Lützerath. Die Polizei hat bei Lützerath Demonstranten gewaltsam zurückgedrängt, die versuchten, zur Kante des Braunkohletagebaus vorzudringen.

Am Rande einer Großdemonstration gegen die Räumung des Braunkohleortes Lützerath (Nordrhein-Westfalen) mit mehreren Tausend Teilnehmerinnen und Teilnehmern ist es am Samstag zu Zusammenstößen zwischen Aktivistinnen und Aktivisten und der Polizei gekommen. Dabei habe es Verletzte auf beiden Seiten gegeben, sagte ein Polizeisprecher am Samstagabend der Deutschen Presse-Agentur. Die genaue Anzahl der verletzten Personen und die näheren Umstände, die zu den Verletzungen geführt hatten, wurden zunächst nicht bekannt.

Während die Veranstalter die Zahl der Teilnehmer an der Großdemonstration auf 35.000 schätzten, zählte die Polizei nach Angaben des Sprechers etwa 15.000 Menschen. Rund 5000 von ihnen hätten sich nicht an der Versammlung beteiligt: Sie hätten sich sofort Richtung Abbaukante und Lützerath bewegt und seien daher als „Störer“ betrachtet worden.

Lützerath: Verletzte auf Seiten der Polizei und Aktivisten

Rund 1000 von ihnen – größtenteils vermummt – hätten erheblichen Druck auf Polizeiketten an der Tagebaukante und am Rande von Lützerath ausgeübt, sagte der Sprecher weiter. "Infolgedessen kam es zum Einsatz von Einsatzmehrzweckstöcken und Pfefferspray." Auch Wasserwerfer seien genutzt worden, um Personen vom Eindringen nach Lützerath abzuhalten.

Mehrere Einsatzfahrzeuge, die eine Barriere vor dem Bauzaun gebildet hatten, seien überklettert und beschädigt worden. Der um das Dorf gezogene Bauzaun wurde laut Polizei aber nicht durchbrochen. Wie der Sprecher betonte, seien Schlagstöcke und Wasserwerfer erst zum Einsatz gekommen, nachdem den Personen „unzählige Male“ Zwang angedroht worden war. Er konnte zunächst keine Angaben darüber machen, ob es Festnahmen gab.

Die Initiative "Lützerath lebt" wirft der Polizei inzwischen vor, bei dem Einsatz "massiv Schlagstöcke, Pfefferspray, Räumpanzer, Wasserwerfer, Hunde und Pferde" gegen die Kohle-Gegner eingesetzt zu haben. Eine Demo-Sanitäterin sprach von einer "hohen zweistelligen bis dreistelligen Zahl" an Verletzten, einige davon lebensgefährlich. Beamte hätten "hemmungslos" auf Demonstrierende eingeprügelt. Der Polizei ist nach eigenen Angaben nichts davon bekannt, dass Demo-Teilnehmer lebensgefährlich verletzt worden sein sollen.

Polizisten schieben einen Klimaaktivisten mit der Schubkarre vom Gelände in Lützerath.
Polizisten schieben einen Klimaaktivisten mit der Schubkarre vom Gelände in Lützerath. © Federico Gambarini/dpa

Auf dem abgeriegelten Gelände von Lützerath halten sich noch immer Personen etwa in Baumhäusern auf. Auch befänden sich zudem mindestens zwei Aktivisten in einer "unterirdischen Bodenstruktur", so ein Polizeisprecher. Über die genaue Anzahl der Personen, die weiter in Lützerath ausharren, gibt es keine Informationen. Ebenerdig sei jedoch alles geräumt. Nach Polizeiangaben wurden die Räumungsmaßnahmen am Samstagabend unterbrochen, am Sonntag dann wieder fortgesetzt. Lesen Sie auch: Umfrage – Deutsche uneinig über Räumung von Lützerath

Lützerath: Greta Thunberg fordert Aktivisten zum Durchhalten auf

Vor Ort war am Samstag auch die schwedische Klimaaktivistin und Initiatorin von "Fridays for Future" Greta Thunberg. Sie rief bei der großen Demonstration in Erkelenz dazu auf, das Dorf Lützerath nicht aufzugeben. "Lützerath ist noch da, und solange die Kohle noch in der Erde ist, ist dieser Kampf nicht zu Ende", sagte die 20-Jährige vor einer großen Menschenmenge. "Ihr zeigt heute deutlich, dass Veränderungen nicht von den Leuten kommen werden, die an der Macht sind, von Regierungen, von Konzernen, von den sogenannten Führungspersönlichkeiten", sagte sie.

"Nein, die wahren Führungspersönlichkeiten sind hier. Es sind die Menschen, die in den Baumhäusern sitzen und die Lützerath nun schon seit Jahren verteidigen." Thunberg sagte zudem, es sei unbegreiflich, dass im Jahr 2023 noch immer Kohle abgebaggert und verfeuert werde, obwohl zur Genüge bekannt sei, dass der dadurch ausgelöste Klimawandel in vielen Teilen der Welt Menschenleben koste. "Deutschland als einer der weltweit größten Verschmutzer hat eine enorme Verantwortung."

Die Aktivistin besuchte am Freitag das Braunkohlerevier.
Die Aktivistin besuchte am Freitag das Braunkohlerevier. © Lars Heidrich / FUNKE Foto Services

Thunberg: Lützerath ist internationale Blamage für die Bundesregierung

Thunberg hatte Lützerath bereits am Freitahatte Lützerath bereits am Freitag gemeinsam mit der deutschen Klimaaktivisten Luisa Neubauer besucht. "Die Situation in Lützerath ist eine riesige internationale Blamage für die Bundesregierung", sagte die Klimaaktivistin der dpa. "Seit Jahren verteidigen Menschen Lützerath als Teil einer globalen Gerechtigkeitsbewegung. Die Tatsache, dass Menschen aktiv werden, ist ein Zeichen der Hoffnung."

Von den Veränderungen in der Landschaft im Lützerath zeigte sich Thunberg bestürzt. "Ich bin hier schon früher gewesen, und da sah es noch völlig anders aus", so die 20-Jährige. "Es ist sehr traurig das zu sehen. Es ist jetzt ein ganz anderer Ort." Jetzt sehe es "wirklich aus wie Mordor". Mordor ist ein düsteres Land im Buch "Herr der Ringe", das von Vulkanen und schroffen Felsen geprägt ist.

Räumung von Lützerath läuft seit Mittwoch

Bereits seit Mittwoch ist die Polizei damit beschäftigt, den von Klimaaktivisten besetzten Ort Lützerath zu räumen und abzureißen. Im Anschluss will der Energiekonzern RWE die darunterliegende Kohle abbaggern. Das sei notwendig, um die Energiesicherheit in Deutschland zu gewährleisten, argumentieren die NRW-Landesregierung und die Bundesregierung. Gegnerinnen und Gegner der Räumung bestreiten das. Ihrer Darstellung nach reiche die Braunkohle im bereits vorhandenen Tagebau-Gebiet aus.

Der fünfte Tag der Räumung des Dorf Lützerath. Die Polizei versucht zusammen mit der Feuerwehr die letzten Aktivisten aus dem Dorf zu entfernen.
Der fünfte Tag der Räumung des Dorf Lützerath. Die Polizei versucht zusammen mit der Feuerwehr die letzten Aktivisten aus dem Dorf zu entfernen. © Fabian Strauch/FUNKE Foto Services

Seit dessen Räumung begonnen hat, brachten die Einsatzkräfte nach offiziellen Angaben etwa 470 Aktivistinnen und Aktivisten aus dem Dorf. 320 davon hätten das Gelände freiwillig verlassen. Gegen 124 Personen wurde Strafanzeige gestellt – hauptsächlich wegen Landfriedensbruchs oder Widerstand gegen die Polizei.

Insgesamt schreitet die Räumung schneller voran als zunächst gedacht. "Oberirdisch sind wir so gut wie durch", sagte ein Polizeisprecher am Samstag der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Allerdings werde weiter versucht, in einen Tunnel zu gelangen, in dem mehrere Personen ausharren sollen. (fmg/dpa)