Hajo Schumacher über Gewalt.

Zu den aufregendsten Geschichten meines frühen Journalistenlebens gehörte eine Hooligan-Reportage. Über einige Ecken war ich in Kontakt mit einem jungen Mann gekommen, der seine Wochenenden weniger in als rings um Fußballstadien zubrachte, wo er sich mit anderen jungen Männern prügelte, vor allem mit denen, die eine Polizeiuniform trugen. Verwüstete Eisenbahnwaggons gehörten bei Auswärtsspielen dazu.

Sorgfältig forschte ich nach Motiven wie sozialer Verelendung oder irrationaler Liebe zum Verein. Aber da war nichts zu finden. Mein Informant hatte einen sicheren Job. Fußball war ihm nicht so wichtig. Ihm ging es um den Reiz der Grenzüberschreitung, um das Jagen und Gejagtwerden, um den Adrenalinschub während einer Prügelei, schlicht: Er war geil auf Gewalt, ein Merkmal junger Männer, hervorgerufen durch einen alters- und geschlechtsbedingt erhöhten Testosteronspiegel, den die Natur nicht dafür vorgesehen hatte, um Innenstädte zu verwüsten.

Es sind ja selten junge Frauen oder ältere Herrschaften, die sich hierzulande mit der Polizei anlegen – es sind fast immer junge Männer. Das war bei den Halbstarken und Rockern schon so, bei den Punks, den G20-Marodeuren oder den Glatzen von Chemnitz. Meinem Hooligan damals galt eine erbeutete Polizistenmütze als Trophäe, als sehr seltener Ritterschlag ein Foto vom Tatort in der Zeitung. Während normale Menschen den Kopf schüttelten über so viel blindwütige Gewalt, schnitten Hooligans solche Artikel aus und klebten sie in eine Sammelmappe.

In digitalen Zeiten steht neben jedem Gewalttäter ein Kumpel, der filmt und den Krawall ins Netz stellt. Die Hooligans von Stuttgart hatten wohl schon Wochen vorher im Internet angekündigt, dass Krawall im Anzug wäre. Nach der Randale kursierten zahlreiche Fotos und Filmchen der stolzen Täter, als Nachweis ihrer hirnlosen Gewalt. Auf Facebook und Instagram kann die Krawallerie sich produzieren und bekommt auch noch Herzchen von Gleichgesinnten. Das ist der Unterschied zu früher.

Die Netzwerke bieten die Chance, jede Straftat mit drei Klicks zu veröffentlichen. Das Internet schafft der Gewalt, egal mit welchem Hintergrund, ihre eigene unkontrollierte Bühne. Das motiviert natürlich. Gewalt ist Teil der digitalen Unterhaltungsindustrie. Unsere Kinder wissen genau, wo sie Enthauptungsvideos des IS schauen können oder Bilder vom sogenannten Happy Slapping, wenn mit dem Smartphone aufgezeichnet wird, wie Gleichaltrige, aber Schwächere, mal zarter, mal härter vermöbelt werden. Eklig? Ja. Klickt gut? Auch Ja. Wenn Aufmerksamkeit eine Währung ist, sind Like-Daumen der Lohn. Filmende Gewalttäter handeln also nach einer, wenn auch gruseligen, marktwirtschaftlichen Logik, weil es eine starke Nachfrage nach brutaler Ware gibt.

Halbstarke Gewalt mag hier und da tatsächlich mit verzweifeltem Protest gegen Missstände zu tun haben, häufiger aber vermutlich mit der pubertären Lust an der Selbstdarstellung. Weil soziale Medien das Verbreiten der Gewalt so leicht machen, sei die Vermutung erlaubt, dass Instagram und Facebook wie Brandbeschleuniger wirken, die womöglich einen Dominoeffekt in Gang setzen. Wenn erst mal einer anfängt, seine Kloppereien zu filmen und zu posten, werden die Nächsten die Schandtaten zu übertreffen versuchen. So eskaliert und verbreitet sich Gewalt, auch deswegen, weil sie über digitale Kanäle sehr viel sichtbarer zu machen ist als früher. Vorsichtige Vermutung: Gäbe es die Möglichkeit nicht, jeden Mist weltweit zu veröffentlichen, wäre der Anreiz zur Gewalt ein klein wenig geringer.

Ist es zu viel verlangt, dass die sozialen Netzwerke derlei falsch verstandene Heldentaten allenfalls Ermittlern zur Verfügung stellen, anstatt den Unsinn auf die internationale Bühne zu heben und Werbung drumherum zu platzieren?