Berlin. Die anvisierte Klimaneutralität stellt Wirtschaft und Verbraucher vor Herausforderungen. Was Wirtschaftsminister Habeck jetzt plant.

Viel Zeit bleibt nicht mehr: In 22 Jahren muss Deutschland klimaneutral sein. So sieht es das Klimaschutzgesetz vor. Das erste Etappenziel aber steht schon 2030 an. Dann soll Deutschland 65 Prozent weniger Emissionen ausstoßen als im Vergleichsjahr 1990. Damit das gelingt, müsste sich das Tempo der Emissionsminderungen nahezu verdreifachen.

Entsprechend macht Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck nun Druck: „Konkret geht es jetzt darum, weitere Barrieren, die eine nachhaltige Wertschöpfung und Energieversorgung behindern, aus dem Weg zu räumen, Innovationen und Investitionen zu stärken und anzureizen“, sagte der Grünen-Politiker unserer Redaktion. Trotz Krise seien im vergangenen Jahr Grundlagen gelegt worden für den klimaneutralen Umbau gelegt worden. Wie es nun weitergeht, skizziert das Bundeswirtschaftsministerium in einem Werkstattbericht, der unserer Redaktion exklusiv vorliegt. Ein Überblick:

Strom: Ausbau der erneuerbaren Energien muss schneller werden

Die Rechnung ist simpel: Ist Deutschlands Strom im Jahr 2030 nicht grün, dann nützen auch die 15 Millionen Elektro-Autos, die bis dahin über die Straßen surren oder die sechs Millionen Wärmepumpen, die die Wohnungen beheizen sollen, wenig. Im vergangenen Jahr stammte fast jede zweite Terrawattstunde Strom aus erneuerbaren Energien. Da mit der Abkehr fossiler Brennstoff aber auch der Hunger nach grüner Energie steigt, muss in den kommenden Jahren einiges passieren. 2030 werden wohl bis zu 750 Terrawattstunden grüner Strom benötigt. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr stammten 233,9 Terrawattstunden Strom aus erneuerbaren Energien.

Es muss also vorangehen bei der Windkraft zu Land und auf See sowie bei Photovoltaikanlagen. Das ist leichter gesagt als getan. Wer zuletzt eine Windkraftanlage an Land plante, brauchte dafür zwischen fünf und 12 Jahren. Weitere vier bis fünf Jahre dauerte es anschließend, ehe die Anlage auch zugelassen war. Genehmigungsverfahren von 2 Jahren? Keine Seltenheit, sondern die Regel.

Seit dem vergangenen Jahr liegt der Ausbau der erneuerbaren Energien im „überragenden öffentlichen Interesse“. Zuletzt aber war aus den Verbänden Kritik laut geworden, dass es trotzdem nicht vorangehe. Dass 200.000 Fachkräfte in der Branche fehlen, macht die Sache nicht einfacher.

Im März will Habeck daher sowohl zu einem Windkraft- also auch zu einem separaten Photovoltaikgipfel laden. Es sollen jeweils neue Strategien entwickelt werden, die den Ausbau voranbringen sollen. Mit den Bundesländern soll ein Pakt für schnelle Planungen und Genehmigungen geschlossen werden.

Für Verbraucherinnen und Verbraucher könnte es dann zu guten Nachrichten kommen: Der Mieterstrom soll reformiert werden, sodass Mieter von einer Photovoltaikanlage auf dem Dach profitieren können. Auch der Einbau von Balkon-Photovoltaikanlagen soll erleichtert werden.

Industrie: Günstige Energie soll Standortbedingungen verbessern

Immer wieder wurden im vergangenen Jahr Rufe laut, die vor einer Deindustrialisierung in Deutschland warnten. Jüngste Pläne wie die des Chemieriesens BASF, der unter dem Strich 2600 Stellen streichen will, verstärkten die Debatte. Eine schrumpfende Industrie kann sich auch Habeck nicht leisten, will er nicht nur die Klimaziele erreichen, sondern auch den „Wohlstand erneuern“, wie es als übergeordnetes Ziel im Bericht seines Hauses steht. Die „gesamtwirtschaftliche Stabilität“ sei dafür eine wichtige Voraussetzung.

Helfen könnte günstige Energie. Seit Jahren beklagen sich die Unternehmen hierzulande, dass die Kosten zum Standortnachteil werden. Nun soll ein Industriestrompreis für Entlastung sorgen. Geplant ist, dass ein Preis, der in Ausschreibungen für Strom aus erneuerbaren Energien erzielt wird, über sogenannte Differenzverträge an die Industrie weitergegeben wird.

Rohstoffe: Neue Vorkommen und Partnerschaften sollen erschlossen werden

Der Zusammenbruch der Lieferketten während der Corona-Pandemie hat gezeigt wie verwundbar Deutschland in sensiblen Bereichen wie etwa der Halbleiterindustrie ist. Ohne die begehrten Chips fährt kein neues Auto, funktioniert kein Handy. Deutschland will daher Kapazitäten aufbauen, allerdings ist laut Wirtschaftsministerium in der Halbleiterindustrie jeder zweite Arbeitsplatz unbesetzt.

Doch es fehlen nicht nur die Fachkräfte, auch die für die Energiewende selbst benötigten Rohstoffe sind knapp. Beim für die Autoindustrie wichtigen Palladium besitzen Südafrika und Russland einen Marktanteil von 80 Prozent, ebenso bei Platin. Über 80 Prozent der Seltenen Erden stammen aus China. Die Abhängigkeiten sind groß. Daher will das Wirtschaftsministerium nun das Berggesetz modernisieren und verstärkt nach heimischen und europäischen Rohstoffen Ausschau halten. Aber auch neue Partnerschaften - wie jüngst mit Chile geschlossen - sollen die Abhängigkeiten reduzieren.

Am Ende aber wird es auch darauf ankommen, dass die Produkte selbst effizienter werden. So wird in der Autoindustrie derzeit nach Alternativen zu Lithium-Ionen-Batterien geforscht.

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Wohnen: Gebäude sollen klimafit werden

Das geplante Verbot neuer Öl- und Gasheizungen ab dem kommenden Jahr hat eine hitzige Debatte ausgelöst. Klar ist: Deutschlands Gebäudebestand ist alles andere als klimafit. Ein Drittel aller Endenergie wird in Gebäuden verbraucht.

Das Wirtschaftsministerium hat daher im vergangenen Jahr die Zügel angezogen. Mit durchwachsenen Ergebnissen. So kollabierte zweimal die Neubauförderung. Mittlerweile gilt ein strengerer Energiestandard, allerdings brechen die Neubauzahlen ein. Auch bei den Sanierungen setzte Habeck den Rotstift an, um nicht wieder in einen Förderstopp zu laufen und das vorhandene Geld breiter zu verteilen. Immerhin: 200.000 Wärmepumpen wurden laut Wirtschaftsministerium im vergangenen Jahr bewilligt, 110.000 Biomasseheizungen und fast 140.000 Sanierungsmaßnahmen an Gebäuden.