungen für Impfstoffe geben, die an Subvarianten des Omikron-Erregers angepasst sind. Und vor allem muss klar sein, was zu geschehen hat, wenn sich eine Region wieder zum Hotspot entwickelt.

Bis zum 23. September gibt es diese Klarheit. So lange gelten die aktuellen Regelungen zu den Corona-Maßnahmen im Infektionsschutzgesetz. Die Länder haben also zumindest bis dahin eine rechtliche Handhabe, falls es wieder zu regionalen Ausbrüchen kommt.

Wie es im Kampf gegen Corona im Herbst weitergeht, ist bislang noch offen

Doch wie genau es danach weitergeht? Offen. Die Regierungschefinnen und -chefs von Bund und Ländern sind sich zwar grundsätzlich einig, dass es auch für Herbst Vorkehrungen braucht. Das haben sie am Donnerstag nach ihren gemeinsamen Beratungen in Berlin deutlich gemacht. Sie haben es aber leider versäumt, konkret zu werden.

Dahinter sehen auch machtpolitische Gründe. Vor allem die FDP, die in der Pandemie auf möglichst wenig Pflichtauflagen pocht und sich für Lockerungen und Freiwilligkeit einsetzt, ist nach den Wahlschlappen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen sowie dem Ende ihrer dortigen Regierungsbeteiligungen arg geschwächt. Das berührt auch die Ampel im Bund.

Dem Corona-Virus ist Streit in der Ampel-Koalition egal

Die angezählten Liberalen werden künftig in den Auseinandersetzungen mit den Partnern SPD und Grünen noch heftiger auf die Corona-Bremse steigen, um sich in der Debatte um neue Maßnahmen zu behaupten. Was heißt: Es wird noch gehörig scheppern. Einigungen in der Corona-Politik werden schwieriger.

Das gilt vor allem in der Frage, wie locker oder streng die Pandemie-Regeln nach September ausfallen. Gewiss, dem Virus ist Ampel-Streit egal. Umso wichtiger wäre es, das bald kluge Lösungen kommen. Denn nur so bleibt uns im Herbst ein erneutes Corona-Chaos erspart.

Dieser Text erschien zuerst auf www.waz.de