Jena. Zehn Jahre nach der Aufdeckung der Terrorzelle NSU initiiert Jenakultur Veranstaltungen in 13 Städten.

Blumengroßhändler Enver Şimşek ist gerade dabei, Pflanzen in seinem Lieferwagen zu sortieren, als acht Schüsse auf ihn abgegeben werden. Am helllichten Tag in Nürnberg. Erst elf Jahre später wird dieser hinterhältige Mord aufgeklärt. Die Täter sind zwei Rechtsextreme, zwei gebürtige Jenenser. Zwischen 2000 und 2007 ermordeten Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt zehn Menschen aus Fremdenhass.

Wiederum zehn Jahre nach der Aufklärung wird nun in 13 Städten auf Initiative von Jenakultur ein bundesweites Theater- und Kulturprojekt zu dieser beispiellosen Mordserie geplant. Vom 21. Oktober bis 7. November beschäftigen sich Theateraufführungen, Ausstellungen, Konzerte, Lesungen, Filmvorführungen, Diskussionen und Vorträge mit den Taten und Hintergründen des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU). Beteiligt sind neben Jena auch Theater und Institutionen etwa aus München, Rostock, Nürnberg, Zwickau und Chemnitz.

Für Jonas Zipf, Werkleiter von Jenakultur, ist diese Auseinandersetzung in der Saalestadt längst überfällig. Vor allem die örtliche Politik habe das Thema lange ignoriert nach dem Motto: „Wir sind nicht die Stadt des NSU. Das war eine Zwickauer Zelle“, sagt Zipf. Und so griff der Kulturchef die Projektidee von Dramaturg Simon Meienreis und Soziologe Matthias Quent sehr gern auf. Das Theaterprojekt überzeugte denn auch die Bundeskulturstiftung, die es mit mehr als 300.000 Euro fördert.

Unter dem Titel „Kein Schlussstrich“ wird die multilokale Mammutveranstaltung fünf Programmschienen offerieren: Die Theater der 13 Teilnehmerstädte entwickeln Eigenproduktionen zum NSU-Komplex. Es wird ein zentrales Rahmenprogramm geben, aus dem die Partnerstädte einzelne Veranstaltungen buchen können, etwa Gastauftritte von Kabarettistin Idil Baydar oder der Thüringer Autorin Olivia Wenzel („1000 Serpentinen Angst“). Darüber hinaus organisieren einzelne Akteure lokale Rahmenveranstaltungen.

Zu den Höhepunkten zählen zudem ein hochkarätiges Ausstellungs- sowie ein multimediales Kompositionsprojekt: Die Ausstellung „Offener Prozess“ versammelt künstlerische Beiträge, die rassistische Gewalt gegenüber Migranten sowie Formen des Widerstandes thematisieren. Eingeladen ist beispielsweise die renommierte Künstlergruppe Forensic Architecture, die sich bereits für die Documenta 14 mit dem Mord an Halit Yozgat befasste und den Kasseler Tatort minutiös nachbaute. Eröffnet wird die Ausstellung am 18. Juni im Stadtmuseum Jena. Danach wird sie in Chemnitz und Brüssel zu sehen sein sowie in Teilausschnitten an den teilnehmenden Theaterstandorten.

Komponist Marc Sinan plant das multimediale Oratorium „Manifest(o)“, das an den Schlüsselorten der NSU-Gewalt mit internationalen Künstler, Laiengruppen und Chören erarbeitet und uraufgeführt werden soll. Auch hier machen Jena und seine städtische Philharmonie am 29. September den Anfang.

„Wir haben gesagt, wenn sich fünf Partner fürs Projekt finden, machen wir’s“, erzählt Jonas Zipf. Dass es schließlich 13 Orte wurden, freut ihn umso mehr. Beteiligt sind die Städte, in denen Menschen ermordet wurden, aber auch jene Orte, in denen die Täter gelebt haben. Allein aus Thüringen wirken Jenakultur, das Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft Jena sowie die Theater aus Jena, Rudolstadt, Eisenach, Meiningen und Weimar mit. „Mit dem Vorhaben sollen die Perspektiven der Familien der Opfer und der migrantischen Communities in den Fokus der Öffentlichkeit gebracht werden“, erläutert das Projektteam.