Berlin. Der Solidaritätszuschlag als Abgabe für Besserverdiener bleibt bestehen. Rechtlich mag das in Ordnung sein – politisch ist es heikel.

Mehr als 30 Jahre liegt die deutsche Einheit zurück. An vielen Stellen ist das Land längst zusammengewachsen, an vielen anderen aber auch nicht. Jetzt ist klar, dass die Einheit auch finanzpolitisch noch lange kein abgeschlossenes Kapitel ist. So sieht es zumindest der Bundesfinanzhof in München.

Deutschlands höchstes Finanzgericht hat am Montag eine Klage gegen den Solidaritätszuschlag abgewiesen. Den müssen seit 2020 nur noch Top-Verdiener zahlen. Geklagt hatte dagegen ein Ehepaar aus Bayern, und zwar mit Unterstützung des Bunds der Steuerzahler. Die Richter halten den Soli nach wie vor für verfassungsgemäß. Sie argumentieren, der Bund habe überzeugend dargelegt, dass die Wiedervereinigung weiterhin einen hohen Finanzbedarf verursacht.

Solidaritätszuschlag: Aufatmen bei Finanzminister Lindner

Für Bundesfinanzminister Christian Lindner ist das zugleich eine gute und eine schlechte Nachricht. Er kann jedes Jahr weiterhin mit zweistelligen Milliarden-Einnahmen aus dem Soli rechnen. Das Geld wird dringend benötigt – und zwar nicht nur, um Langzeitfolgen der deutschen Einheit zu begegnen. Angesichts von Krieg und Pandemie ist der Bundeshaushalt ohnehin auf Kante genäht. Als FDP-Chef tritt Lindner aber seit Jahren für eine Komplett-Abschaffung des Solis ein. Beim Bundesverfassungsgericht ist sogar noch eine Beschwerde der Liberalen gegen die geltende Regelung anhängig. Auch dem jetzt unterlegenen Ehepaar aus Bayern steht der Gang nach Karlsruhe offen.

Unabhängig davon und unabhängig vom jüngsten Urteil des Finanzhofs gehört der Soli abgeschafft. Es geht um die Glaubwürdigkeit der Politik im Allgemeinen und die der Finanzpolitik im Besonderen: Jahrzehntelang wurde den Bürgern erklärt, dass der Solidaritätszuschlag zur Finanzierung der deutschen Einheit diene und zeitlich befristet sei. Für den Großteil der Steuerzahler ist der Soli seit 2020 Geschichte. Für die oberen zehn Prozent der Einkommensbezieher aber eben nicht. Für sie ist er de facto eine unbefristete Ergänzungsabgabe geworden. Manche sprechen von einer „Reichensteuer durch die Hintertür“.

Thorsten Knuf, Politikkorrespondent
Thorsten Knuf, Politikkorrespondent © Reto Klar | Reto Klar

Wer Top-Verdiener zur Kasse bitten möchte, sollte andere Wege gehen

Es gibt sehr gute Argumente dafür, Top-Verdiener stärker zur Finanzierung des Gemeinwesens heranzuziehen als Geringverdiener oder die breite Mitte der Gesellschaft. Wenn man zu dem Schluss kommt, dass dies der Fall sein sollte, dann wäre die sauberste Lösung, den Spitzensteuersatz der Einkommensteuer entsprechend anzupassen. Das wäre in jedem Falle auch gerichtsfest und etwas, auf das sich Steuerzahler und Staat gleichermaßen auf Dauer einstellen könnten.

Kommt man hingegen zu dem Schluss, dass die Extra-Milliarden der Besserverdiener verzichtbar seien, dann müssen die Staatsausgaben entsprechend gekürzt werden. Das hieße dann: weniger Geld für Ostdeutschland, für die Bundeswehr, für die Rente oder den Klimaschutz.

Eine Bankrotterklärung der Politik

In der Praxis freilich würde sich weder das eine noch das andere durchsetzen lassen. Finanzminister Lindner und seine FDP stehen bei ihren Wählern im Wort, keine Steuererhöhungen zuzulassen. Schmerzhafte Einschnitte bei den Ausgaben des Bundes wiederum dürften mit SPD und Grünen nicht zu machen sein, erst recht nicht in der gegenwärtigen Krise.

Und so ist absehbar, dass der Konflikt um den Solidaritätszuschlag einfach weiterschwelen wird. Zumindest so lange, bis das Bundesverfassungsgericht irgendwann einmal eine Klärung herbeiführt. Im Grunde ist das eine Bankrotterklärung der Politik – nicht nur der amtierenden Regierung, sondern bereits der davor: Weil Minister und Parteien sich nicht einigen können, müssen Richter ran.