Berlin. Inflation, Gaskrise: Der Kanzler gibt den Deutschen bei seiner Sommer-Pressekonferenz ein Versprechen. Ein Thema gefällt Scholz nicht.

Auf der Stirn von Olaf Scholz verläuft eine tiefe Falte von links nach rechts. Wenn der Bundeskanzler seine Worte betont, wird diese Falte nicht nur etwas tiefer, sie wandert auch die hohe Stirn des Sozialdemokraten ein beachtliches Stück weiter nach oben. Zudem zeigen sich kleine Nebenfalten, manche davon bilden kleine Halbmonde seitlich der Augenbrauen. An diesem Donnerstagvormittag in der Bundespressekonferenz ist viel Bewegung auf der Kanzlerstirn zu beobachten.

Der Bundeskanzler stellt sich auf Einladung der Medien den Fragen der Hauptstadtjournalisten und setzt damit eine Tradition seiner Vorgängerin fort. Kurz vor oder nach ihrem Sommerurlaub hatte sich Angela Merkel in den vergangenen Jahren vor die blaue Wand des Konferenzsaals gesetzt und sich querbeet zur Innen- und Außenpolitik befragen lassen. 2015 prägte die CDU-Politikerin auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise dort ihren berühmten Satz „Wir schaffen das“.

Scholz spricht über Inflation und Entlastungen

Scholz hat seinen Sommerurlaub bereits absolviert. Mit Kappe, Funktionshirt und knielangen Shorts, Rucksack auf den Schultern war der Kanzler gemeinsam mit seiner Frau Britta Ernst im Allgäu gewandert. Er habe sich in seinem Urlaub gut erholt, berichtet Scholz.

Der Kanzler kommt ohne Krawatte zum weißen Hemd und dunklem Sakko in die Bundespressekonferenz, ein Hauch von Sommerstimmung geht von dem Outfit aus. Seit einigen Tagen ist er bereits zurück, aber dieser Auftritt markiert endgültig das Ende der politischen Sommerpause – und den Auftakt in einen schwierigen Herbst.

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Daran lässt auch Scholz keinen Zweifel. „Wir haben ernste Zeiten“, sagt der Kanzler einleitend. Die Stirnfalte vertieft sich. „Ernste Zeiten, die uns auch noch viel abverlangen werden, was diesen Winter und das nächste Jahr betrifft.“ Acht Monate ist Scholz nun im Amt. Es waren harte Monate. Und es könnte alles noch viel schwieriger werden.

Inflation: Die Preise für Sprit, Strom und Gas steigen dramatisch

Krieg in Europa, dramatisch steigende Preise für Sprit, Strom, Gas, aber etwa auch für Milch, Butter und Brot. In der Bevölkerung wächst die Sorge vor dem Winter: Können wir unsere Wohnungen dann noch heizen – und ist eine warme Stube überhaupt noch zu bezahlen? Mehr als 100 Minuten lang wird Scholz zu kaum einem anderen Thema als zu den vielfältigen Folgen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine befragt.

Scholz antwortet ruhig und geduldig – nur bei Fragen zu einer Affäre aus seiner Zeit als Regierungschef in Hamburg wirkt der Kanzler genervt. Dazu später mehr.

Olaf Scholz vor der Bundespressekonferenz.
Olaf Scholz vor der Bundespressekonferenz. © Getty Images | Sean Gallup

Die zentrale Botschaft des Kanzlers an die Bevölkerung lautet: Niemand wird allein gelassen. „You’ll never walk alone“, hatte Scholz im Juli bereits versprochen, als er seinen Urlaub unterbrochen hatte und wegen der dramatischen Krise bei der Gasversorgung kurzzeitig ins Kanzleramt zurückgeeilt war. Dieses Versprechen wiederholt der Kanzler nun in unterschiedlichen Formulierungen.

Kanzler verspricht weitere Entlastungen

„Wir werden alles dafür tun, dass die Bürgerinnen und Bürger durch diese schwierige Zeit kommen“, bekräftigt der Sozialdemokrat. Das ist die Scholz-Version von „Wir schaffen das“, emotionale Kraft oder ein kleines bisschen Pathos kommen dabei nicht herüber.

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Dass Scholz seiner Stimme oft wenig Ausdruck verleiht, ist bekannt. Außer der auf und abwandernden Stirnfalte sind die Hände des Norddeutschen ein Indiz dafür, wann er seinen Worten Nachdruck verleihen will.

Mal fährt der Kanzler mit der flachen linken Hand auf und ab, um jedes Wort zu betonen. Mal bekräftigt er jede Silbe mit der zur Faust geschlossenen Rechten. Mal skizziert er mit beiden Händen in der Luft die Schritte seines Handelns. Als Scholz über weitere Entlastungen redet, legt er die rechte Hand aufs Herz.

Scholz erwartet keine Unruhen im Land

Er wolle besonders denen helfen, „die ganz wenig haben“. Scholz nennt nicht nur die Empfänger von Sozialleistungen sondern auch Arbeitende, „die rechnen müssen, die keine Ersparnisse haben, die mit den plötzlich gestiegenen Energiekosten nicht ohne Weiteres umgehen können“.

Ausdrücklich erwähnt der Sozialdemokrat zudem Studierende und Rentner, die laut manchem Kritiker bei den beiden bisherigen Entlastungspaketen vergessen wurden. Der Kanzler kündigt ein „Gesamtpaket“ der Koalition an und zeigt sich zuversichtlich, dass die staatlichen Hilfen Unruhen im Land verhindern werden.

Die Koalitionspartner streiten jedoch darüber, wer, wie und mit welchem Geld Hilfe bekommen soll. Die Euphorie der ersten Tage des Ampel-Bündnisses ist längst verflogen, wie unterschiedlich SPD, Grüne und FDP sind, tritt in dieser Krise immer deutlicher zutage. Scholz will von Spannungen aber nichts wissen. „Es ist ja nicht so, dass mit dem Koalitionsvertrag ein Vereinigungsparteitag stattgefunden hat“, sagt der Chef des Bündnisses und spricht von einer Zusammenarbeit über die kommende Bundestagswahl hinaus.

Vertrauen in die Regierung schwindet

Das Vertrauen in den Kanzler und seine Partei schwindet jedoch. Im letzten Deutschlandtrend kam die SPD auf nur noch 17 Prozent und lag damit hinter Grünen und der führenden Union. Nur noch gut ein Drittel der Bevölkerung ist mit der Arbeit der Koalition zufrieden. Die Grünen-Promis Annalena Baerbock und Robert Habeck schneiden in den Augen der Wähler wesentlich besser ab als der Kanzler. Von Selbstkritik ist bei Scholz allerdings nichts zu hören.

Ob er nicht auch ein wenig zerknirscht sei, weil er als Vizekanzler der früheren Regierung die von ihm angeprangerte Abhängigkeit von russischer Energie mitzuverantworten habe, wird Scholz gefragt. „Das ist durchaus etwas, zu dem ich fähig bin, obwohl es gegenteilige Gerüchte gibt“, antwortet der Kanzler. Doch dann folgt eine längliche Antwort, die auf seine eigene Rolle nicht eingeht.

Cum-Ex-Affäre: Bei diesem Thema antwortet Scholz nur schmallippig

Deutlich knapper spricht Scholz über den Cum-Ex-Skandal bei der Warburg-Bank, der in seine Amtszeit als Hamburger Bürgermeister fällt. „Wirklich alle Scheinwerfer“ seien angeschaltet worden, „unglaublich viele Anhörungen“ hätten nur ein Ergebnis gebracht: „Es gibt keine Erkenntnisse darüber, dass es eine politische Beeinflussung gegeben hat“, sagt Scholz zu der umstrittenen Entscheidung der Finanzbehörden, 47 Millionen Euro von der Privatbank aus den Skandalgeschäften nicht zurückzufordern.

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Der Kanzler will das Thema beenden. Das wird auch deutlich, als er zu seinem Parteikollegen Johannes Kahrs gefragt wird, gegen den in der Affäre ermittelt wird. Was er zu den 200.000 Euro im Schließfach des SPD-Politikers wisse: „Nichts.“ Woher das Geld stammen könne: „Keine Ahnung.“

Verdutzt reagiert Scholz auf die letzte Frage: Ob er Angela Merkel vermisse? „Ich telefoniere gern mit ihr“, sagt er. „Aber ich bin jetzt auch gerne Bundeskanzler.“ Die Falte auf der Kanzlerstirn macht dabei einen kleinen Hüpfer.

Dieser Text erschien zuerst auf morgenpost.de