Berlin. Bei den Waffenlieferungen an die Ukraine wächst der Druck auf den neuen Minister. Bringt der Gipfel in Ramstein einen Durchbruch?

Die Kameras klicken, ihre Blitze strahlen Boris Pistorius und Lloyd Austin an. „Good?“, fragt Austin die Fotografen bestimmt, dann verlassen die beiden Verteidigungsminister den Raum. Nur wenige Minuten hat das Statement des erst kurz zuvor vereidigten deutschen Amtsinhabers und seinem Gast aus den USA gedauert. Fragen sind keine zugelassen. Deutlich ist dennoch geworden: zu besprechen gibt es viel. Etwa, ob die beiden Länder die Ukraine mit ihren modernsten Kampfpanzern ausrüsten wollen, den „Leopard“.

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Boris Pistorius hat so wenig Zeit zum Ankommen wie kein anderer Minister, und zugleich sitzt er auf einem der schwersten Posten in dieser Zeit, in diesem Kabinett. Sein Kaltstart fällt mitten in eine große politische Schlacht um die Lieferung schwerer Kriegsgeräte in die Ukraine, allen voran deutsche Panzer. Mitten in den Streit darüber, wie verlässlich Deutschland die Ukraine in dieser Phase des Krieges unterstützt. Es geht auch um die Glaubwürdigkeit seines Chefs: Olaf Scholz.

„Einen kühlen Kopf, gute Nerven, Führungsstärke und klare Sprache“

Pistorius hat einen vollen ersten Tag: Am Morgen bekommt der bisherige Landesinnenminister von Niedersachsen Pistorius im Schloss Bellevue seine Ernennungsurkunde von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Für sein neues Amt wünscht das Staatsoberhaupt dem Verteidigungsminister „einen kühlen Kopf, gute Nerven, Führungsstärke“ und eine „klare Sprache“.

Alte Ministerin, neuer Minister: Christine Lambrecht (SPD) wirkt erleichtert. Sie ist nicht mehr im Amt. Es folgt: Boris Pistorius, bisher Niedersachsens Innenminister.
Alte Ministerin, neuer Minister: Christine Lambrecht (SPD) wirkt erleichtert. Sie ist nicht mehr im Amt. Es folgt: Boris Pistorius, bisher Niedersachsens Innenminister. © imago/Emmanuele Contini | IMAGO/Emmanuele Contini

Auf Gottes Beistand verzichtet Pistorius für die große Aufgabe – zumindest bei der anschließenden Vereidigung im Bundestag. Als Parlamentspräsidentin Bärbel Bas ihrem Parteifreund den Amtseid abnimmt, lässt der 62-Jährige den religiösen Zusatz weg: „So wahr mir Gott helfe.“

Stattdessen greift Pistorius kurz nach dem Auftritt zum Telefon. Er ruft seinen französischen Amtskollegen Sébastien Lecornu an. Beim deutsch-französischen Ministerrat am Sonntag in Paris werden sie sich erstmals persönlich treffen. Pistorius telefoniert auch mit dem mächtigen Chef des Bundeswehrverbands, getroffen hat er noch vor Amtsantritt Eva Högl, die Wehrbeauftragte, und Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die einflussreiche Vorsitzende des Verteidigungsausschusses.

Deutschland will Schützenpanzer und Patriot-Flugabwehrraketen an die Ukraine liefern

Man kann Pistorius nicht vorwerfen, er würde erstmal gemütlich im Amt eintrudeln. Und doch: Eine Entscheidung über die Lieferung von deutschen Kampfpanzern an die Ukraine fiel auch in den ersten Stunden seiner Amtszeit nicht. Der Blick geht in Richtung Kanzler Scholz, in Richtung Ramstein, dem Militärstützpunkt im Südwesten Deutschlands, an dem an diesem Freitag ein weiteres Treffen der Amerikaner mit anderen Verbündeten der Ukraine stattfindet.

Derweil erhöhen Meldungen den Druck auf Pistorius und Scholz: Schweden will Schützenpanzer Typ CV-90 und das Artilleriesystem Archer an die Ukraine liefern, Frankreich schickt leichte Kampfpanzer vom Typ AMX-10 RC, Großbritannien laut Medienberichten 600 weitere Lenkraketen Brimstone. Deutschland hat zuletzt zugesagt, Marder-Schützenpanzer und Patriot-Flugabwehrraketen an die Ukraine zu liefern.

Übergabe im Ministerium: Christine Lambrecht neben Boris Pistorius im Bendlerblock.
Übergabe im Ministerium: Christine Lambrecht neben Boris Pistorius im Bendlerblock. © imago/Emmanuele Contini | IMAGO/Emmanuele Contini

Aber Kampfpanzer? Die Ukraine will unbedingt den „Leopard“ aus deutscher Produktion, er gilt als hochmodern, schnell und effektiv. Gerade um Gelände gegen die russische Armee zurückzugewinnen, kann das Waffensystem enorm wichtig sein. Doch seit Wochen kämpft die Bundesregierung eine Abwehrschlacht gegen den Druck von außen. Scholz bleibt auch kurz vor dem Gipfel in Ramstein nach Informationen unserer Redaktion seiner Linie treu: vorsichtige Politik, keine „Alleingänge“, alles „in Absprache mit Nato-Partnern“ – und nicht ohne Lieferungen von vergleichbarem Kriegsgerät durch die Amerikaner. Scholz spielt offenbar weiter auf Zeit. Und die USA liefern vorerst keine „Abrams“-Kampfpanzer.

Anders: Polen, Dänemark, Spanien und Finnland. Sie sind zur Lieferung der „Leos“ bereit, brauchen dafür aber die Genehmigung der Bundesregierung. Scholz muss die sogenannte „Endverbleibserklärung“ auflösen, mit der sich Staaten vertraglich verpflichtet haben, deutsche Rüstung nicht einfach weiterzugeben in andere Länder. Der CDU-Außenpolitiker Johann Wadephul betont bei der Debatte am Donnerstag im Bundestag, dass die Ukraine angesichts einer erwarteten russischen Großoffensive westliche Kampfpanzer dringen brauche. „Es scheitert alles an Deutschland“, kritisiert Wadephul.

Rüstungsindustrie fordert langfristige Rahmenverträge für Waffenproduktion

Insgesamt sollen in zwölf Nato-Staaten wie Polen und Spanien rund 2000 Leopard-Panzer deutscher Produktion in den Lagern stehen. Allerdings: Es ist völlig unklar, wie viele dieser Panzer tatsächlich einsatzbereit sind. Fachleute sagen im Gespräch mit unserer Redaktion: nur ein Bruchteil.

Es ist ein großes Panzer-Dilemma der deutschen und europäischen Verteidigungspolitik, die all die Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges vor allem eine Richtung kannte: abrüsten, einsparen, verkaufen. Doch eine Rüstungsindustrie lässt sich nicht hochfahren wie eine Turbine im Wasserkraftwerk. Sobald die eine Ausfuhrgenehmigung der Bundesregierung für Kampfpanzer aus Staaten wie Polen und Spanien vorliege, sei es zweckmäßig, diese Leopard „nicht nur wieder einsatzbereit machen zu lassen, sondern auch auf einen gemeinsamen Rüststand zu bringen“, sagt Kurt Braatz im Gespräch mit unserer Redaktion. Er ist Leiter Gesamtkommunikation des Panzerbauers KNDS mit Sitz in Amsterdam, zu der auch der deutsche Rüstungshersteller Krauss-Maffei Wegmann (KMW) gehört. KMW baut den Leopard.

Der Wunsch der Ukraine im Krieg gegen Russland: Kampfpanzer vom Typ Leopard aus deutscher Produktion.
Der Wunsch der Ukraine im Krieg gegen Russland: Kampfpanzer vom Typ Leopard aus deutscher Produktion. © dpa | Csaba Krizsan

Der „Rüststand“ ist relevant. Denn obwohl die europaweit verstreuten Reserven an Leopard-Panzern fast durchweg vom Typ A4 seien, sind sie doch ganz unterschiedlich gebaut. „In Finnland müssen sie winterfest sein, in Spanien enorm hitzeresistent. Die ukrainische Armee aber braucht einen einheitlichen Standard, an dem wir die Soldaten ausbilden können“, sagt Braatz. Zudem ist der Zustand der Panzer ganz unterschiedlich, viele lagerten jahrelang in Hallen, sind defekt oder brauchen dringen Ersatzteile.

Alles potenzielle Aufträge für die Rüstungsindustrie. Doch einen Auftrag von Seiten der Regierung gibt es bisher nicht. Weitere Zeit verstreicht. Es sei schwer zu sagen, wie viel Zeit die Industrie für die Reaktivierung der Leopard-Panzer brauche. Braatz sagt: „Mit sechs Monaten pro Fahrzeug wird man vermutlich rechnen müssen.“ Ähnlich äußert sich die Führung des zweiten großen deutschen Rüstungskonzerns, Rheinmetall.

„Erst die Verträge, dann der Aufbau der Produktionskapazitäten und die Lieferungen“

Zentral für die Industrie seien langfristige Rahmenverträge über Rüstungslieferungen mit der Bundesregierung. „Nur auf einer solchen sicheren Grundlage kann die Industrie Ersatzteile auf Vorrat produzieren, aber auch Lieferkapazitäten insgesamt ausbauen“, hebt Braatz hervor. Oder Verträge aber sei die Produktion für die Unternehmen ein zu hohes Risiko. „Erst die Verträge, dann der Aufbau der Produktionskapazitäten und die Lieferungen. Die Industrie wird das dann schon stemmen.“ Es geht um Rechtssicherheit, und um Geld. Mehrere Rüstungsunternehmen haben schon den Ausbau der Herstellungskapazitäten angekündigt.

Gipfeltreffen der Ukraine-Verbündeten findet an diesem Freitag auf der US-Airbase in Ramstein statt.
Gipfeltreffen der Ukraine-Verbündeten findet an diesem Freitag auf der US-Airbase in Ramstein statt. © dpa | Boris Roessler

Ginge es nach den Koalitionspartnern von Scholz, Grünen und FDP, wäre die Bundesregierung viel offensiver. Die Lieferung des Leoparden wird in diesem Teilen der Koalition auch als wichtig angesehen, weil es für den Kampfpanzer ausreichend Munition gibt. Wie brisant die Lage ist, zeigt ein Blick an die Front: Dort geht der ukrainischen Armee für die Panzer-Modelle sowjetischer Bauart gerade die Geschosse aus. Der Vorrat reiche nur noch für wenige Wochen, ist in deutschen Regierungskreisen zu hören.

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Als der neue Verteidigungsminister Pistorius seinen US-Gast Lloyd Austin am Donnerstag im Bendlerblock auf Englisch begrüßt, sagt der SPD-Mann: „We have a lot of issues to discuss“ – es gebe viel zu besprechen, „zuallererst“ die Unterstützung der Ukraine. „Deutsche Systeme bewähren sich in der Ukraine“, betont Pistorius und nennt Schützenpanzer, Patriot-Flugabwehrsysteme, Mehrfachraketenwerfer und Haubitzen. Den Leoparden lässt er unerwähnt.