Berlin. Wer vor der 24. Schwangerschaftswoche eine Fehlgeburt hat, hat keinen Anspruch auf Mutterschutz. Fünf Frauen wollen das nun ändern.

Als Maria Kountoures in ihrer ersten Schwangerschaft eine Fehlgeburt hatte, brach für sie eine Welt zusammen. Doch viel Zeit zum Trauern blieb der damals 31-Jährigen nicht. Ihr Arzt schrieb sie für zwei Wochen krank, danach erschien sie wieder bei ihrem Arbeitgeber. „Ich hätte eigentlich mehr Zeit gebraucht, um die Fehlgeburt körperlich und auch seelisch zu verarbeiten“, sagt Maria.

Doch da sie zu dem Zeitpunkt als IT-Beraterin in einem männlich dominierten Umfeld tätig war, machte sie sich Sorgen, dass eine längere Krankschreibung negative Konsequenzen haben könnte. Zudem hätte sie dafür erneut zu ihrem Arzt gehen müssen und wäre darauf angewiesen gewesen, dass er eine Krankschreibung für notwendig hielt. Also riss Maria sich zusammen und „funktionierte“ einfach, wie sie erzählt.

Nach Fehlgeburt: Krankschreibung nur für zwei Wochen

Ein paar Jahre später, nachdem bereits ihre erste Tochter auf die Welt gekommen war, hatte Maria erneut eine Fehlgeburt. Dieses Mal in der zwölften Schwangerschaftswoche. Wieder wurde sie nur für zwei Wochen krankgeschrieben, wieder hätte sie eigentlich mehr Zeit gebraucht, sagt sie. Zudem musste sie extra zu ihrem Hausarzt gehen, denn im Krankenhaus erhielt sie die Bescheinigung nicht.

„Ich hätte mir einfach gewünscht, dass mir das erspart geblieben wäre. Nach einer Fehlgeburt ist man sowieso schon so sensibel, da sollte man nicht noch Ärzte abklappern müssen“, sagt Maria. „Außerdem sollte es keine Glückssache sein, ob und wie lange man krankgeschrieben wird. Frauen sollten ein Anrecht darauf haben, nach einer Fehlgeburt geschützt zu werden.“

Petition für gestaffelten Mutterschutz nach Fehlgeburten erhielt 75.000 Unterschriften

Genau dafür kämpft Natascha Sagorski. Die 38-Jährige fordert einen gestaffelten Mutterschutz nach Fehlgeburten. Bisher sieht das deutsche Recht vor, dass Frauen, die vor der 24. Schwangerschaftswoche eine Fehlgeburt haben, keinen Anspruch auf Mutterschutz haben – danach hingegen schon.

„Wenn ich am letzten Tag der 23. Woche die Diagnose bekomme, dass das Herz nicht mehr schlägt, bekomme ich null Tage Mutterschutz. Wenn ich 24 Stunden später in die gleiche Praxis gehe und die gleiche Diagnose erhalte, stehen mir 18 Wochen zu. Dass das nicht fair sein kann, liegt auf der Hand“, sagt die Autorin. Aus diesem Grund hat die 38-Jährige im Sommer dieses Jahres eine Petition für einen gestaffelten Mutterschutz gestartet.

Fehlgeburten sind viel häufiger als viele Menschen denken – und doch noch immer ein Tabuthema. (Symbolbild)
Fehlgeburten sind viel häufiger als viele Menschen denken – und doch noch immer ein Tabuthema. (Symbolbild) © istockphoto/SDI Productions | istockphoto/SDI Productions

Mit ihm sollen Frauen auch schon vor dem sechsten Monat Mutterschutz erhalten können – je nach Schwangerschaftswoche für einen unterschiedlich langen Zeitraum. Insgesamt 75.000 Unterschriften kamen dabei zusammen – genug, damit Petition nun im Petitionsausschuss des Bundestages besprochen werden muss.

Darum kämpft Natascha Sagorski für den gestaffelten Mutterschutz nach Fehlgeburten

Der Auslöser für Sagorskis Engagement war ihre eigene Fehlgeburt im Jahr 2019. Noch im Krankenhaus habe eine Ärztin zu ihr gesagt, dass sie keine Krankschreibung brauche und am nächsten Tag wieder arbeiten gehen könne, erzählt sie. „In dem Moment war ich so verletzlich, dass ich das gar nicht wirklich hinterfragt habe“, sagt sie. Lesen Sie auch: Familienministerin Paus nennt Datum für „Vaterschaftsurlaub“

Doch dann begann sie mit der Recherche für ihr Buch „Jede 3. Frau“, in dem es ebenfalls um das Thema Fehlgeburt geht – und stellte fest, dass viele Frauen ähnliche Situationen erlebt hatten. „Da wurde mir klar, dass das ein strukturelles Problem zu sein scheint.“ Schließlich stieß sie auf die Idee des gestaffelten Mutterschutzes. „Das ist ein Konzept, das es schon länger gibt“, erzählt die Politikwissenschaftlerin. „Und dann habe ich mich gefragt, warum wir das in Deutschland nicht haben.“ Also startete sie die Petition und gründete einen Verein, der sich mit der Thematik auseinandersetzt.

Kampf für die Enttabuisierung von Fehlgeburten

Der gestaffelte Mutterschutz soll Frauen nach der Fehlgeburt unkomplizierten Schutz bieten und ihnen Zeit geben, die Erlebnisse zu verarbeiten – ohne, dass sie für diese Zeit kämpfen müssen. Gleichzeitig, und das ist Sagorski besonders wichtig, soll der Mutterschutz ein freiwilliges Angebot sein. „Das Wichtigste ist, dass Frauen ein Schutzangebot bekommen, wenn sie es möchten, aber, dass sie natürlich nicht dazu gezwungen werden. Wie eine Fehlgeburt verarbeitet wird, ist ein ganz individueller Prozess“, erklärt sie. Die Petition ist für Sagorski auch ein großer Schritt in Richtung einer Enttabuisierung von Fehlgeburten. „Das geht Hand in Hand“, sagt sie.

„Wir brauchen insgesamt eine bessere Aufklärung über das Thema. Wenn alle Menschen von Anfang an wüssten, wie häufig Fehlgeburten tatsächlich sind, dann würden sich Frauen im ersten Moment auch nicht so allein fühlen.“ Frauen nach Fehlgeburten seien oft leise und still – auch, weil das Thema leider immer noch viel mit Scham behaftet sei. „Diese Frauen haben keine Lobby und keine laute Stimme und deswegen fand ich es wahnsinnig ungerecht, dass die Rechte der Frauen überhaupt nicht berücksichtigt werden.“

Auch wenn die Petition mittlerweile im Petitionsausschuss behandelt wird und sich im kommenden Jahr ein Ausschuss aus Expertinnen und Experten im Bundestag mit dem Thema befassen soll, ist Sagorski noch einen Schritt weiter gegangen. Im Sommer wendete sie sich an den Berliner Rechtsanwalt Remo Klinger, der im vergangenen Jahr die Beschwerdeführenden in der wegweisenden Verfassungsbeschwerde zum Klimaschutz vertreten hatte. Der Rechtsanwalt prüfte das Gesetz und kam in seinem Rechtsgutachten schließlich zu dem Schluss, dass die aktuelle Mutterschutzregelung verfassungswidrig sei.

Fehlender Mutterschutz: Frauen legen Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe ein

„Wir haben eine Schutzlücke zwischen denjenigen, die nach der 23. Schwangerschaftswoche ein Kind verlieren und denjenigen, denen das vorher geschieht“, erklärt Klinger. Nach Artikel 6 Absatz 4 des Grundgesetzes stehe einer Mutter auch dann Schutz zu, wenn sie ein Kind verliere. „Das hat der Gesetzgeber auch anerkannt, indem er ab der 12. Schwangerschaftswoche einen Kündigungsschutz gewährt und damit in der Gesetzgebung zum Ausdruck bringt, dass es schon zu diesem Zeitpunkt sowohl psychologisch und physiologisch eine Schutzbedürftigkeit der Frauen gibt“, sagt Klinger.

Wenn jedoch der Kündigungsschutz gewährt wird, müsste auch Mutterschutz gewährt werden, so der Rechtsanwalt. Im November legte Natascha Sagorski deshalb gemeinsam mit vier Mitstreiterinnen eine Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ein. Ob diese erfolgreich sein wird, ist bisher nicht abzusehen. Klinger rechnet ihr jedoch gute Chancen zu. Allerdings, sagt er, würden weit über 90 Prozent der Beschwerden in Karlsruhe nicht zur Entscheidung angenommen.

„Wenn wir sagen, die Chancen sind gut, dann heißt das, sie sind deutlich besser als 10 Prozent.“ Bis die Richterinnen und Richter jedoch eine Entscheidung treffen, könnte noch einige Zeit vergehen – erfahrungsgemäß könnte es ein bis eineinhalb Jahre dauern, so Klinger. Das weiß auch Natascha Sagorski. Deswegen verlässt sie sich nicht darauf, sondern kämpft weiter. „Es wäre natürlich schön, wenn schon vor dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts das Gesetz zum gestaffelten Mutterschutz verabschiedet wird“, sagt sie. „Unser großes Ziel ist es, 2023 eine Gesetzesvorlage zu haben.“