Berlin/Kabul. Fast ganz Afghanistan ist von Taliban besetzt. Doch im Pandschir-Tal sammeln sich Kämpfer für den Widerstand gegen die Islamisten.

Die Männer tragen Kalaschnikows und Panzerfäuste, sie posieren auf gepanzerten Fahrzeugen. Handyaufnahmen zeigen ihre Panzer, wie sie durch Orte in der Region Pandschir rollen, ein Tal, gerade einmal gut einhundert Kilometer nordöstlich von Afghanistans Hauptstadt Kabul.

Karge Berge des Hindukuschs ragen hier über den gleichnamigen Fluss. Es ist staubig und warm an diesen Tagen in dem Tal, das nur über wenige Wege zu erreichen ist.

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Über den Kämpfern prangt mal die afghanische Nationalflagge, mal schwenken sie die Fahne in grün, weiß und schwarz. Sie ist Symbol der alten Nordallianz, die bis 2001 gegen die Taliban gekämpft hatte, bevor die US-Soldaten einmarschierten.

Die Kämpfer von Pandschir sind die letzte Bastion gegen die Taliban

Nun sind die Männer mit Panzern und Flaggen die letzte Bastion im Widerstand gegen die Taliban. Die Islamisten-Armee hat das ganze Land überrannt. Doch in eine Region sind sie nicht vorgedrungen: Pandschir. Die Männer hier rüsten sich für einen neuen Krieg. Sie wollen ihr Land nicht kampflos an die Taliban übergeben.

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Knapp eine halbe Million Menschen leben in der Provinz Pandschir. Im Tal liegen die Überreste von Panzern aus der Zeit, als die Sowjetunion vergeblich versuchte, die Region unter ihre Kontrolle zu bringen. Und auch die Taliban scheiterten bisher daran, die unbeugsamen Gegner ihrer Herrschaft in die Knie zu zwingen.

Als die Islamisten schon einmal einen Anlauf auf Pandschir nahmen, im Herbst 1996, ließen die Truppen der Pandschiri um ihren damaligen Anführer Ahmad Schah Masud einen Teil eines Berges sprengen. Das Tal war abgeschnitten – unerreichbar für die Taliban.

Viele setzen darauf, dass hier eine neue Anti-Taliban-Allianz entstehen kann

Pandschir wurde zur hochburg der Taliban-Gegner, schützte sich selbst, während das Land in die dunkle Zeit der Scharia-Islamisten abtauchte. Schah Masud wurde zum „Volkshelden“ der Menschen in dem Tal. Sie nannten ihn den „Löwen von Pandschir“.

Auch einige Einheiten der afghanischen Sicherheitskräfte schließen sich den Kämpfern im Pandschir-Tal offenbar an.
Auch einige Einheiten der afghanischen Sicherheitskräfte schließen sich den Kämpfern im Pandschir-Tal offenbar an. © AFP | AHMAD SAHEL ARMAN

Nun, viele Jahrzehnte und ein langer gescheiterter Nato-Einsatz später, blickt die Welt wieder in dieses kleine Fleckchen im Gebirge. Wieder nach Pandschir.

Viele setzen darauf, dass hier eine neue Allianz entstehen kann, die der Taliban-Herrschaft etwas entgegensetzt. Setzen darauf, dass von Pandschir ein Widerstand gegen das Islamisten-Regime auch in anderen Regionen des Landes wächst. Andere fürchten einen neuen Bürgerkrieg.

„Ich werde mich niemals und unter keinen Umständen den Taliban-Terroristen beugen“, schrieb Amrullah Saleh vor wenigen Tagen auf Twitter. Saleh war Vize-Präsident unter dem Staatschef Ashraf Ghani, der sich vor einigen Tagen ins Ausland absetzte, als die Taliban Kabul übernahmen. Jetzt hat Saleh sich selbst zum Übergangspräsidenten ernannt. Er führt den Kampf gegen die Taliban an. Gemeinsam mit Ahmad Masud, dem Sohn des „Löwen von Pandschir“.

Mehrere Tausend Kämpfer sollen auf Seiten der Pandschiri stehen

Welche Chance haben sie diesmal? In den sozialen Netzwerken, auf Twitter und Facebook, verbreiten viele die Bilder und Videos der Kämpfer im Pandschir-Tal wie Lichter der Hoffnung in einer bitteren Lage, in der Afghanistan steckt. Internationale Truppen um die Amerikaner kontrollieren nur noch einen Teil des Flughafens in Kabul. Sonst regieren die Taliban.

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Insgesamt sollen Pandschiri-Anführer Saleh und Masud eine Truppe von 20.000 Mann haben, die über gepanzerte Fahrzeuge und 32 Helikopter verfügen. Das sind derzeit jedoch Schätzungen, offizielle Zahlen gibt es nicht. Andere gehen nur von ein paar Tausend bewaffneten Männern aus. Laut Fachleuten hatten sich die Taliban-Gegner Waffen und Kriegsgerät von Beständen der fliehenden afghanischen Armee und auch in Teilen von verlassenen US-Camps gesichert.

Die Anführer im Pandschir-Tal, Saleh und Masud, gehören wie viele im Norden Afghanistans der tadschikischen Minderheit an. Die Taliban sind vor allem Paschtunen. Wer zu welcher Volksgruppe gehört, hat immer eine zentrale Rolle im Machtkampf des Landes gespielt. Ethnien formten Allianzen.

Auch Teile der afghanischen Sicherheitskräfte laufen über zu den Pandschiri

So kann es nun erneut kommen. Auch Männer aus der Gruppe der Hazara, die anders als die Taliban an die schiitische Lehre des Islam glauben, zählen offenbar zu den Kämpfern im Pandschir-Tal. Sogar Teile der afghanischen Armee und Spezialeinheiten, die im Falle einer Gefangennahme durch die Taliban mit der sofortigen Exekution rechnen müssen, sollen sich der Widerstandsbewegung angeschlossen haben.

Die Pandschiri bringen sie nun offenbar ihre Einheiten in Stellung. Darauf deuten Aufnahmen hin, die im Internet geteilt werden. Zu Kämpfen mit den Taliban ist es bisher nicht gekommen. Doch auch die Islamisten reagieren, bauen Checkpoints auf den Straßen in die Provinz, riegeln das Tal ihrer Gegner ab.

„Die Taliban hatten bisher einen einfachen Durchmarsch. Doch nun stoßen sie auf Widerstand. Das ist eine ernste Bedrohung für die Macht der Islamisten“, sagt Conrad Schetter von der Universität Bonn im Gespräch mit unserer Redaktion. Er hat viele Jahre in Afghanistan gelebt und dort auch zu den Konflikten in dem Land geforscht. Er sagt: „Der Widerstand gegen die Taliban dürfte entscheidend davon abhängen, wie stark die Pandschiri aus dem Ausland mit Waffen und Munition unterstützt werden. Und ob diese Unterstützung nach Jahrzehnten des Bürgerkriegs politisch gewollt ist.“

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„Der Protest in Kabul ist getragen von einer urbanen Elite“

Entscheidend ist auch, welche Kraft die Bilder des Widerstandes im Rest des Landes entfalten. In Kabul kam es in den vergangenen Tagen immer wieder zu einzelnen Protestaktionen. Menschen gingen auf die Straße, schwenkten die afghanische Nationalflagge, demonstrierten für die Rechte der Frauen.

Auch in anderen Städten nehmen Taliban-Gegner den Mut zusammen – und stellen sich ihnen mit Demonstrationen entgegen. Es sind bisher nur kleine Gruppen. Doch ihre Waffe sind auch die sozialen Netzwerke, die Proteste massenhaft in die Welt verbreiten.

„Der Protest in Kabul und einzelnen anderen Metropolen ist getragen von einer urbanen Elite“, sagt Afghanistan-Experte Schetter. „Das ist sicher eine Minderheit im Land, aber sie sind international stark vernetzt, besetzten wichtige Schaltstellen im alten Staat.“ Ihre Netzwerke seien eine Bedrohung für die Taliban.

Immer wieder kommt es in diesen Tagen zu Protestaktionen gegen die Taliban in Afghanistans Hauptstadt Kabul. Die Islamisten gehen rigide dagegen vor.
Immer wieder kommt es in diesen Tagen zu Protestaktionen gegen die Taliban in Afghanistans Hauptstadt Kabul. Die Islamisten gehen rigide dagegen vor. © AFP | Hoshang Hashimi

Fachleute wie Schetter sind sich sicher, dass der Widerstand gegen die Taliban vor allem davon abhängen wird, ob schlagkräftige Allianzen entstehen. Denn abseits des Pandschir-Tals sind Kämpfer der Taliban-Gegner stark geschwächt. Die afghanische Armee kapitulierte, und die einstige Nordallianz, die sich den Islamisten entgegenstellte, gibt es nicht mehr.

„Wir brauchen mehr Waffen, mehr Munition, mehr Unterstützung“

Mächtige regionale Herrscher, die Afghanistan bis vor wenigen Wochen noch gegen den Vormarsch der Taliban verteidigen wollten, sind geflüchtet oder paktieren lieber mit den Islamisten, bevor sie ihr Leben in einem ungleichen Kampf riskieren. Kehren sie mit Kämpfern, Waffen und Kriegsgerät zu den Pandschiris zurück, könnte sie das entscheidend stärken.

Ahmad Masud, der Sohn des „Löwen von Pandschir“ schwor schon einmal in einem Beitrag für die „Washington Post“, er und seine Kämpfer würden das Tal als „die letzte Bastion der afghanischen Freiheit“ verteidigen. „Unsere Moral ist intakt.“ Zwar verfüge der Widerstand über Waffen und Munitionslager, die in den vergangenen Jahren angelegt worden seien, „weil wir wussten, dass dieser Tag kommen wird“, jedoch „brauchen wir mehr Waffen, mehr Munition, mehr Unterstützung“, schrieb Masud.

Vor Kurzem gelang es den Einheiten der Pandschiri laut einzelnen Meldungen, die Stadt Charikar nahe Kabul von den Taliban zurückzuerobern. Knapp 100.000 Menschen leben dort, fast 40 Millionen sind es in ganz Afghanistan. Der Weg der Pandschiri ist noch weit.

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