Gera. Die Kunstzone M1 in Gera-Untermhaus zeigt ab Freitag die neue Ausstellung „right off“ von des Geraer Künstlers Sven Schmidt – Malerei, Grafiken und Objekte aus 37 Jahren.

Großvater Otto Schmidt, Musiklehrer und Chorgründer in Liebschwitz, ist mit 59 Jahren an einem Herzinfarkt gestorben. Der Vater, der Lehrer Eberhard Schmidt, stirbt ebenfalls mit 59 Jahren an Herz- und Organversagen. Und so wächst Sven Schmidt als Kind mit dem Spleen auf, dass man als Mann in dieser Familie nicht sonderlich alt werden könne.

Alt ist der Geraer Maler und Grafiker noch immer nicht, aber zumindest Anfang März 60 Jahre geworden. Ein würdiger Anlass, ihm in der Kunstzone M1 in Gera-Untermhaus, dessen Mitbegründer, Organisator und Gesicht er seit über zehn Jahren ist, eine große Personalausstellung zu widmen. Morgen Abend, um 18 Uhr, wird diese nunmehr 57. Ausstellung in der M1 mit dem Titel „right off“ (gleich los) eröffnet. Zu sehen ist sie bis 28. Juli. Eine große Werkschau mit 125 von ganz großen bis streichholzschachtelkleinen Arbeiten, 37 Jahre seines Schaffen umspannend.

Die älteste Arbeit ist eine Rötelzeichnung von 1982, die „Baumstudie“ aus dem Zaufensgraben, ein wunderschönes Stück Natur, wie er sagt. Da ist Sven Schmidt bereits im zweiten Studienjahr seines Designstudiums an der Burg Giebichen­stein. „Wahrscheinlich war das Niveau der Burg unter den drei besten Schulen der Welt angesiedelt. Allerdings haben wir das nicht gewusst und die Lehrkräfte auch nicht. Die Schule wurde aber von außen so eingeschätzt“, erinnert er sich. Noch heute hält er die Lehre seines Professor Zitzmann „für eine der besten Lehren für die Grundlagen der visuellen Gestaltung“.

Nach der Wende, geht Sven Schmidt 1990 zu einem Team aus Innenarchitekten nach Backnang bei Stuttgart. Er bekommt im Schnelldurchlauf die Marktwirtschaft beigebracht, ist an gigantischen Projekten beteiligt, lernt akribische Planung, aber auch großen Erfolg kennen. Und das Selbstvertrauen der Schwaben, das er hier in Gera schon immer vermisst. Damals wegzugehen, so sagt er heute, war eine gute Idee: „Man muss sich durchboxen, beweisen. Vorurteile durch das ausmerzen, was man letztlich leistet. Und man bekommt eine Menge Toleranz mit. Gerade diese Toleranz ist heute so wichtig.“

1996 kehrt Schmidt nach Gera zurück. Aus jener frühen Zeit finden sich Landschaftszeichnungen, sporadisch mit Figuren wieder. Aber auch die künstlerische Auseinandersetzung mit den Türmen Geras, einst gebaut, um mit Stolz auf die Stadt zu schauen. „Das fand ich sehr rührend, weil zum damaligen Zeitpunkt nichts von diesem Selbstbewusstsein zu spüren war... Leider rutscht der Gladitzschturm zusammen, weil aus Naturschutzgründen keine Schneise in den Wald geschlagen werden kann, um eine Aussicht wieder herzustellen.“ Als Motiv wiederum findet er bei Schmidt in vielen Varianten Eingang in die neue Ausstellung und somit auch wieder in die öffentliche Wahrnehmung.

Als Künstler und Mensch bezieht Sven Schmidt stets Stellung zu Politik und Zeitgeschehen. Es gibt für ihn keine Autonomie der Kunst, denn als Künstler, so Schmidt, nimmt man an gesellschaftlichen Prozessen teil, aus denen letztlich die Bilder entstehen. Er spricht von einer „Erregergesellschaft“, von gespaltenen Personen, der zerfallenden Globalisierungs-Idee, von rückwärts gewandten Staatsmännern, vom falschen Abgebogen-Sein. Im Rahmen seines Landesstipendiums entstehen 2018 über 150 Arbeiten zu solch ganz aktuellen politischen Themen. Einige davon sind nach einer Ausstellung in Erfurt nun erstmals in Gera zu sehen: die zehn Kohlezeichnungen „Falsche Fährte“ beispielsweise, „Heimkehr“, „Energy“, „In der Arena“, „Die Ansage“, oder die „Figur mit Boot“, mit der Sven Schmidt ein Wendethema wieder aufgreift – damals ein Aufbruch zu neuen Ufern, heute steht es für Flucht aus der Heimat in eine bessere Welt. Ideen gibt es wie Sand am Meer, sagt Sven Schmidt, aber nur zehn Prozent sind wirkliche Ideen. Der Rest bedeutet Arbeit und Fleiß: „Bei Kunst gilt: Es gibt den langen Weg der Quantität, bis dieser in eine neue Qualität umspringt. Die Qualität einer Idee besteht deshalb aus der Quantität, die es abzuarbeiten gilt.“

Sven Schmidt ist unglaublich produktiv, ehrgeizig und zielstrebig. Sein Fundus an Arbeiten, aus dem er schöpfen und ausstellen kann, ist dadurch enorm groß geworden. Viele seiner Themen von einst greift er wieder auf, führt sie fort, betrachtet sie neu.

Die Serie „Köpfe für Köpfe“ beispielsweise hat er bereits 1988 mit zwei Lithografien begonnen. Er wollte Porträts fiktiver Personen schaffen, die in sich eine Kraft tragen und damit Identifikationsfigur für andere sind. Im rechten Raum der Galerie wird das Thema nun mit diversen Arbeiten aus mehreren Jahren fortgeführt. Schließlich folgt ab 2003 nach der Geburt der Tochter eine Serie von über 100 Köpfen auf stabilen Windelkartons. „Nur“ ein 9er-Block davon ist derzeit ausgestellt.

Als Splitter bezeichnet der Künstler eine Radierserie, die 2004 entstand und in der M1 mit 40 Arbeiten fast vollständig gezeigt wird. Dem gingen 250 Tuschezeichnungen voraus, auf deren Grundlage Schmidt die wichtigsten als Radierung umsetzte. Thematisch geht es dabei um Zwischenmenschliches, um Auseinandersetzungen, aber auch leise Momente – während ja im gegenüberliegenden Raum der Besucher mit großen Formaten, leuchtenden Farben und Kontrasten konfrontiert wird. Er sieht keinen Grund, schnucklige, schöne Bilder zu malen, da die Welt zwar wundervoll sei – allerdings nicht mit den Menschen, die sich gegenseitig massakrieren. Und so sieht man seine Menschenbilder oft holzschnittartig und klobig, expressiv und in knalligen Farben.

Es gibt aber auch den Raum mit besonderen Arbeiten, wo beispielsweise das Porträt „Man in a mirror – clear spot“ von 1984 ausgestellt ist. Oder die Arbeit „Sichten“, wofür Schmidt mit Erdacker vom Binsenacker arbeitete. Oder der experimentelle Farbholzschnitt „Hölderlin trifft auf das Blue Note“, versehen mit Collageelementen. Ebenso wie die Gemeinschaftslithografie „Die Lamellen“, 1993 mit dem Designer Marius Schreyer gefertigt. Ein breites künstlerisches Spektrum also.

Sven Schmidt hat etwas zu sagen mit seiner Kunst, ist aber zugleich ein Macher: „Die Motivation besteht für mich darin, Ziele zu verfolgen und unter dem Aspekt des Gemeinwohls zu erreichen.“ Er appeliert deshalb insbesondere an Politiker und Bürger seiner Heimatstadt, die Aufgaben der Stadt von innen anzugehen und nicht auf eine Lösung von außen zu hoffen, Verantwortung zu übernehmen, und aufzuhören, die Schuld zu verschieben. „Diesen Kreis zu durchbrechen, erfordert Arbeit, Anstrengung, Bildung, Toleranz und der Aufbruch zu neuen Ufern. Hier ist jeder gefragt.“

Vernissage: Freitag, 14. Juni, um 18 Uhr; Geöffnet: Di bis Fr 13 bis 18 Uhr, Sa bis So 12 bis 18 Uhr

Zur Vita des Künstlers

  • 1959 in Gera geboren
  • 1980 bis 1985 Designstudium, Hochschule für Kunst und Design, Halle/Saale
  • 1986 bis 1988 Meisterschüler für Malerei/Grafik bei Prof. F. Ruddigkeit, Halle/Saale
  • 1985 bis 1990 Honorardozent, künstlerischer Leiter Grundlagen der visuellen Gestaltung an der Hochschule für Kunst und Design, Halle/Saale
  • 1999 Gründungsmitglied Kunstverein Gera
  • 2002 Höhlerbiennale-Idee
  • 2003 Gründung „Ost-West-Pavillon“
  • 2008 30. Internationaler Kunstpreis Hollfeld, 2. Preis; Gründung „M1-Kunstzone“, Produzentengalerie
  • 2009 Gründung Kunstzone Gera